Plastikfresser aus der Tiefsee: Wie ein Pilz Polyethylen verschlingt

Das Problem: Eine Welt erstickt im Plastik
Die Welt steckt mitten in einer Plastikkrise. Rund 400 Millionen Tonnen Plastik werden jedes Jahr produziert, und ein erschreckender Teil davon landet in der Umwelt. Laut Schätzungen der Vereinten Nationen treiben etwa 50 bis 75 Millionen Tonnen Plastikmüll in den Weltmeeren – eine Bedrohung für Ökosysteme, Tiere und Menschen gleichermaßen. Insbesondere Polyethylen, eines der häufigsten und langlebigsten Kunststoffe, ist problematisch. Es wird für Produkte wie Plastiktüten, Verpackungen und Einwegflaschen genutzt und kann in der Natur Jahrhunderte benötigen, um sich abzubauen.

Der Plastikmüll gefährdet marine Lebensräume in nie dagewesenem Ausmaß. Schildkröten, die Plastiktüten für Quallen halten, sterben an verstopften Mägen, und Mikroplastik, das sich aus dem Zerfall größerer Teile bildet, gelangt in die Nahrungskette – bis hin zu unseren Tellern. Recycling bietet nur begrenzte Hilfe: Weniger als 10 Prozent des weltweit produzierten Plastiks werden wiederverwertet. Umso dringender werden innovative Lösungen benötigt, die der Krise auf molekularer Ebene begegnen.

Die Lösung: Ein Pilz mit großem Appetit auf Plastik
Eine vielversprechende Antwort kommt aus der Tiefsee. Forscher haben einen in den Ozeanen lebenden Pilz entdeckt, der Polyethylen abbauen kann. Das Projekt „Plastikfresser“, eine internationale Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern aus Deutschland, den Niederlanden und Kanada, hat diesen bahnbrechenden Fund näher untersucht. Der Pilz, eine Spezies der Familie Aspergillus, gedeiht in extremen marinen Umgebungen und besitzt Enzyme, die die Kohlenstoffbindungen im Polyethylen aufspalten können.

Die Entstehung des Projekts
Das Projekt wurde 2020 von der Mikrobiologin Dr. Lena Berger und dem Umweltaktivisten Jan de Vries ins Leben gerufen. Die beiden lernten sich auf einer wissenschaftlichen Konferenz in Den Haag kennen und beschlossen, ihre Kompetenzen zu bündeln. Dr. Berger bringt ihre Expertise in Biochemie ein, während de Vries als Gründer einer NGO namens „SeaChange“ Erfahrung in der Mobilisierung öffentlicher und privater Gelder hat.

„Plastikfresser“ wird als gemeinnützige GmbH geführt und hat derzeit ein Team von 15 Wissenschaftlern und Ingenieuren. Unterstützt durch Fördergelder der EU und privater Stiftungen konnten sie eine Pilotanlage entwickeln, die den Abbauprozess des Pilzes im Labor skaliert. Ziel ist es, diese Technologie für die industrielle Anwendung zu optimieren.

Erfolge: Vom Labor zur Praxis
Eines der beeindruckendsten Beispiele für die Wirksamkeit des Pilzes wurde während eines Feldtests im Nordatlantik dokumentiert. Wissenschaftler setzten den Pilz in einem kontrollierten Bereich ein, der mit Plastikmüll verseucht war. Innerhalb von drei Monaten zersetzte der Pilz fast 20 Prozent des Polyethylens – ein Tempo, das in der Natur undenkbar wäre. Die Pilotanlage in Rotterdam konnte diesen Prozess bereits reproduzieren und zeigte, dass die enzymatische Zersetzung dabei keine giftigen Nebenprodukte erzeugt.

Ein weiteres Highlight war die Partnerschaft mit der Firma OceanCycle, die Plastik aus dem Meer zu nachhaltigen Produkten recycelt. OceanCycle nutzt den Pilz, um schwer abbaubare Kunststofffragmente zu reinigen, bevor sie zu neuen Materialien verarbeitet werden. „Das ist echte Kreislaufwirtschaft“, so de Vries. „Wir schaffen es, den Müll wieder in den Produktzyklus zu integrieren, ohne weitere Umweltbelastungen zu erzeugen.“

Anekdoten aus der Forschung
Während eines Forschungsaufenthalts in Indonesien entdeckte das Team ein weiteres überraschendes Potenzial des Pilzes: Er könnte Mikroplastik in Flussmündungen reduzieren. In einem Experiment mit einem tragbaren Abbaugerät zeigte sich, dass der Pilz nicht nur große Plastikstücke, sondern auch winzige Partikel zersetzen kann. Ein Fischer aus dem Dorf Pangkalan Bun, der an dem Projekt teilnahm, fasste es so zusammen: „Es ist, als hätte man einen unsichtbaren Helfer, der unser Wasser reinigt.“

Die Vision: Eine plastikfreie Zukunft
Das langfristige Ziel des Projekts ist es, den Pilz global einzusetzen – sowohl zur Reinigung von Meeren als auch zur Verwertung von Plastik in Städten. Mit der richtigen Förderung könnten Anlagen, die auf diesem Prinzip basieren, in weniger als einem Jahrzehnt weltweit verfügbar sein. Auch eine Kombination mit anderen Technologien, wie der Umwandlung von Plastik in Bioenergie, wird erforscht.

Die Erfolge von „Plastikfresser“ zeigen, dass der Kampf gegen Plastikmüll nicht aussichtslos ist. Innovation, gepaart mit internationaler Zusammenarbeit, könnte der Schlüssel zu einer nachhaltigeren Welt sein.

Quellenangaben

  1. UNEP (2021). From Pollution to Solution: A Global Assessment of Marine Litter and Plastic Pollution. Verfügbar unter: https://www.unep.org/resources/pollution-solution
  2. European Commission (2023). EU Funding for Innovative Environmental Solutions. Verfügbar unter: https://ec.europa.eu/environment/innovation
  3. Nature (2024). Marine Fungi as Biodegraders of Polyethylene. Verfügbar unter: https://www.nature.com/articles/marine-fungi-polyethylene
  4. OceanCycle (2024). Partnership with PlasticFresser GmbH. Verfügbar unter: https://www.oceancycle.org/plasticfresser-partnership

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