Wohnungen für Obdachlose: Ein neuer Ansatz von Housing First in Deutschland

Das drängende Problem: Wohnungen für Obdachlose

Obdachlosigkeit ist eines der sichtbarsten und dringendsten sozialen Probleme in Deutschland. Laut der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. (BAG W) waren im Jahr 2022 rund 447.000 Menschen von Wohnungslosigkeit betroffen, darunter etwa 37.000 Kinder und Jugendliche (BAG W, 2023). Diese Zahl umfasst Menschen, die auf der Straße leben, in Notunterkünften untergebracht sind oder vorübergehend bei Bekannten oder Verwandten Unterschlupf finden.

Die Ursachen sind vielfältig: Mietpreiserhöhungen, Arbeitslosigkeit, psychische Erkrankungen und Suchterkrankungen zählen zu den Hauptfaktoren. Hinzu kommen familiäre Konflikte oder ein Mangel an sozialem Netzwerk, die Menschen in die Wohnungslosigkeit drängen können. Besonders gravierend: Das bestehende Hilfesystem, das oft auf stufenweise Wiedereingliederung setzt, greift nicht immer effektiv. Menschen in Notunterkünften oder temporären Lösungen kämpfen oft mit fehlender Privatsphäre, instabilen Verhältnissen und der Stigmatisierung, die ihre Reintegration erschweren.

Housing First: Ein innovativer Lösungsansatz für Wohnungen für Obdachlose

Vor diesem Hintergrund hat sich Housing First als revolutionärer Ansatz für Wohnungen für Obdachlose etabliert. Das Konzept, das erstmals in den 1990er Jahren in den USA umgesetzt wurde, dreht das traditionelle Hilfesystem auf den Kopf: Statt obdachlosen Menschen zunächst Abstinenz oder Therapieerfolge abzuverlangen, stellt Housing First unmittelbar dauerhaft Wohnungen für Obdachlose zur Verfügung (Tsemberis, 2010).

Die Grundidee ist einfach, aber wirkungsvoll: Ein stabiler Wohnsitz bietet nicht nur Schutz und Sicherheit, sondern schafft auch die Grundlage für weitere positive Entwicklungen in anderen Lebensbereichen. Anders als traditionelle Hilfsangebote setzt Housing First auf Freiwilligkeit: Betroffene können weitere Unterstützungsangebote wie Suchttherapie oder psychosoziale Betreuung in Anspruch nehmen, sind dazu jedoch nicht verpflichtet. Das Konzept hat weltweit Aufmerksamkeit erlangt, vor allem aufgrund seiner messbaren Erfolge in Ländern wie Finnland, wo Housing First maßgeblich dazu beigetragen hat, die Straßenobdachlosigkeit nahezu auszurotten (Pleace et al., 2015).

Housing First in Deutschland: Von der Idee zur Umsetzung

In Deutschland hat sich der 2023 gegründete Bundesverband Housing First e.V. als zentrale Instanz etabliert, um die Verbreitung dieses Ansatzes voranzutreiben. Der Verband agiert als Netzwerk und Interessenvertretung, unterstützt lokale Projekte und sorgt dafür, dass die Kernprinzipien von Housing First eingehalten werden (Bundesverband Housing First e.V., 2023). Dazu gehören unter anderem:

  • Keine Vorbedingungen für die Wohnungsvergabe
  • Sicherstellung eines regulären Mietvertrags
  • Langfristige Betreuung und Begleitung auf freiwilliger Basis

Mitglieder des Verbands sind unter anderem soziale Träger, Kommunen und Wohnungsunternehmen, die sich für die Umsetzung von Housing First einsetzen.

Erfolgreiche Praxisbeispiele aus deutschen Städten

Mehrere Städte in Deutschland haben Housing First-Projekte erfolgreich eingeführt. Ein herausragendes Beispiel ist Hamburg, wo die Diakonie seit 2021 ein Housing First-Projekt betreibt. Bis Oktober 2024 konnten 30 Wohnungen für Obdachlose Menschen vermittelt werden – ein Erfolg, der die Bürgerschaft dazu bewogen hat, zusätzliche Mittel bereitzustellen (TAZ, 2024).

