Das Problem: Ökologische Wüsten und soziale Isolation in Wohnquartieren
In deutschen Städten begegnet einem häufig das gleiche Bild: sterile Rasenflächen und monotone Bepflanzungen zwischen den Wohnblöcken. Diese Grünflächen sollen oft lediglich „pflegeleicht“ sein, doch in Wahrheit bieten sie weder für die Bewohnerinnen und Bewohner noch für die Natur einen Mehrwert. Die Folgen sind gravierend: Insekten, Vögel und andere Tierarten finden keine Nahrung oder Lebensräume, während gleichzeitig die Menschen in den Quartieren den Zugang zu ansprechend gestalteten, naturnahen Erholungsräumen vermissen.
Ein weiterer Aspekt ist die fehlende soziale Interaktion. Viele Mietwohnquartiere leiden unter einer anonymen Nachbarschaftskultur. Gemeinsame Treffpunkte, die zu Begegnungen einladen, sind rar. Diese Entwicklung führt nicht nur zu einem Verlust an Lebensqualität, sondern auch zu einer steigenden Entfremdung innerhalb der Wohnviertel. Gleichzeitig wird die Klimakrise sichtbarer: Hitzeinseln, mangelnde Regenwasserversickerung und ein Verlust an Grünflächen verschärfen die Probleme in dicht bebauten Städten (Bundesamt für Naturschutz, 2021).
Die Lösung: „Treffpunkt Vielfalt – PikoPark“
Hier setzt das bundesweite Modellprojekt „Treffpunkt Vielfalt – PikoPark“ an. Initiiert wurde es vom Wissenschaftsladen Bonn e. V. (WILA Bonn) mit Unterstützung der Stiftung für Mensch und Umwelt. Ziel ist es, ökologisch wertvolle und sozial nutzbare Mini-Parks, sogenannte PikoParks, in Wohnquartieren zu schaffen. Diese Flächen fördern die Biodiversität, schaffen Orte der Begegnung und leisten einen Beitrag zur Klimaanpassung (WILA Bonn, 2021).
Wer steckt hinter dem Projekt?
Der WILA Bonn, ein gemeinnütziger Verein mit Sitz in Nordrhein-Westfalen, wurde 1984 gegründet und hat sich der Vermittlung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft verschrieben. Mit rund 50 Mitarbeitenden setzt der Verein Projekte in den Bereichen Umweltbildung, Bürgerbeteiligung und nachhaltige Entwicklung um. Die PikoParks entstanden als Reaktion auf die wachsende Herausforderung, sowohl die biologische Vielfalt als auch die Lebensqualität in Städten zu fördern (Stiftung für Mensch und Umwelt, 2021).
Das Projekt wird durch das Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesumweltministeriums gefördert. Es arbeitet eng mit Wohnungsunternehmen und Anwohnerinnen und Anwohnern zusammen, um naturnahe Parks zu gestalten, die sowohl die Natur stärken als auch das soziale Miteinander fördern (Bundesamt für Naturschutz, 2021).
Erfolgreiche Beispiele: Wo PikoParks wirken
Bonn-Pennenfeld: Der erste PikoPark
Einer der ersten PikoParks wurde 2018 in Bonn-Pennenfeld realisiert. Eine monotone Rasenfläche von etwa 300 Quadratmetern wurde in Zusammenarbeit mit der Vereinigten Bonner Wohnungsbau AG (VEBOWAG) und den Anwohnerinnen und Anwohnern in eine grüne Oase verwandelt. Mit heimischen Wildpflanzen, einer Trockenmauer und Totholz entstanden Lebensräume für Insekten, Vögel und Kleintiere.
Ein wichtiger Teil des Projekts war die aktive Einbindung der Mieterschaft. Bewohnerinnen und Bewohner halfen bei der Pflanzung und Gestaltung, was die Identifikation mit dem Park und das nachbarschaftliche Miteinander förderte. Heute ist der PikoPark nicht nur ein Rückzugsort für Menschen, sondern auch ein Hotspot für Biodiversität (WILA Bonn, 2021).
Dortmund-Westerfilde: Bildung trifft Biodiversität
In Dortmund-Westerfilde ging der WILA Bonn eine Kooperation mit Vonovia SE ein. Auf einer bisher ungenutzten Fläche entstand ein PikoPark, der nicht nur als Erholungsraum dient, sondern auch als Bildungsort. Workshops und Informationsveranstaltungen zu Themen wie Insektenfreundlichkeit und naturnahe Gestaltung schufen ein Bewusstsein für die Bedeutung solcher Grünflächen.
