Vergessene Weisheit: Wie traditionelle Gemüselagerung uns Energie und Lebensmittelverschwendung sparen könnte

Im Zeitalter von energieeffizienten Kühlschränken, cleveren Lagerungssystemen und Supermärkten, die uns das ganze Jahr über frische Produkte liefern, scheint die Frage nach traditionellen Lagerungsmethoden auf den ersten Blick wie ein nostalgischer Rückblick in vergangene Zeiten. Doch ein genauerer Blick zeigt, dass unsere Großeltern erstaunlich effizient und nachhaltig mit ihren Vorräten umgingen – oft mit besseren Ergebnissen, als moderne Kühlschränke heute bieten können. Die Zahlen sind beeindruckend: Mit traditionellen Lagerungsmethoden wie der Sandkiste oder dem Erdkeller konnten sie nicht nur die Haltbarkeit ihrer Lebensmittel verlängern, sondern auch den Geschmack und die Nährstoffqualität bewahren. Dieses Wissen, lange in Vergessenheit geraten, erlebt heute eine Wiederbelebung, initiiert von Start-ups und Umweltaktivisten, die das Potenzial dieser Methoden erkannt haben.

Das Problem: Lebensmittelverschwendung und hohe Energiekosten

Lebensmittelverschwendung gehört zu den größten Umweltproblemen unserer Zeit. Jährlich werden weltweit etwa 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel weggeworfen, das entspricht einem Drittel der gesamten Nahrungsmittelproduktion. Diese Verschwendung hat gravierende ökologische Folgen: Rund 8 % der globalen Treibhausgasemissionen stammen aus der Lebensmittelverschwendung (FAO, 2021). Ein beträchtlicher Teil davon geht auf das Konto von verderblichem Obst und Gemüse, das in Kühlschränken und Supermarktregalen vorzeitig verdirbt.

Hinzu kommen die hohen Energiekosten für Kühlung und Lagerung. Kühlschränke, so unverzichtbar sie auch erscheinen, gehören zu den größten Stromverbrauchern in privaten Haushalten. Ein durchschnittlicher Kühlschrank verbraucht etwa 500 kWh Strom pro Jahr, was jährlich etwa 200 kg CO₂-Emissionen und rund 300 Euro an Energiekosten verursacht (Statista, 2023). In Zeiten wachsender Energiepreise und eines zunehmenden Bewusstseins für die Umweltbelastungen des alltäglichen Lebens wird deutlich, dass Alternativen dringend benötigt werden.

Die Lösung: Alte Weisheit neu entdecken

Traditionelle Lagerungsmethoden wie die Sandkiste oder der Erdkeller könnten einen großen Teil des Problems lösen. Die Gründer des Start-ups „Vergessene Weisheit“ haben es sich zur Aufgabe gemacht, diese alten Methoden neu zu beleben und für die moderne Gesellschaft zugänglich zu machen. 2022 von den Agraringenieuren Anna Schulze und Max Fröhlich gegründet, ist das Start-up eine gemeinnützige Organisation, die Workshops und Beratung für Landwirte und Haushalte anbietet. Ziel ist es, diese natürlichen Lagerungsmethoden zu fördern, um sowohl die Haltbarkeit als auch die Qualität von Lebensmitteln zu verbessern und gleichzeitig Energie und Ressourcen zu sparen.

„Viele Leute sind überrascht, dass Möhren und Kartoffeln tatsächlich Monate überdauern können, wenn sie richtig gelagert werden – ganz ohne Kühlschrank“, sagt Anna Schulze in einem Interview. „Durch die Nutzung von Erdkellern und Sandkisten können Haushalte sowohl ihre Abhängigkeit von Elektrizität verringern als auch den Geschmack und die Nährstoffe der Lebensmittel erhalten.“

Die Sandkiste etwa ist eine einfache, aber äußerst effektive Methode. Hierbei werden Gemüse wie Karotten, Sellerie oder rote Bete in Schichten aus trockenem Sand gelagert. Der Sand bewahrt die natürliche Feuchtigkeit und verhindert gleichzeitig, dass das Gemüse austrocknet oder zu faulen beginnt. Im Vergleich zur Lagerung im Kühlschrank bleibt die Nährstoffdichte um bis zu 70 % besser erhalten, und die Haltbarkeit verlängert sich um rund 40 % (Kunz et al., 2019).

