Vor der Sekem Initiative gab es nur Wüste.
Ägypten, ein Land mit einer der höchsten Bevölkerungsdichten entlang des Nils, kämpft seit Jahrzehnten gegen ein scheinbar unüberwindbares Problem: die Ausbreitung der Wüste. Über 90 Prozent der Landfläche Ägyptens bestehen aus trockenem, sandigem Terrain, das sich kaum für die Landwirtschaft eignet. Während die wachsende Bevölkerung Druck auf die wenigen fruchtbaren Gebiete ausübt, verschärft der Klimawandel das Problem. Die wachsende Wüstenbildung und die zunehmende Wasserknappheit stellen enorme Herausforderungen für die Ernährungssicherheit und die Lebensgrundlage von Millionen Menschen dar.
Die Landwirtschaft, die in Ägypten fast 30 Prozent der Arbeitsplätze stellt, ist besonders betroffen. Hohe Salzgehalte im Boden und ineffiziente Bewässerungssysteme führen zu sinkenden Erträgen, während die Nachfrage nach Lebensmitteln weiter steigt. Dieser Teufelskreis droht nicht nur die Umwelt, sondern auch die soziale Stabilität des Landes zu gefährden. Inmitten dieser Krise entschied sich ein Mann, das scheinbar Unmögliche zu versuchen: die Wüste in fruchtbares Land zu verwandeln.
Die Vision von Sekem: Eine Oase der Hoffnung
1977 gründete der ägyptische Wissenschaftler und Unternehmer Ibrahim Abouleish die Sekem Initiative mit einer klaren Mission: Wüstenland in eine nachhaltige, lebendige Gemeinschaft zu verwandeln. Abouleish, der viele Jahre in Österreich Medizin und Chemie studiert hatte, kehrte in seine Heimat zurück, um seinen Traum zu verwirklichen. Er kaufte ein 70 Hektar großes Stück Wüstenland nordöstlich von Kairo und begann mit der Transformation. Die Sekem Initiative basiert auf einem ganzheitlichen Ansatz, der ökologische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Aspekte miteinander verbindet.
Abouleish setzte von Anfang an auf biodynamische Landwirtschaft. Diese Methode, die auf den Ideen des Anthroposophen Rudolf Steiner basiert, verwendet natürliche Düngemittel, Fruchtwechsel und Kompost, um die Bodenfruchtbarkeit zu erhöhen. Anstatt chemische Pestizide und synthetische Dünger einzusetzen, fördert Sekem ein ökologisches Gleichgewicht, das die Böden regeneriert und langfristig erhält. Zudem wurde ein innovatives Bewässerungssystem installiert, das Wasser effizient nutzt – ein entscheidender Faktor in einem Land, das zu den wasserärmsten der Welt gehört.
Soziales und wirtschaftliches Wachstum Hand in Hand
Die Sekem Initiative ist jedoch weit mehr als ein landwirtschaftliches Projekt. Es ist ein Modell für nachhaltige Entwicklung, das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Aspekte integriert. Im Mittelpunkt steht die Vision, eine Gemeinschaft zu schaffen, die nicht nur die Umwelt regeneriert, sondern auch den Menschen dient. Auf dem Gelände der Sekem Initiative wurden Schulen, medizinische Einrichtungen und Ausbildungszentren errichtet, die der lokalen Bevölkerung zugutekommen.
Die wirtschaftliche Dimension der Sekem Initiative ist ebenso beeindruckend. Die Organisation wuchs von einem kleinen Familienprojekt zu einem Netzwerk aus Unternehmen, die ökologische Produkte herstellen und vertreiben. Heute umfasst die Sekem Initiative mehrere Unternehmen, darunter Firmen für Lebensmittelproduktion, Textilien und Naturheilmittel. Die Produkte, die streng nach biodynamischen Standards hergestellt werden, sind nicht nur in Ägypten, sondern auch international gefragt. Die Einnahmen fließen zurück in die Gemeinschaft und finanzieren soziale Projekte, wie etwa die Sekem-Schule, die besonders auf Inklusion und Förderung von benachteiligten Kindern setzt.
