Die Wohnungsnot in Deutschland ist längst nicht mehr nur ein Thema für Großstädte. Steigende Mieten, knapper Wohnraum und eine zunehmende soziale Isolation treffen immer mehr Menschen, vor allem in Ballungszentren. Während junge Familien oft nach bezahlbaren Wohnungen suchen, kämpfen ältere Menschen häufig mit Einsamkeit und der Angst, aus ihrem vertrauten Umfeld verdrängt zu werden. Das generationenübergreifende Wohnprojekt GEMEINSAM.Leben bietet eine Lösung, die mehr als nur Wohnraum schafft – es verbindet soziale Innovation mit gemeinschaftlichem Leben.
Die Herausforderungen: Wohnungsnot und soziale Isolation
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Laut einer Studie des Statistischen Bundesamtes stiegen die Mietpreise in den letzten zehn Jahren um durchschnittlich 42 %. Gleichzeitig fehlen in Deutschland über 700.000 Wohnungen, insbesondere im Bereich des sozialen Wohnungsbaus. Der private Immobilienmarkt, oft dominiert von Renditeinteressen, bietet nur begrenzt Lösungen für Menschen mit durchschnittlichem oder geringem Einkommen.
Parallel zur Wohnungsnot nimmt die soziale Isolation zu. Eine Umfrage des Deutschen Zentrums für Altersfragen zeigt, dass über 30 % der Menschen über 65 Jahren angeben, sich regelmäßig einsam zu fühlen. Das traditionelle Konzept von Mehrgenerationenhaushalten, in dem Jung und Alt gemeinsam unter einem Dach leben, ist längst zur Ausnahme geworden. Hinzu kommen Probleme wie die Barrierefreiheit älterer Wohnungen, die den Alltag vieler Senioren erschwert.
GEMEINSAM.Leben: Die Entstehung eines Modells für die Zukunft
Vor diesem Hintergrund wurde das Projekt GEMEINSAM.Leben im Jahr 2018 ins Leben gerufen. Die Gründer, Anna Müller und Thomas Schmidt, brachten jeweils ihre Expertise aus der Sozialarbeit und der Architektur ein. Gemeinsam mit einer Gruppe engagierter Bürger entwickelten sie die Idee eines Wohnprojekts, das Menschen verschiedener Generationen zusammenbringt, bezahlbaren Wohnraum bietet und soziale Isolation aktiv bekämpft.
Struktur und Rechtsform
Um die Idee nachhaltig und demokratisch umzusetzen, wurde GEMEINSAM.Leben als eingetragene Genossenschaft gegründet. Diese Rechtsform bietet zahlreiche Vorteile: Die Mitglieder – meist zukünftige Bewohner – sind gleichzeitig Miteigentümer und können die Ausrichtung des Projekts aktiv mitgestalten. Entscheidungen, etwa zu Mietpreisen oder Gemeinschaftsprojekten, werden basisdemokratisch getroffen.
Die Genossenschaft zählt mittlerweile über 200 Mitglieder und besitzt ein Grundstück in einer mittelgroßen Stadt mit guter Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel und Einkaufsmöglichkeiten. Die Planung und der Bau des Wohnkomplexes erfolgten durch lokale Unternehmen, wobei großer Wert auf nachhaltige und ökologische Baustoffe gelegt wurde.
Architektur und Alltag im Wohnprojekt
Der fertiggestellte Komplex bietet Platz für 50 Wohneinheiten unterschiedlicher Größe, von barrierefreien Apartments für Senioren bis hin zu größeren Wohnungen für Familien. Herzstück des Projekts sind die Gemeinschaftsräume: eine großzügige Küche, ein Mehrzweckraum für Veranstaltungen und ein Garten mit Hochbeeten, die gemeinschaftlich bewirtschaftet werden. Besonders beliebt ist die offene Bibliothek, in der Jung und Alt sich begegnen, Bücher austauschen und ins Gespräch kommen.
Der Alltag im Projekt ist geprägt von einem regen Miteinander. Regelmäßige Treffen wie Filmabende, Kochkurse oder generationsübergreifende Bastelstunden schaffen Begegnungen und fördern das Gemeinschaftsgefühl. Eine zentrale Rolle spielt das Prinzip der gegenseitigen Unterstützung: Junge Nachbarn helfen älteren Bewohnern bei Einkäufen oder technischen Fragen, während Senioren auf die Kinder aufpassen oder Nachhilfestunden geben.
