Das Problem: Rückgang der Biodiversität in der Kulturlandschaft
In den letzten Jahrzehnten hat die Intensivierung der Landwirtschaft zu einem alarmierenden Rückgang der Biodiversität geführt. Monokulturen, der Einsatz von Pestiziden und das Verschwinden natürlicher Lebensräume haben zahlreiche Tier- und Pflanzenarten an den Rand des Aussterbens gebracht. Besonders betroffen sind traditionelle Kulturlandschaften, in denen einst eine reiche Vielfalt an Flora und Fauna herrschte. Der Verlust dieser Biodiversität gefährdet nicht nur das ökologische Gleichgewicht, sondern auch die langfristige Produktivität und Resilienz landwirtschaftlicher Systeme (Vahle, 2018).
Die Lösung: Das 10-Biotope-Konzept und seine Umsetzung
Eine innovative Antwort auf dieses drängende Problem bietet das „10-Biotope-Konzept“ des Pflanzensoziologen Dr. Hans-Christoph Vahle. Dieses Konzept identifiziert zehn charakteristische Biotoptypen, die durch gezielte Maßnahmen in landwirtschaftlichen Betrieben geschaffen oder erhalten werden können, um die Artenvielfalt zu fördern. Dazu zählen unter anderem Lichtrasen, Steinmauern, Hofteiche und Feuchtwiesen. Ziel ist es, vielfältige Lebensräume für heimische Wild- und Kulturpflanzen sowie für die Tierwelt zu schaffen und so die ökologische Balance zu unterstützen (Vahle, 2018).
In der Bodenseeregion haben sich die Initiative für neue Kulturpflanzen e. V. und die Erzeugergemeinschaft Demeter MilchBauern Süd zusammengeschlossen, um dieses Konzept in die Praxis umzusetzen. Die Demeter MilchBauern Süd, eine Gemeinschaft von Biolandwirten, vermarkten ihre Milchprodukte unter dem Namen „Demeter Heumilch Bauern“ und sind in Oberschwaben, dem Bodenseekreis, dem Linzgau sowie im Allgäu aktiv. Dank Fördermitteln des Landes Baden-Württemberg konnten bereits Ende 2022 auf 30 Höfen in Baden-Württemberg erste Flächen als artenreiche Biotope aufgewertet werden. Zehn weitere Höfe in Bayern folgten Anfang 2024 mit finanzieller Unterstützung der Software AG – Stiftung (SAGST) (SAGST, 2024).
Die Akteure: Engagement und Zusammenarbeit
Die Umsetzung dieses ambitionierten Projekts erfolgt in enger Zusammenarbeit mit den beteiligten Landwirtinnen und Landwirten. Eine zentrale Rolle spielt dabei Holger Meyer zur Müdehorst, dessen Hof in Heiligenholz im Bodenseekreis ebenfalls Teil des Projekts ist. Als federführender Koordinator sorgt er für die Abstimmung zwischen den Höfen und der wissenschaftlichen Begleitung. Unterstützt wird die Initiative von der Akademie für angewandte Vegetationskunde in Witten, die von Dr. Vahle gegründet wurde. Gemeinsam werden Bestandsaufnahmen der Flora und Fauna durchgeführt, Pflanz- und Pflegekonzepte entwickelt und die Umsetzung der Maßnahmen begleitet (Akademie für angewandte Vegetationskunde, 2023).
Ein herausragendes Beispiel für das Engagement der Landwirte ist Max Löcherer aus Lengenwang im Landkreis Ostallgäu. Auf etwa 800 Metern Höhe bewirtschaftet er einen Milchviehbetrieb und hat sich intensiv für die Förderung der Artenvielfalt auf seinen Flächen eingesetzt. Durch schonende und insektenfreundliche Mähmethoden, wie den Einsatz eines Messerbalken-Mähwerks, konnten sich auf seinen Wiesen über 60 seltene Pflanzenarten ansiedeln. Darunter befindet sich der Große Wiesenknopf, eine wichtige Futterpflanze für den bedrohten Dunklen Wiesenknopf-Ameisenbläuling, einen europaweit gefährdeten Schmetterling (SAGST, 2024).
