Ein Mietshaus, das sich selbst gehört? Kein Spekulant im Hintergrund, keine Eigenbedarfsklage, keine Mieterhöhung nach „Modernisierung“? Was zunächst nach einer Utopie klingt, ist in über 190 Projekten in Deutschland längst Realität. Das Mietshäuser Syndikat (MHS) zeigt seit über 30 Jahren, wie solidarisches Wohnen funktioniert – jenseits von Marktlogik und Renditedruck.
Das Modell basiert auf einem simplen, aber radikalen Gedanken: Wohnraum soll keine Ware sein. Einmal dem spekulativen Immobilienmarkt entzogen, bleibt das Objekt dauerhaft in selbstverwalteter Hand – generationenübergreifend.
Wie alles begann: Vom besetzten Haus zum Verbund
Die Geschichte des Mietshäuser Syndikats beginnt 1989 in Freiburg. Damals kaufte eine Gruppe junger Aktivist*innen ein ehemals besetztes Haus in der Karthäuserstraße 21 – mit dem Ziel, dort dauerhaft gemeinschaftlich wohnen zu können. Um dieses Ziel abzusichern, entwickelten sie ein ungewöhnliches rechtliches Konstrukt: eine GmbH mit zwei Gesellschaftern – dem Hausverein vor Ort und einem übergeordneten Syndikatsverein mit Vetorecht beim Wiederverkauf (Helfrich & Bollier, 2014).
1992 wurde daraus das Mietshäuser Syndikat gegründet. Bis heute funktioniert das Prinzip nahezu unverändert. Und es wächst: Laut Wikipedia sind inzwischen 193 Hausprojekte und 30 Initiativen im Verbund organisiert (Wikipedia, 2024).
Die Grundstruktur: Hausverein + Syndikat = GmbH
Zentral für das Modell ist eine eigens gegründete GmbH, die rechtlich Eigentümerin der Immobilie ist. Sie besteht aus zwei Gesellschaftern:
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dem Hausverein, in dem alle Bewohner*innen Mitglieder sind
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dem Mietshäuser Syndikat e.V., das kein operatives Mitspracherecht hat, aber ein Vetorecht beim Verkauf der Immobilie besitzt
So ist sichergestellt, dass ein Haus nicht „versehentlich“ oder durch Gruppendruck auf dem Immobilienmarkt landet (Mietshäuser Syndikat, o.J.a). Beide Partner haben in der Gesellschafterversammlung der GmbH je eine Stimme – unabhängig von ihrem Kapitalanteil (Gemeinschaftliches Wohnen, o.J.).
Finanzierung: Kredit per Handschlag
Ein elementarer Bestandteil ist die Finanzierung über sogenannte Direktkredite. Menschen aus dem Umfeld – Freunde, Verwandte, Unterstützerinnen – leihen dem Hausprojekt Geld, oft zwischen 500 und 10.000 Euro, zu einem sozialen Zinssatz von 0–2 %. Diese Form der Finanzierung hat gleich mehrere Vorteile: Sie reduziert Abhängigkeit von Banken, verringert die Zinslast und bringt Unterstützerinnen in die soziale Verantwortung (Test.de, 2013).
Der Rest der Finanzierung wird klassisch über Bankdarlehen gedeckt. Durchschnittlich setzt sich die Gesamtfinanzierung laut eigenen Angaben des Syndikats wie folgt zusammen:
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54 % Bankkredite
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39 % Direktkredite
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7 % Eigenmittel (z. B. Solidarbeiträge)
(Mietshäuser Syndikat, o.J.b)
Zusätzlich zahlen alle Projekte einen monatlichen Solidarbeitrag – oft 10 Cent pro Quadratmeter – an den Gesamtverbund. Diese Gelder fließen in den Fonds für neue Projekte.
Selbstverwaltung statt Hausverwaltung
Im Alltag übernehmen die Mieter*innen alles selbst: Instandhaltung, Buchhaltung, Renovierung, Belegung. Entscheidungen werden basisdemokratisch in Hausversammlungen getroffen. Wer mitmachen will, muss sich auf regelmäßige Treffen, Protokolle und manchmal auch Streitgespräche einlassen. Die Struktur ist anspruchsvoll – aber sie ermöglicht maximale Selbstbestimmung (Gemeinschaftliches Wohnen, o.J.).
Ein gutes Beispiel dafür liefert das Wohnprojekt Vielsam in Wuppertal. Die Hausgemeinschaft besteht aus rund 18 Personen. Zwei Bewohnerinnen – Galika und Thomas – sind offiziell Geschäftsführerinnen der GmbH. Sie vertreten die Hausgesellschaft gegenüber Banken und Behörden. Die tatsächliche Macht liegt aber bei allen im Hausverein, dem auch Dana, Kevin und Anja im Vorstand angehören. Alle Bewohner*innen zahlen Miete an die GmbH – aus diesen Mitteln werden Kredite getilgt, Rücklagen gebildet und notwendige Reparaturen bezahlt (Wohnprojekt Vielsam, 2024).