Auch Berlin zählt zu den Vorreitern. Zwischen 2018 und 2021 wurden im Rahmen von Modellprojekten über 40 Wohnungen für Obdachlose Menschen vergeben. Ein besonderes Augenmerk lag hier auf Frauen, die häufig von spezifischen Formen der Gewalt und Diskriminierung betroffen sind. Die wissenschaftliche Begleitung der Projekte zeigte, dass 90 % der Teilnehmenden langfristig in ihren Wohnungen blieben und sich ihre Lebenssituation stabilisierte (Berlin.de, 2021).

Ein weiteres bemerkenswertes Projekt findet in Köln statt, wo die Caritas seit 2020 Housing First-Angebote umsetzt. Besonders hervorzuheben ist die Zusammenarbeit mit lokalen Wohnungsunternehmen, die explizit für das Projekt Wohnungen für Obdachlose bereitstellen. Eine Erfolgsgeschichte ist die eines Teilnehmers, der nach zehn Jahren auf der Straße nicht nur eine Wohnung fand, sondern durch die Stabilität seiner Wohnsituation auch wieder eine feste Anstellung aufnehmen konnte. Diese individuellen Erfolgsgeschichten unterstreichen die transformative Kraft des Housing First-Ansatzes.

Herausforderungen und Zukunftsperspektiven

Trotz der Erfolge stehen Housing First-Projekte vor großen Herausforderungen. Der angespannte Wohnungsmarkt in vielen deutschen Städten erschwert die Bereitstellung von geeigneten Wohnungen für Obdachlose. Hinzu kommen finanzielle Hürden, da die langfristige Betreuung der Teilnehmenden personelle Ressourcen erfordert. Dennoch sehen Expert

im Housing First-Ansatz einen zukunftsweisenden Weg, um Obdachlosigkeit nachhaltig zu reduzieren.

Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag von 2021 angekündigt, Housing First bundesweit zu fördern. Der Bundesverband Housing First e.V. fordert in diesem Zusammenhang eine engere Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen sowie eine Ausweitung der finanziellen Mittel, um das Konzept flächendeckend umsetzen zu können (Bundesverband Housing First e.V., 2023).

Fazit: Ein Ansatz mit Potenzial

Housing First stellt einen Paradigmenwechsel in der Wohnungslosenhilfe dar. Statt obdachlose Menschen schrittweise in ein eigenständiges Leben zu begleiten, setzt dieses Konzept direkt auf die Bereitstellung von Wohnungen für Obdachlose – ohne Vorbedingungen. Die bisherigen Erfolge in Städten wie Hamburg, Berlin und Köln zeigen, dass Housing First nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen erheblich verbessert, sondern auch langfristig kosteneffizient ist, da es teure Notunterkünfte und Krankenhausaufenthalte reduziert. Mit der Unterstützung von Initiativen wie dem Bundesverband Housing First e.V. besteht die Chance, das Konzept in ganz Deutschland zu etablieren und so Tausenden von Menschen den Weg zurück in ein stabiles Leben zu ermöglichen.

Quellen

Berlin.de (2021). Housing First Berlin. Verfügbar unter: https://www.berlin.de/sen/soziales/besondere-lebenssituationen/wohnungslose/wohnen/housing-first-1293115.php (Abgerufen am 16.11.2024).

Bundesverband Housing First e.V. (2023). Profil. Verfügbar unter: https://bundesverband-housingfirst.de/profil/ (Abgerufen am 16.11.2024).

Pleace, N., & Bretherton, J. (2015). Housing First in Europe. Feantsa. Verfügbar unter: https://housingfirsteurope.eu/ (Abgerufen am 16.11.2024).

TAZ (2024). Housing First in Hamburg: Nur ein kleiner Tropfen. Verfügbar unter: https://taz.de/Housing-First-in-Hamburg/!6046585/ (Abgerufen am 16.11.2024).

 

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