„GesellschaftsFAIRtrag“ der GemeinWohl-Lobby auf dem Prüfstand – Volksbewegung oder Randthema?

Seit dem Jahr 2020 verfolgt die Bürgerinitiative GemeinWohl-Lobby (GWL) ein ambitioniertes Ziel: eine vom Volk selbst entworfene, neue Verfassung für Deutschland – den sogenannten GesellschaftsFAIRtrag. Die Initiative versteht sich als überparteilich, gemeinnützig und ausdrücklich unabhängig von jeglichem Extremismus (GemeinWohl-Lobby, o. J.a). Doch wie tragfähig ist das Projekt, und wer steckt eigentlich dahinter?

Wer steckt dahinter – Gründung und Akteure

Hinter der GWL steht unter anderem Marianne Grimmenstein, die sich schon 2016 mit einer Massenklage gegen das Freihandelsabkommen CETA bundesweit einen Namen machte. Damals reichte sie mit über 125.000 Unterstützer:innen eine Verfassungsbeschwerde ein, die später zurückgewiesen wurde (Wikipedia, 2024). Heute ist sie Teil des Sprecher:innenkreises der GWL, gemeinsam mit Akteuren wie Klaus Geppert, Priska Nehrbass und Gerhard Fischer (GemeinWohl-Lobby, o. J.a).

Laut Eintrag im Lobbyregister ist die Bürgerinitiative seit dem 18. August 2022 offiziell registriert. Der Eintrag vermerkt eine Beteiligung von „1 bis 10 Personen“ und gibt die jährlichen Lobbyaufwendungen mit null Euro an (Deutscher Bundestag, 2025).

Was will die Initiative?

Im Zentrum steht der sogenannte GesellschaftsFAIRtrag – eine neue Verfassung, die soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit und eine tiefgreifende Machtkontrolle ermöglichen soll. Ziel ist, diesen Vertrag nicht von oben herab, sondern vom Volk selbst auszuarbeiten – basisdemokratisch, transparent, unabhängig (GemeinWohl-Lobby, o. J.b).

Die GWL fordert dazu ein Ausführungsgesetz zu Artikel 146 des Grundgesetzes, um dem Volk formal das Recht einzuräumen, eine neue Verfassung in einem demokratisch legitimierten Verfahren zu entwickeln (GemeinWohl-Lobby, o. J.b).

Der Weg zum Entwurf: Beteiligung statt Partei

Bereits über 1.000 Bürgerideen seien laut GWL eingeflossen. In einem dreistufigen Online-Abstimmungsprozess wurden diese gesammelt, diskutiert und konsolidiert. In der ersten Vorabstimmung beteiligten sich knapp 3.000 Personen93,63 % stimmten dabei für den GesellschaftsFAIRtrag in der GWL-Fassung (GemeinWohl-Lobby, 2023).

Kritik und Kontroversen

Doch das Projekt steht nicht ohne Kritik da. In Regensburg distanzierte sich die Stadt öffentlich von einem Vertreter der GWL, der mit verschwörungsideologischen Aussagen auffiel. Auch Medienberichte deuten auf Nähe zu Querdenker-Positionen hin – nicht offiziell, aber durch Einzelpersonen, die lokal im Namen der GWL auftreten (idowa.de, 2022).

Auch Marianne Grimmenstein selbst steht in der Kritik: In sozialen Medien und öffentlichen Äußerungen zeigte sie sich in der Vergangenheit skeptisch gegenüber staatlichen Corona-Maßnahmen und äußerte sich mitunter populistisch. Der Verdacht: Die GWL könne als Sammelbecken für Regierungskritiker:innen dienen – auch jenseits des demokratischen Spektrums (Wikipedia, 2024).

Reaktion und Abgrenzung

Die Initiative selbst betont ausdrücklich ihre Distanz zu jeglichem Extremismus. Auf ihrer Website heißt es: „Wir vertreten keine bestimmte politische Richtung. Von jedem Extremismus distanzieren wir uns ausdrücklich“ (GemeinWohl-Lobby, o. J.a). Der offene Beteiligungsprozess und die Möglichkeit, Vorschläge kommentieren und einreichen zu können, sollen eine demokratische Kultur fördern – und zugleich einer Vereinnahmung entgegenwirken (GemeinWohl-Lobby, o. J.b).