Erfolgreiche Umsetzung: Positive Effekte und Zukunftsperspektiven
Die bisherigen Ergebnisse des Projekts sind beeindruckend: Über 400 neue ökologische Zonen wurden auf 40 Demeter-Höfen in der Bodenseeregion geschaffen. Diese Biotope bieten nicht nur Lebensraum für zahlreiche gefährdete Arten, sondern tragen auch zur ökologischen Stabilität und zur Verbesserung des Landschaftsbildes bei. Ein besonderer Aspekt des Projekts ist die Verbindung von ökologischen Maßnahmen mit individueller und gemeinschaftlicher Bewusstseinsbildung. Die intensive Auseinandersetzung der Landwirte mit den Biotopflächen und deren Pflanzengesellschaften fördert nicht nur den Naturschutz, sondern schafft auch neue Impulse für das soziale Miteinander. Dieser integrative Ansatz könnte als Modell für ähnliche Initiativen dienen und zeigt, wie nachhaltige Landwirtschaft und Naturschutz Hand in Hand gehen können (SAGST, 2024).
Ein begleitendes Forschungsprojekt untersucht und dokumentiert diesen Zusammenhang durch Interviews zu Beginn und am Ende der Projektphase. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen dazu beitragen, die Effektivität solcher Maßnahmen weiter zu steigern und als Grundlage für zukünftige Projekte dienen. Die enge Zusammenarbeit zwischen Landwirten, Wissenschaftlern und Förderinstitutionen zeigt, dass gemeinsames Engagement und der Austausch von Wissen entscheidend für den Erfolg solcher Initiativen sind (SAGST, 2024).
Fazit: Ein Modell mit Strahlkraft
Das Projekt in der Bodenseeregion demonstriert eindrucksvoll, wie Landwirtschaft und Naturschutz synergistisch wirken können. Durch die Schaffung vielfältiger Biotope auf landwirtschaftlichen Flächen wird nicht nur die Artenvielfalt gefördert, sondern auch die ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit der Betriebe gestärkt. Die aktive Rolle der Landwirte als Gestalter ihrer Umwelt und die Unterstützung durch wissenschaftliche Expertise und Fördermittel bilden dabei die Grundlage für den Erfolg. Dieses Modell könnte wegweisend für andere Regionen sein und zeigt, dass der Schutz der Biodiversität und eine produktive Landwirtschaft keine Gegensätze sein müssen, sondern sich gegenseitig bereichern können.
Literaturverzeichnis
- Akademie für angewandte Vegetationskunde (2023) ’10 Biotope‘. Verfügbar unter: https://vegetationskun.de/10-biotope/ (Zugriff am 19. Februar 2025).
- SAGST (2024) ‚Projekteinblicke‘. Verfügbar unter: https://www.sagst.de/was-wir-foerdern/projekteinblicke (Zugriff am 19. Februar 2025).
- Vahle, H.-C. (2018) Naturschutz in der Landwirtschaft: Das 10-Biotope-Konzept. Witten: Akademie für angewandte Vegetationskunde.
guteideen.org © 2025 by Gute Ideen ist lizenziert unter CC BY 4.0 . Kurz erklärt: Nutze alles und verlinke auf diesen Artikel.
Hast du Dich schon gefragt, was dieses „lizenziert unter CC BY 4.0“ bedeutet und warum das unter jedem Artikel steht?
Auf guteideen.org findet man genau das, was der Name schon sagt: Artikel über Menschen, Projekte und Unternehmen, die etwas Gutes bewegen wollen oder gar schon lange tun. Ob es eine Erfindung ist, oder ein grosses Herz für die, die niemanden haben. Weil mehr Menschen über diese Menschen und Projekte wissen sollten, sind alle Artikel nach dem Creative Commons Copyright veröffentlicht. Das heisst: Du kannst die Artikel als Inspiration nehmen oder komplett übernehmen. Einzige Bitte, bitte verlinke zu dem Blog oder den genutzten Artikel, dass mehr und mehr Menschen, Gute Ideen in die Welt setzen.