Ein Problem im Herbstgewand
Jedes Jahr das gleiche Schauspiel: In deutschen Städten und Gemeinden bedecken zahllose bunte Blätter den Boden, ein farbenprächtiges Spektakel für das Auge, aber eine wahre Herausforderung für die Stadtverwaltungen. Rund 740.000 Tonnen Laub fallen jährlich in Deutschland an und müssen eingesammelt und entsorgt werden (Drösser, 2024). Dies verursacht nicht nur hohe Kosten, sondern bringt auch eine erhebliche Umweltbelastung mit sich, denn oft wird das Laub verbrannt oder aufwendig kompostiert. Die Entsorgung bleibt dabei alles andere als nachhaltig – eine Vergeudung wertvoller Biomasse, die als Abfall endet.
Die Gründe für dieses logistische und ökologische Problem liegen zum Teil in der Zusammensetzung des Laubs. Es enthält geringe Mengen an Nährstoffen und Schwermetallen, die eine direkte Verwertung als Düngemittel einschränken. Zudem ist die großflächige Kompostierung von Laub aufwendig und wenig effizient. Kommunen stehen vor der Frage: Was tun mit diesem natürlichen Abfall, der sich nicht sinnvoll für traditionelle Kreislaufverfahren eignet und jedes Jahr aufs Neue die Stadtkassen belastet? Die Suche nach nachhaltigen, kostengünstigen Alternativen hat in Deutschland inzwischen hohe Priorität.
Ein Durchbruch: Von Laub zu Biogas
Forschende des Leibniz-Instituts für Agrartechnik und Bioökonomie in Potsdam und des Thaer-Instituts an der Berliner Humboldt-Universität haben eine Lösung entwickelt, die für Aufsehen sorgt. Ein Verfahren, das es ermöglicht, die große Menge an Laub in deutschen Städten und Gemeinden direkt in Energie umzuwandeln – Strom aus totem Laub (Leibniz-Institut, 2024). Bei diesem Projekt, das als Bioenergie-Laub-Initiative ins Leben gerufen wurde, geht es um eine spezielle Nutzung von Biogasanlagen, die das trockene Laub vergären und daraus Biogas erzeugen. Dieses Biogas kann in Strom umgewandelt und in das allgemeine Netz eingespeist werden.
Die Idee ist so einfach wie revolutionär: Laub, das bisher als minderwertiger biologischer Abfall galt, wird in eine wertvolle Ressource umgewandelt. Die Initiative wurde 2022 von einem kleinen Team aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern beider Institute ins Leben gerufen. Mit einem interdisziplinären Ansatz, der Expertise aus den Bereichen Umweltwissenschaft, Verfahrenstechnik und Energiewirtschaft vereint, gelang es dem Team, das Verfahren innerhalb von zwei Jahren zur Marktreife zu bringen. Dabei wurde das Projekt vor allem durch die staatliche Förderung für nachhaltige Stadtentwicklung und den Bundesverband Bioökonomie unterstützt, wodurch die Forschungsarbeit finanziell abgesichert war.
Von der Theorie zur Praxis: Erfolgreiche Modellprojekte
Die Bioenergie-Laub-Initiative konnte bereits in mehreren deutschen Städten erfolgreich implementiert werden, darunter in Potsdam und Berlin. In einer ersten Testphase im Herbst 2023 wurden 50.000 Tonnen Laub gesammelt und zu einer eigens für das Projekt umgerüsteten Biogasanlage gebracht. Das Resultat? Die Anlage konnte durch die Vergärung der Blätter Strom für etwa 10.000 Haushalte bereitstellen und leistet so einen wertvollen Beitrag zur urbanen Energieversorgung (Müller et al., 2023).
Eine bemerkenswerte Episode stammt aus dem Modellprojekt in Potsdam. Dort gelang es dem Team, innerhalb von zwei Monaten mehr als 30.000 Euro Einsparungen bei den kommunalen Entsorgungskosten zu erzielen. „Diese Initiative spart nicht nur Geld, sondern leistet einen wichtigen Beitrag zur Senkung der CO₂-Emissionen in unserer Stadt“, erklärte der Potsdamer Umweltdezernent Klaus Kranitz stolz (Kranitz, 2023). Dank des Projekts konnte nicht nur die Menge an Laubentsorgungskosten reduziert, sondern auch die CO₂-Bilanz signifikant verbessert werden. Das Laub wurde nicht mehr verbrannt, sondern gewinnbringend in Energie umgewandelt.
Ein Modell für die Zukunft: Potenzial und Herausforderungen
Das Modellprojekt hat deutschlandweit Interesse geweckt. Besonders kleinere Städte, die oft über weniger finanzielle Mittel verfügen, um nachhaltige Abfalllösungen zu implementieren, sehen hier große Chancen. Allerdings bringt die Laubvergasung auch Herausforderungen mit sich. So ist das Laub sehr unterschiedlich in seiner Zusammensetzung – abhängig von Baumarten und klimatischen Bedingungen – was eine präzise Anpassung der Anlagen erfordert. Dennoch ist die Aussicht verlockend: Es besteht Potenzial, diese Technologie auf andere organische Abfälle auszudehnen und so die Abfallverwertung in Städten revolutionär zu gestalten.
Der Erfolg der Bioenergie-Laub-Initiative zeigt, wie dringende kommunale Probleme mit wissenschaftlicher Kreativität und interdisziplinärer Zusammenarbeit angegangen werden können. Und wer weiß? Vielleicht wird der Herbst bald nicht nur für sein farbenfrohes Laub, sondern auch als „Grüner Herbst“ bekannt sein – als Saison, in der natürliche Abfälle in saubere Energie umgewandelt werden.
Quellenangaben
- Drösser, C. (2024) Laub als Energiequelle: Deutschlands Weg zur grünen Energie. Süddeutsche Zeitung, Ausgabe 32, S. 14–15.
- Kranitz, K. (2023) Interview zur Einführung der Bioenergie-Laub-Initiative in Potsdam. Verfügbar unter: https://potsdam.de/umwelt [Zugriff am: 03.11.2024].
- Leibniz-Institut (2024) Bioenergie aus Laub: Ein innovatives Verfahren zur Stromgewinnung. Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie. Verfügbar unter: https://atb-potsdam.de/bioenergie [Zugriff am: 03.11.2024].
- Müller, T., Schäfer, P. und Lange, H. (2023) Erste Erfolge der Bioenergie-Laub-Initiative in Berlin und Potsdam. Humboldt-Universität Berlin, Institutsveröffentlichung. Verfügbar unter: https://hu-berlin.de/projekte [Zugriff am: 03.11.2024].