Ein besonderes Highlight ist die Integration von Wildblumenwiesen, die saisonale Blühaspekte bieten und ein Paradies für Bienen und Schmetterlinge sind. Die Workshops stärkten zudem die Nachbarschaftsbindung, da viele Menschen erstmals in Kontakt kamen und gemeinsam aktiv wurden (Stiftung für Mensch und Umwelt, 2021).
Erfurt: Essbare Vielfalt
In Erfurt entstand in Zusammenarbeit mit der Wohnungsbaugenossenschaft Erfurt eG ein PikoPark, der sich durch essbare Wildpflanzen auszeichnet. Hier können die Bewohnerinnen und Bewohner nicht nur entspannen, sondern auch Beeren, Kräuter und andere Pflanzen ernten. Diese Kombination aus Biodiversität und Nutzbarkeit macht den Park besonders wertvoll und fördert das Bewusstsein für regionale Flora.
Eine Bewohnerin berichtete, dass sie durch die Pflanzaktionen erstmals ihre Nachbarn kennenlernte und seither regelmäßig Zeit im Park verbringt. Dies zeigt, wie stark solche Projekte auch die soziale Dynamik eines Quartiers beeinflussen können (Bundesamt für Naturschutz, 2021).
Was macht PikoParks erfolgreich?
Die erfolgreichen Beispiele zeigen, dass die Stärke der PikoParks in ihrer Vielschichtigkeit liegt:
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Partizipation: Bewohnerinnen und Bewohner werden aktiv in die Planung und Umsetzung eingebunden. Dies erhöht die Akzeptanz und sorgt für eine langfristige Pflege der Flächen.
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Kollaboration: Wohnungsunternehmen und lokale Partner arbeiten eng mit den Projektträgern zusammen, um Flächen bereitzustellen und die Finanzierung zu sichern.
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Ökologische Planung: Experten für Landschaftsarchitektur und Naturschutz sorgen dafür, dass die Parks ökologische und gestalterische Standards erfüllen.
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Bildung und Aufklärung: Veranstaltungen und Infotafeln fördern das Bewusstsein für Biodiversität und Klimaanpassung.
Herausforderungen und Lessons Learned
Die Umsetzung solcher Projekte ist jedoch nicht ohne Hürden. Viele Wohnungsunternehmen stehen anfangs skeptisch gegenüber, da sie die langfristigen Pflegekosten fürchten. Ebenso gibt es manchmal Vorbehalte seitens der Mieterschaft, die an den bisherigen Zustand der Grünflächen gewöhnt ist. Doch durch transparente Kommunikation und Beteiligung konnten diese Herausforderungen in den meisten Fällen überwunden werden.
Ein Schlüssel zum Erfolg war die langfristige Pflege der Parks durch Anwohnerinnen und Anwohner, die durch Schulungen und Unterstützung befähigt wurden, die Flächen eigenständig zu betreuen. Dies zeigt, dass Nachhaltigkeit nicht nur ökologisch, sondern auch sozial gedacht werden muss (WILA Bonn, 2021).
Fazit: Kleine Parks, große Wirkung
Die PikoParks sind ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie durch gemeinschaftliches Engagement und naturnahe Gestaltung urbane Probleme gelöst werden können. Sie bieten nicht nur einen Mehrwert für die Natur, sondern schaffen auch Räume für Begegnungen und stärken das soziale Miteinander in den Wohnquartieren. In einer Zeit, in der Klimaanpassung und Biodiversität immer wichtiger werden, zeigt das Projekt „Treffpunkt Vielfalt – PikoPark“, wie lokale Lösungen globale Herausforderungen adressieren können.
Quellen
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Bundesamt für Naturschutz (2021): Treffpunkt Vielfalt – Naturnahe Gestaltung und Pflege von Freiflächen in Wohnquartieren. Verfügbar unter: https://www.bfn.de/projektsteckbriefe/treffpunkt-vielfalt [Zugriff am 16. November 2024].
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Stiftung für Mensch und Umwelt (2021): PikoPark – Naturnaher Park in Wohnanlagen. Verfügbar unter: https://stiftung-mensch-umwelt.de/unsere-projekte/treffpunkte-der-vielfalt/pikoparks.html [Zugriff am 16. November 2024].
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WILA Bonn (2021): Treffpunkt Vielfalt – PikoPark. Verfügbar unter: https://www.wilabonn.de/projekte/847-pikoparks.html [Zugriff am 16. November 2024].
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PikoPark (2021): Das Modellprojekt. Verfügbar unter: https://www.pikopark.de/index.php/modellflaechen/projektinfo-pikopark [Zugriff am 16. November 2024].
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