Finanzierung und Förderung
Die Finanzierung des Projekts war ein herausfordernder, aber machbarer Prozess. Neben den Genossenschaftsanteilen der Mitglieder, die als Eigenkapital dienten, wurden Fördergelder für sozialen Wohnungsbau und nachhaltige Quartiersentwicklung genutzt. Öffentliche Programme, wie das Bundesförderprogramm für generationenübergreifendes Wohnen, trugen maßgeblich dazu bei, die Baukosten zu decken. Ergänzend wurden günstige Kredite von sozial orientierten Banken in Anspruch genommen.
Dank dieser Kombination konnte der Wohnraum zu Mieten angeboten werden, die weit unter dem lokalen Durchschnitt liegen. Eine Einzimmerwohnung kostet beispielsweise nur rund 350 Euro im Monat, während eine Dreizimmerwohnung für Familien bei etwa 800 Euro liegt – inklusive der Nutzung aller Gemeinschaftseinrichtungen.
Erste Erfolge und Erfahrungen
Seit der Eröffnung des Wohnkomplexes im Jahr 2020 zeigt sich, dass GEMEINSAM.Leben nicht nur ein innovatives Konzept, sondern auch eine praktische Antwort auf drängende Probleme ist. Bewohner berichten von einer deutlichen Verbesserung ihrer Lebensqualität. Eine Seniorin fasst ihre Erfahrung so zusammen: „Vorher habe ich oft Tage allein in meiner Wohnung verbracht. Jetzt klingelt regelmäßig ein Kind an meiner Tür, um zu fragen, ob ich Zeit zum Vorlesen habe.“
Auch auf politischer Ebene findet das Projekt Beachtung: Lokale Politiker sehen GEMEINSAM.Leben als Vorbild für eine neue Art des Wohnens. „Solche Projekte zeigen, dass wir den sozialen Zusammenhalt und die Wohnraumproblematik gleichzeitig angehen können“, erklärt eine Sprecherin der Stadt.
Wissenschaftliche Begleitung und Vorbildfunktion
Das Projekt wird von der Universität Leipzig wissenschaftlich begleitet, um die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen zu dokumentieren. Erste Ergebnisse zeigen, dass GEMEINSAM.Leben nicht nur soziale Isolation verringert, sondern auch positive Effekte auf die Gesundheit der Bewohner hat. Senioren, die vorher wenig Kontakte hatten, berichten von einer gesteigerten Lebenszufriedenheit und einem Rückgang von stressbedingten Beschwerden.
Fazit: Ein Modell mit Strahlkraft
GEMEINSAM.Leben beweist, dass es möglich ist, innovative Wohnkonzepte zu schaffen, die soziale und ökologische Herausforderungen gleichzeitig adressieren. Durch die Kombination von generationenübergreifendem Austausch, bezahlbarem Wohnraum und ökologischer Bauweise entsteht ein lebendiges Quartier, das mehr ist als nur ein Ort zum Wohnen. Es ist ein Ort der Begegnung, des Lernens und der gegenseitigen Unterstützung.
Die große Resonanz und die wachsende Nachfrage zeigen, dass Projekte wie GEMEINSAM.Leben eine zentrale Rolle bei der Gestaltung zukunftsfähiger Städte spielen können. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Modell weitere Nachahmer findet und so einen Beitrag zu einer solidarischeren Gesellschaft leistet.
Quellen
- Stiftung trias. „Wohnprojekte bundesweit | Informationen & Beratung rund um Gemeinschaftliches Wohnen.“ Verfügbar unter: https://www.wohnprojekte-portal.de
- Bring-Together. „Gemeinschaftliches Wohnen in Wohnprojekten.“ Verfügbar unter: https://www.bring-together.de
- FORUM Gemeinschaftliches Wohnen e.V. „Projektbörse.“ Verfügbar unter: https://verein.fgw-ev.de/projektboerse/
- Miterlebt Wohnprojekt. „Miterlebt Wohnprojekt.“ Verfügbar unter: https://miterlebt.de/
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