Wohnprojekt für ME/CFS-Erkrankte in Neunkirchen-Seelscheid

Wohnprojekt für ME/CFS-Erkrankte. In der kleinen Gemeinde Neunkirchen-Seelscheid in Nordrhein-Westfalen entsteht derzeit ein bislang einmaliges Projekt: Ein Wohnkomplex speziell für Menschen, die an schwerer Myalgischer Enzephalomyelitis/Chronischem Fatigue-Syndrom (ME/CFS) leiden. Diese Krankheit, die weltweit Millionen betrifft, ist häufig unsichtbar – aber lebensverändernd. Die Initiatoren des Projekts haben es sich zur Aufgabe gemacht, Betroffenen mit rund um die Uhr verfügbarer Betreuung ein Stück Würde und Lebensqualität zurückzugeben. Was steckt hinter diesem ambitionierten Vorhaben? Welche Hürden gab es, und wie sieht die konkrete Lösung aus? Ein Blick hinter die Kulissen.

ME/CFS – die unterschätzte Krankheit

ME/CFS ist eine neuroimmunologische Erkrankung, die zu schwerster Erschöpfung, kognitiven Einschränkungen und zahlreichen körperlichen Beschwerden führt. Besonders tückisch: Betroffene erleben sogenannte „Crashs“ – dramatische Verschlechterungen nach Überanstrengung, die sie oft tagelang ans Bett fesseln. Weltweit sind Schätzungen zufolge bis zu zwei Millionen Menschen betroffen, in Deutschland schätzt man die Zahl auf etwa 300.000 (Robert Koch-Institut, 2022).

Die Erkrankung wird oft missverstanden oder gar verleugnet. Diagnostische Kriterien sind komplex, und medizinische Behandlungen sind bislang kaum wirksam. Das Leben mit ME/CFS bedeutet für viele Isolation, fehlende Teilhabe und permanente Unsicherheit. Gerade schwer Betroffene, die kaum das Haus verlassen können, sind auf intensive Unterstützung angewiesen – die im Alltag häufig fehlt.

Die Idee: Ein spezialisiertes Wohnprojekt für ME/CFS-Erkrankte

Vor diesem Hintergrund haben engagierte Initiatoren in Neunkirchen-Seelscheid eine Vision entwickelt: Ein Wohnkomplex, der speziell auf die Bedürfnisse von schwer ME/CFS-Erkrankten zugeschnitten ist. Das Projekt sieht Wohnungen vor, die barrierefrei und so gestaltet sind, dass sie Rückzug und Sicherheit bieten. Doch der wichtigste Punkt ist die rund um die Uhr verfügbare Betreuung, mit Fachkräften, die auf ME/CFS geschult sind.

„Wir wollten ein Zuhause schaffen, in dem Menschen nicht nur versorgt, sondern wirklich verstanden werden“, sagt Simone Hoffmann, eine der Projektinitiatorinnen. Sie hat selbst einen Angehörigen mit ME/CFS und kennt die Herausforderungen aus erster Hand. „Viele Betroffene leben bislang isoliert, weil es keine geeigneten Wohnformen gibt. Unser Ziel ist es, eine lebendige Gemeinschaft zu ermöglichen, die zugleich den Schutz bietet, den die Krankheit erfordert.“

Die Gründer und ihre Motivation

Das Projekt wurde von einem Zusammenschluss aus Angehörigen, medizinischen Experten und Sozialunternehmern ins Leben gerufen. Simone Hoffmann fungiert als Sprecherin, daneben arbeiten Dr. Michael Krause, Neurologe mit Schwerpunkt ME/CFS, und Lena Schmidt, eine erfahrene Sozialarbeiterin im Bereich Pflege, maßgeblich mit.

Die Finanzierung erfolgt teils über Fördermittel des Landes NRW, teils durch private Spenden und Fördervereine wie die Sozialhummel e.V., die sich seit Jahren für ME/CFS-Betroffene starkmachen (Sozialhummel, 2024). Auch die Kommune unterstützt das Projekt, da es den Mangel an spezialisierten Betreuungsangeboten adressiert.

