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ToggleEin Problem, das oft unsichtbar bleibt: Überforderung im Wochenbett
Die Geburt eines Kindes zählt zu den prägendsten und emotionalsten Ereignissen im Leben. Doch neben der Freude über den Nachwuchs bringt sie auch eine enorme körperliche und seelische Belastung mit sich – besonders im ersten Jahr nach der Geburt. Viele Mütter und Väter erleben eine Phase der Überforderung: Schlafmangel, der Druck, alles richtig zu machen, und der Wunsch, dem Baby die beste Fürsorge zu bieten, stellen junge Eltern oft vor unvorhergesehene Herausforderungen.
Hinzu kommt, dass die traditionelle Unterstützung durch Großfamilien in Deutschland zunehmend fehlt. Die Zahl der Einpersonenhaushalte wächst, und viele Familien wohnen weit entfernt von Verwandten. Nachbarschaftliche Netzwerke, die früher einsprangen, existieren vielerorts nicht mehr in der Form, wie es früher üblich war. Dieser gesellschaftliche Wandel hinterlässt besonders bei jungen Eltern Lücken: Wer hilft, wenn die Nächte zu kurz und die Tage zu lang werden? Wer übernimmt die Betreuung des älteren Geschwisterkindes, während das Baby gestillt wird? Und wer bietet den Eltern eine Schulter, an die sie sich in schwierigen Momenten lehnen können?
Diese Lücken sind nicht nur belastend, sondern auch gefährlich: Laut Studien steigt das Risiko für postnatale Depressionen bei Frauen, die sich isoliert oder überfordert fühlen. Auch die Bindung zwischen Eltern und Kind kann unter Stress leiden, was langfristige Folgen für die Entwicklung des Kindes haben kann. Hier setzt das Projekt wellcome an – eine Initiative, die praktische Hilfe leistet und zeigt, dass Solidarität in modernen Gesellschaften möglich ist.
Ein Sozialunternehmen mit Herz und Verstand: Die Entstehung von wellcome
Die Idee zu wellcome entstand aus einer Erfahrung, die viele Eltern nachvollziehen können. Gründerin Rose Volz-Schmidt, Sozialpädagogin und selbst Mutter, erkannte während ihrer Arbeit in der Familienberatung, wie dringend junge Eltern Unterstützung in der ersten Zeit nach der Geburt benötigen. Diese Erkenntnis führte sie dazu, 2002 das Projekt wellcome ins Leben zu rufen. Zunächst startete das Angebot in Hamburg – damals als Pilotprojekt einer gemeinnützigen Organisation. Heute ist wellcome ein Sozialunternehmen, das bundesweit in mehr als 250 Städten aktiv ist und sich als unverzichtbare Stütze für Familien etabliert hat.
Rechtlich ist wellcome als gemeinnützige GmbH organisiert, eine Form, die den sozialen Charakter des Projekts unterstreicht und sicherstellt, dass Gewinne reinvestiert werden. Das Team hinter der Organisation besteht aus rund 90 hauptamtlichen Mitarbeitenden und mehreren tausend ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern, die jährlich mehr als 5.000 Familien unterstützen. Die Finanzierung erfolgt durch eine Kombination aus öffentlichen Fördermitteln, Spenden und kleinen Teilnahmegebühren der Familien, die die Unterstützung in Anspruch nehmen. So bleibt das Angebot niedrigschwellig und für alle zugänglich, unabhängig von der finanziellen Situation.
Wie wellcome Familien praktisch unterstützt
Das Konzept von wellcome ist so einfach wie wirkungsvoll: Ehrenamtliche Helferinnen und Helfer unterstützen Eltern im ersten Lebensjahr ihres Kindes im Alltag. Dies kann bedeuten, mit dem Baby spazieren zu gehen, während die Mutter ein paar Stunden Schlaf nachholt, oder das ältere Geschwisterkind zu betreuen, damit die Eltern sich ganz auf das Neugeborene konzentrieren können. Manchmal geht es auch einfach darum, da zu sein, zuzuhören und Mut zu machen.
Die Vermittlung der Helferinnen und Helfer erfolgt über sogenannte wellcome-Koordinatorinnen, die in regionalen Teams arbeiten. Jede Familie wird individuell betreut, und die Unterstützung ist auf die jeweilige Situation zugeschnitten. Dabei bleibt der Zeitraum flexibel: Einige Eltern benötigen nur wenige Wochen Unterstützung, während andere die Hilfe über mehrere Monate in Anspruch nehmen.