Erfolgreiche Umsetzung: Erdkeller und Sandkiste in der Praxis

Der Erfolg dieser Methoden lässt sich an vielen Beispielen ablesen. Landwirte und Biobauern in Deutschland und der Schweiz setzen zunehmend auf Erdkeller, um ihre Ernte über den Winter zu lagern. Erdkeller bieten konstante Temperaturen und eine natürliche Luftfeuchtigkeit, was sie ideal für die Lagerung von Gemüse macht. In einem solchen Keller bleibt die Temperatur das ganze Jahr über relativ stabil, was die Gemüsequalität schützt und eine kontinuierliche Luftzirkulation gewährleistet.

Ein Bio-Bauernhof im Allgäu berichtet, dass sie durch die Lagerung von Rote Bete und Karotten im Erdkeller fast 50 % weniger Verluste in der Erntezeit haben und zudem kaum noch Strom für Kühllagerungen benötigen. Landwirt Klaus Müller erzählt: „Früher hatten wir immer das Problem, dass unsere Kartoffeln im Februar zu keimen anfingen. Seit wir den Erdkeller nutzen, können wir die Ernte bis in den Frühling lagern, ohne Qualitätsverluste zu haben.“ Die Verwendung des Kellers erspart dem Hof jährlich etwa 500 kWh Strom und rund 200 kg CO₂-Emissionen (Landwirtschaftliches Zentrum Baden-Württemberg, 2023).

Die Sandkiste im Test

Eine weitere Initiative, die „Sandkisten-Challenge“, wurde 2023 von Vergessene Weisheit ins Leben gerufen und hat mittlerweile über 100 Teilnehmer. Ziel der Challenge ist es, Haushalte davon zu überzeugen, ihre Wurzelgemüse über den Winter in Sandkisten zu lagern und dabei den Stromverbrauch ihres Kühlschranks zu reduzieren. Die Ergebnisse sind erstaunlich: Teilnehmer berichten von Möhren, die fünf Monate frisch blieben, und von Kartoffeln, die erst nach sechs Monaten erste Keime zeigten.

Mit dem Sandkistenprojekt werden in den teilnehmenden Haushalten jährlich durchschnittlich 300 Euro an Stromkosten gespart und etwa 150 kg CO₂-Emissionen vermieden. Diese Erfolge haben dazu geführt, dass das Projekt nicht nur von privaten Haushalten, sondern auch von Restaurants und kleinen Lebensmittelläden angenommen wurde, die ihre Betriebskosten senken und ihren ökologischen Fußabdruck reduzieren wollen.

Ein Fazit und ein Blick in die Zukunft

Traditionelle Lagerungsmethoden wie die Sandkiste und der Erdkeller bieten erstaunliche Vorteile in einer modernen Gesellschaft, die immer mehr auf Nachhaltigkeit und Energieeinsparung setzt. Sie sind ein hervorragendes Beispiel dafür, wie vergessene Weisheit zur Lösung moderner Probleme beitragen kann. Anna Schulze und Max Fröhlich sind überzeugt: „Wenn wir das Wissen unserer Großeltern mit moderner Technik und wissenschaftlichen Erkenntnissen verbinden, können wir eine nachhaltige und klimafreundliche Lagerung von Lebensmitteln erreichen.“

Das Start-up plant in den kommenden Jahren, weitere Bildungsprogramme anzubieten und regional vernetzte Erdkellerprojekte zu initiieren. Der Traum: eine Gesellschaft, die weniger abhängig von Strom ist und mehr auf natürliches Wissen vertraut – für eine nachhaltigere Zukunft.

Quellenangaben

  • FAO (2021). Food Wastage Footprint & Climate Change. [online] Available at: https://www.fao.org/climate-change/food-wastage
  • Kunz, T., Meyer, S., & Schmitt, H. (2019). Nährstoffverluste bei der Lagerung von Wurzelgemüse. Agrarwissenschaftliche Studien, 37(2), 98-105.
  • Landwirtschaftliches Zentrum Baden-Württemberg (2023). Klimafreundliche Lagerung in der Landwirtschaft. [online] Available at: https://www.landwirtschaft-bw.de/klimafreundlich-lagern
  • Statista (2023). Stromverbrauch in deutschen Haushalten. [online] Available at: https://www.statista.com

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