Risiken und Herausforderungen
Die Idee ist idealistisch – aber nicht ohne Risiken. Vor allem Direktkreditgeberinnen tragen ein gewisses Verlustrisiko: Im Insolvenzfall sind sie nachrangige Gläubiger, d. h. ihr Geld kann komplett verloren gehen. Dies zeigte sich im Fall des Projekts Eilhardshof, das 2010 Insolvenz anmelden musste – einige private Kreditgeberinnen sahen keinen Cent wieder (Test.de, 2013).
Auch der hohe organisatorische Aufwand kann zur Hürde werden. Nicht jede Gruppe ist konfliktfähig oder durchhaltebereit – insbesondere in der Gründungsphase. Baukostensteigerungen und langwierige Genehmigungsprozesse machen zusätzlich zu schaffen (Welt, 2022).
Doch der Verbund ist darauf vorbereitet: Er bietet umfassende Beratung, hilft bei der Finanzplanung und vermittelt Kontakte zu erfahrenen Projektgruppen. Außerdem springen Altprojekte mit Darlehen ein, wenn neue Gruppen ins Straucheln geraten.
Dauerhaft unverkäuflich – dauerhaft bezahlbar
Der eigentliche Clou des Modells ist seine Verkaufsblockade: Ein Wiederverkauf ist nur mit Zustimmung beider Gesellschafter möglich – und das Mietshäuser Syndikat sagt in der Regel nein. So wird der einmal entkommerzialisierte Wohnraum dauerhaft geschützt (Mietshäuser Syndikat, o.J.a).
Ein Haus bleibt also in Selbstverwaltung – auch wenn sich die Bewohner*innen austauschen. Das sichert langfristig stabile Mieten, weil keine Profite abgeschöpft werden müssen. Nach Tilgung der Kredite sinken die Kosten – und können in Rücklagen, Instandhaltung oder soziale Projekte fließen (Gemeinschaftliches Wohnen, o.J.).
Fazit: Ein solidarischer Gegenentwurf zum Mietenwahnsinn
Das Mietshäuser Syndikat ist mehr als ein Bauprojekt. Es ist ein praktisches Beispiel für gelebte Commons: Ressourcen, die gemeinschaftlich besessen und verantwortungsvoll verwaltet werden. Die Häuser gehören keinem Investor – sondern sich selbst und den Menschen, die darin leben.
Trotz organisatorischer Hürden, Finanzierungsrisiken und Bürokratie zeigt das Modell, dass solidarisches Wohnen möglich ist. Und es wächst: Immer mehr Menschen organisieren sich, schließen sich zusammen, gründen Hausvereine und schaffen Raum zum Leben – jenseits von Verwertungslogik und Verdrängung.
Quellenangaben
Gemeinschaftliches Wohnen (o.J.) Was ist das Mietshäuser Syndikat und wie funktioniert es? [online] Gemeinschaftliches-Wohnen.de. Verfügbar unter: https://www.gemeinschaftliches-wohnen.de/faq/was-ist-das-mietshaeuser-syndikat-und-wie-funktioniert-es/ [Zugriff am 26. Juli 2025].
Helfrich, S. und Bollier, D. (2014) Commons – Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat. 2. Aufl. Bielefeld: transcript Verlag.
Mietshäuser Syndikat (o.J.a) FAQ: Wie funktioniert das Syndikatsmodell? [online] syndikat.org. Verfügbar unter: https://www.syndikat.org/faq/ [Zugriff am 26. Juli 2025].
Mietshäuser Syndikat (o.J.b) Projektverbund [online] syndikat.org. Verfügbar unter: https://www.syndikat.org/der-projektverbund/ [Zugriff am 26. Juli 2025].
Test.de (2013) Mietshäuser Syndikat – Anlegergeld für selbstverwaltete Mietshäuser: sozial und riskant. [online] Stiftung Warentest. Verfügbar unter: https://www.test.de/Mietshaeuser-Syndikat-Anlegergeld-fuer-selbstverwaltete-Mietshaeuser-sozial-und-riskant-4802835-0/ [Zugriff am 26. Juli 2025].
Wikipedia (2024) Mietshäuser Syndikat [online] Wikipedia. Verfügbar unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Mietsh%C3%A4user_Syndikat [Zugriff am 26. Juli 2025].
Wohnprojekt Vielsam (2024) Finanzierung und Struktur [online] wohnprojekt-vielsam.de. Verfügbar unter: https://wohnprojekt-vielsam.de/finanzierung/ [Zugriff am 26. Juli 2025].
Welt (2022) Solidarische Wohnprojekte unter Druck [online] Welt.de. Verfügbar unter: https://www.welt.de/238978695 [Zugriff am 26. Juli 2025].
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