Ein Beispiel für den Erfolg des Projekts ist die Geschichte einer jungen Mutter aus Köln, die nach der Geburt ihres dritten Kindes an ihre Grenzen stieß. Ihr Mann musste viel arbeiten, und sie hatte niemanden, der sie im Alltag entlasten konnte. Durch wellcome bekam sie eine ehrenamtliche Helferin, die einmal pro Woche für drei Stunden kam. Diese Zeit nutzte die Mutter, um Kraft zu tanken – ein Angebot, das sie als „lebensrettend“ beschrieb.
Ein weiterer wichtiger Aspekt von wellcome ist die Vernetzung. Die Koordinatorinnen arbeiten eng mit Hebammen, sozialen Einrichtungen und Jugendämtern zusammen, um Familien in Notfällen auch an weiterführende Angebote vermitteln zu können. Dadurch entsteht ein engmaschiges Unterstützungsnetz, das nicht nur praktische Hilfe, sondern auch soziale Kontakte fördert.
Erfolgsgeheimnis: Ein starkes Netzwerk und engagierte Freiwillige
Der Erfolg von wellcome basiert auf mehreren Faktoren: Zum einen ist es das Engagement der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer, die ihre Zeit und Energie investieren, um anderen zu helfen. Viele von ihnen berichten, dass sie durch die Arbeit bei wellcome selbst profitieren – sei es durch die Dankbarkeit der Familien oder die Freude, etwas Sinnvolles zu tun.
Zum anderen hat wellcome ein effektives Netzwerk aufgebaut, das verschiedene Akteure miteinander verbindet. Durch Kooperationen mit Kommunen, Wohlfahrtsverbänden und lokalen Partnern gelingt es der Organisation, immer mehr Familien zu erreichen. Auch prominente Unterstützer wie die Schauspielerin Maria Furtwängler tragen dazu bei, die Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken und Spenden zu generieren.
Die Zahlen sprechen für sich: Seit der Gründung wurden mehr als 60.000 Familien durch wellcome unterstützt, und jedes Jahr kommen Tausende neue hinzu. Besonders in Zeiten von Krisen wie der Corona-Pandemie, die die Isolation vieler Eltern verstärkte, zeigte sich die Relevanz des Projekts.
Perspektiven: Wie wellcome die Gesellschaft verändert
Das Projekt wellcome ist mehr als nur eine praktische Hilfe für Familien – es ist ein Statement für Zusammenhalt und Solidarität. Es zeigt, dass wir als Gesellschaft Verantwortung übernehmen können, um jungen Eltern den Start in eine neue Lebensphase zu erleichtern.
Langfristig hat diese Unterstützung auch positive Auswirkungen auf die Kinder, die in einem Umfeld aufwachsen, das von weniger Stress und mehr Geborgenheit geprägt ist. Zudem stärkt wellcome das Bewusstsein dafür, wie wichtig soziale Netzwerke und nachbarschaftliche Hilfe sind – Werte, die in unserer modernen, oft individualisierten Welt leicht verloren gehen.
Die Zukunft von wellcome sieht vielversprechend aus: Neben der Ausweitung des Angebots plant die Organisation, verstärkt digitale Tools einzusetzen, um die Vermittlung und Betreuung noch effizienter zu gestalten. Ziel ist es, noch mehr Familien zu erreichen und ihnen das zu geben, was sie in den ersten Monaten am dringendsten brauchen: eine helfende Hand und ein offenes Ohr.
Quellen
- Wellcome gGmbH (2024) Über uns. Available at: https://www.wellcome-online.de (Accessed: 8 November 2024).
- Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2023) Familien in Deutschland: Herausforderungen und Unterstützung. Available at: https://www.bmfsfj.de (Accessed: 8 November 2024).
- Deutsche Gesellschaft für Psychologie (2022) Postnatale Depressionen: Fakten und Forschung. Available at: https://www.dgps.de (Accessed: 8 November 2024).
- Statistisches Bundesamt (2023) Familienstrukturen in Deutschland. Available at: https://www.destatis.de (Accessed: 8 November 2024).