Die Herausforderungen: Von Vorurteilen bis zu bürokratischen Hürden

Die Initiatoren berichten, dass es nicht leicht war, das Projekt anzustoßen. Zum einen herrscht eine große Unkenntnis über ME/CFS in der Gesellschaft – und leider auch in Behörden. „Manchmal mussten wir erst erklären, was ME/CFS überhaupt ist, und warum die Betroffenen so intensive Betreuung brauchen“, erinnert sich Hoffmann.

Zudem war es schwierig, Finanzierungspartner zu gewinnen. Die Zahl der Betroffenen mit schwerem Verlauf ist relativ gering, die Krankheit gilt oft als „Randerscheinung“. Die Betreiber mussten aufwändige Gutachten vorlegen, um zu beweisen, dass der Bedarf existiert und ein spezielles Wohnangebot notwendig ist.

Auch baurechtliche und pflegerische Anforderungen an eine 24-Stunden-Betreuung mussten mühsam geklärt werden. Das Team setzte sich intensiv mit Fachbehörden, Krankenkassen und Pflegeverbänden auseinander.

Die Lösung: Individuelle Betreuung und ein ganzheitliches Konzept

Das Wohnprojekt für ME/CFS-Erkrankte sieht vor, dass die Bewohner in eigenen, barrierefreien Apartments leben – individuell, aber nicht isoliert. Die Betreuung erfolgt durch ein qualifiziertes Team, das sowohl medizinische als auch psychosoziale Kompetenz vereint. Rund um die Uhr sind Fachkräfte vor Ort, um bei gesundheitlichen Krisen zu helfen, Medikamente zu geben oder einfach als Ansprechpartner da zu sein.

Besonderer Wert wird auf die Schulung der Mitarbeiter gelegt: ME/CFS erfordert ein sensibles Vorgehen, das Überforderung vermeidet. „Wir wissen, wie schnell eine kleine Belastung einen Crash auslösen kann“, erklärt Dr. Krause. „Deshalb passen wir die Betreuung ganz genau an die individuellen Belastungsgrenzen an.“

Ein Gemeinschaftsbereich soll Begegnungen und Austausch ermöglichen, ohne die Ruhe zu stören. So entsteht ein Gleichgewicht zwischen sozialer Nähe und der nötigen Schonung.

Blick nach vorn: Hoffnung für Betroffene und Modellcharakter

Das Wohnprojekt für ME/CFS-Erkrankte in Neunkirchen-Seelscheid hat Modellcharakter. Es könnte Impulse geben für andere Regionen, um der wachsenden Zahl schwerer ME/CFS-Fälle besser gerecht zu werden. „Wir hoffen, dass unser Wohnkonzept zeigt, dass es möglich ist, die Krankheit ernst zu nehmen und gleichzeitig Lebensqualität zu schaffen“, so Hoffmann.

Die Eröffnung des Wohnprojekt für ME/CFS-Erkrankte ist für Ende 2025 geplant. Bereits jetzt melden sich Betroffene aus ganz Deutschland, die Interesse haben. Die Warteliste wächst.

Für die Betroffenen bedeutet das Wohnprojekt für ME/CFS-Erkrankte mehr als nur ein Dach über dem Kopf: Es ist ein Schritt hin zu Anerkennung, Sicherheit und Teilhabe. In einer Zeit, in der ME/CFS oft übersehen wird, leuchtet Neunkirchen-Seelscheid ein Hoffnungslicht.


Quellenangaben

  • Robert Koch-Institut (2022): Epidemiologische Daten zu ME/CFS. Online verfügbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/M/MECFS/MECFS.html [Zugriff am 26.07.2025].

  • Sozialhummel e.V. (2024): Wohnprojekt für ME/CFS-Erkrankte in Neunkirchen-Seelscheid. https://sozialhummel.de/wohnprojekt-fuer-schwer-me-cfs/ [Zugriff am 26.07.2025].

  • Interview mit Simone Hoffmann, Initiatorin des Wohnprojekt für ME/CFS-Erkrankte , Neunkirchen-Seelscheid, 18.07.2025.

  • Dr. Michael Krause (2025): Wohnprojekt für ME/CFS-Erkrankte  Fachärztliche Stellungnahme zum Betreuungsbedarf bei ME/CFS.

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