Erfolgreiche Umsetzung in der Praxis
Die Erfolge von Sekem sprechen für sich. Über die Jahre hat das Projekt Tausende von Hektar Wüstenland in produktive Landwirtschaftsflächen verwandelt. Diese Flächen produzieren heute Obst, Gemüse, Getreide und Kräuter, die sowohl den lokalen Markt bedienen als auch exportiert werden. Besonders bemerkenswert ist die positive Wirkung auf die Bodenqualität: Durch die biodynamischen Methoden hat sich der Humusgehalt signifikant erhöht, wodurch die Wasserspeicherfähigkeit und die Erträge gesteigert wurden.
Ein weiterer Meilenstein ist die Schaffung von Arbeitsplätzen in einer Region, die oft unter hoher Arbeitslosigkeit leidet. Sekem beschäftigt heute rund 2.000 Menschen direkt und schafft über sein Netzwerk zahlreiche indirekte Arbeitsplätze. Die Mitarbeiter werden nicht nur fair bezahlt, sondern haben Zugang zu Bildungs- und Gesundheitsangeboten, die ihre Lebensqualität deutlich verbessern.
Ein Beispiel für den Erfolg von Sekem ist die Geschichte eines ehemaligen Arbeiters, der einst als Tagelöhner auf den Feldern der Umgebung tätig war. Dank der Ausbildung, die er bei Sekem erhielt, wurde er Facharbeiter in der Produktion von Heilkräutern. Heute ist er Vorarbeiter und sichert das Einkommen seiner Familie, während er gleichzeitig stolz darauf ist, Teil eines Projekts zu sein, das die Umwelt schützt und der Gemeinschaft dient.
Die Organisation hinter der Sekem Initiative
Sekem ist als gemeinnützige Organisation mit einer Reihe von Tochterunternehmen organisiert. Die rechtliche Struktur ermöglicht es, wirtschaftliche Gewinne in soziale und ökologische Projekte zu reinvestieren. Die Organisation wird heute von Helmy Abouleish, dem Sohn des Gründers, geleitet und hat zahlreiche internationale Partner und Unterstützer. So wurde Sekem mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet, darunter der Right Livelihood Award, der oft als „Alternativer Nobelpreis“ bezeichnet wird.
Das Projekt dient mittlerweile auch als Bildungszentrum für nachhaltige Entwicklung. Die 2012 gegründete Heliopolis-Universität für nachhaltige Entwicklung, die Teil des Sekem-Netzwerks ist, bietet Studiengänge in Umweltwissenschaften, nachhaltiger Wirtschaft und Ingenieurwesen an. Diese Universität zieht Studierende aus ganz Ägypten und darüber hinaus an und trägt dazu bei, das Wissen und die Vision von Sekem in die Welt zu tragen.
Die Sekem Initiative: Ein Modell für die Zukunft
Sekem ist mehr als nur ein landwirtschaftliches Projekt – es ist ein Leuchtturm für nachhaltige Entwicklung in einer Zeit, in der die Welt dringend innovative Lösungen für globale Herausforderungen benötigt. Das Modell zeigt, dass selbst scheinbar unfruchtbares Land zu einem fruchtbaren Paradies werden kann, wenn ökologische, soziale und wirtschaftliche Aspekte ganzheitlich betrachtet werden.
Die Vision von Ibrahim Abouleish lebt weiter, nicht nur in Ägypten, sondern auch als Inspiration für andere Projekte weltweit. Sekem hat bewiesen, dass es möglich ist, die Wüste zum Blühen zu bringen – eine Hoffnung, die in einer immer heißer werdenden Welt von unschätzbarem Wert ist.
Quellenangaben
- Demeter (2024) Sekem Initiative: Beispiel einer nachhaltigen Entwicklung. Available at: https://www.demeter.net/sekem (Accessed: 8 November 2024).
- Right Livelihood Award (2024) Sekem – Right Livelihood Award. Available at: https://www.rightlivelihood.org/laureates/sekem/ (Accessed: 8 November 2024).
- Heliopolis University (2024) About Heliopolis University. Available at: https://www.hu.edu.eg/about (Accessed: 8 November 2024).
- Sekem (2024) Sekem: A holistic approach to sustainable development. Available at: https://www.sekem.com (Accessed: 8 November 2024).
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