Politische Ebene: Petition und Referendum

Im Oktober 2024 reichte die GWL erneut eine Petition beim Bundestag ein. Darin forderte sie ein entsprechendes Gesetz für Volksabstimmungen. Bis dahin hatten sich über 5.400 Menschen beteiligt (openPetition, 2024).

Ein erstes Antwortschreiben der SPD traf im Juni 2025 ein – weitere Rückmeldungen stünden noch aus (GemeinWohl-Lobby, 2025). Sollte es zu keiner parlamentarischen Initiative kommen, erwägt die GWL eine Verfassungsklage beim Bundesverfassungsgericht (GemeinWohl-Lobby, 2025).

Ist das realistisch?

Die Idee, die Macht stärker in die Hände der Bevölkerung zu legen, ist nicht neu – und wird regelmäßig von Initiativen wie „Mehr Demokratie e. V.“ diskutiert. Auch sie fordern verbindliche Volksentscheide auf Bundesebene. Allerdings mit Einschränkungen, etwa bei Finanzfragen oder Grundrechten – im Gegensatz zur GWL, die gerade diese Bereiche bewusst einbeziehen will (openPetition, 2024).

Die Umsetzung solcher Ideen scheitert bislang regelmäßig am Widerstand der etablierten Parteien. Es bleibt offen, ob die GWL mit ihrem gesellschaftlichen Druck genug politische Aufmerksamkeit erzeugen kann.

Fazit: Hoffnungsträger oder politisches Nischenprojekt?

Die GWL steht für ein basisdemokratisches Ideal – und gleichzeitig für ein politisches Experiment. Die Chancen, mit einem vollständig neu gestalteten Gesellschaftsvertrag politisch durchzudringen, sind bisher begrenzt. Doch das Projekt zeigt eindrucksvoll, wie stark das Bedürfnis nach Mitbestimmung und echter Volksbeteiligung in Teilen der Bevölkerung ist.

Ob der GesellschaftsFAIRtrag am Ende mehr wird als ein digitales Manifest, liegt nun bei der Politik – und der Zivilgesellschaft.

Literaturverzeichnis

Deutscher Bundestag (2025) Lobbyregistereintrag: Bürgerinitiative GWL, [online] Verfügbar unter: https://www.lobbyregister.bundestag.de/suche/R005073 [Zugriff am 26. Juli 2025].

GWL  (o. J.a) Wer sind wir?, [online] Verfügbar unter: https://gemeinwohl-lobby.de/ueber-uns/ [Zugriff am 26. Juli 2025].

GWL (o. J.b) GesellschaftsFAIRtrag – Hintergrund, [online] Verfügbar unter: https://gemeinwohl-lobby.de/gesellschaftsfairtrag/ [Zugriff am 26. Juli 2025].

GWL (2023) Ergebnisse der 1. Vorabstimmung zum GesellschaftsFAIRtrag, [online] Verfügbar unter: https://gemeinwohl-lobby.de/category/gesellschaftsfairtrag/ [Zugriff am 26. Juli 2025].

GWL (2025) Petition an den Bundestag – aktuelle Informationen, [online] Verfügbar unter: https://gemeinwohl-lobby.de/petition-an-den-bundestag/ [Zugriff am 26. Juli 2025].

idowa.de (2022) Gemeinwohl-Lobby will Verfassungsdebatten ermöglichen, [online] Verfügbar unter: https://www.idowa.de/regionen/woerth-und-regensburg/landkreis-regensburg/gemeinwohl-lobby-will-verfassungsdebatten-ermoeglichen-688999.html [Zugriff am 26. Juli 2025].

openPetition (2024) Wir fordern Volksabstimmungen auf Bundesebene, [online] Verfügbar unter: https://www.openpetition.de/petition/blog/wir-fordern-volksabstimmungen-auf-bundesebene [Zugriff am 26. Juli 2025].

Wikipedia (2024) Marianne Grimmenstein, [online] Verfügbar unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Marianne_Grimmenstein [Zugriff am 26. Juli 2025].

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