Kulturgärten – Internationale Gartenprojekte in der Nachbarschaft: Wenn Gemüse zu Brücken wird

Es ist eine Szene, wie man sie selten in urbanen Stadtteilen erlebt: Menschen unterschiedlichster Herkunft stehen Seite an Seite, knien sich vor Hochbeete und graben in der Erde. Hier ein Pfefferstrauch aus der Türkei, dort Okra aus Indien, und dazwischen ein kleines Beet mit Bohnenkraut und Fenchel aus Syrien. Doch diese Pflanzen sind mehr als nur Nahrungsmittel; sie sind Verbindungen zu Kulturen, Geschichten und Erinnerungen. „Kulturgärten“ heißt das Projekt, das diese Begegnungen schafft und einen Raum für internationalen Austausch und nachhaltigen Anbau bietet.

Das Problem: Stadtleben und das Fehlen interkultureller Begegnungsräume

Städte sind heutzutage oft Schmelztiegel verschiedenster Kulturen. Doch die Vielfalt, die in den Straßenzügen sichtbar ist, bleibt oft oberflächlich – anstatt wirklicher Begegnungen gibt es vielfach nur Parallelgesellschaften. Unterschiedliche Sprachen, Gebräuche und Religionen stehen nebeneinander, ohne dass Berührungspunkte geschaffen werden. Gerade in Vierteln mit einem hohen Anteil an Zugewanderten fehlt es häufig an Räumen, in denen Menschen sich in ungezwungener Atmosphäre treffen, ihre Kulturen teilen und kennenlernen können. Der Stress des Alltags und die Anonymität städtischer Strukturen erschweren das Entstehen von Gemeinschaften.

Dazu kommt ein weiteres Problem: Der urbane Raum bietet nur wenig Möglichkeiten für den Anbau eigener Nahrungsmittel. Während Gartenarbeit für viele Kulturen und Menschen ein vertrautes Hobby oder gar eine Lebensnotwendigkeit ist, bleibt es in Großstädten oft eine Luxusbeschäftigung, die auf wenige Grünflächen beschränkt ist. Vor allem für Menschen mit Migrationshintergrund, die in engen Wohnungen leben, wird der Wunsch nach einem Stückchen Heimat im Grünen oft unerfüllt.

Die Lösung: Kulturgärten als Orte des Austauschs und der Gemeinschaft

Hier setzt das Projekt „Kulturgärten“ an, das von der gemeinnützigen Organisation „Interkultur e.V.“ ins Leben gerufen wurde. Hinter der Idee stecken die Gründer*innen Hasan Yildiz und Marie Gruber, die selbst aus multikulturellen Familien stammen. Beide bemerkten, wie wenig Austausch zwischen den Generationen und Kulturen in Städten stattfand, obwohl das Potenzial riesig war. Sie gründeten 2018 die Organisation in Berlin als gemeinnützige GmbH, um über Stadtgärten die Menschen wieder zusammenzubringen. Inzwischen ist „Interkultur e.V.“ auf eine Größe von etwa 30 Mitarbeitenden gewachsen und betreibt in vier deutschen Städten „Kulturgärten“.

Das Konzept: In jedem Garten werden Hochbeete eingerichtet, die jeweils einem bestimmten Land oder einer bestimmten Region gewidmet sind. So gibt es ein Beet für den Nahen Osten, eines für die südostasiatische Region und sogar eines für osteuropäische Pflanzenarten. Menschen, die ursprünglich aus diesen Regionen kommen, können hier ihre vertrauten Pflanzen aus der Heimat anbauen und sich um das Beet kümmern. Auf Schildern neben den Beeten werden die Pflanzen und ihre Bedeutung in der Kultur kurz erklärt. Es geht nicht nur um den Anbau, sondern um das Vermitteln von Traditionen und Geschichten – die Gärten werden zu einem lebendigen Museum internationaler Kulturen.

Erste Erfolge und Geschichten aus den „Kulturgärten“

Schon im ersten Garten in Berlin-Kreuzberg zeigte sich der Erfolg des Projekts: Menschen jeden Alters und Hintergrunds kamen zusammen, um gemeinsam die Beete zu bestellen. Dabei entstanden Geschichten, die oft zum Lachen oder zum Nachdenken anregen. Ein besonderer Moment war, als ein älterer Herr aus dem Libanon mit einem kleinen Jungen aus Polen zusammen ein Beet bepflanzte. Der Junge war neugierig auf die libanesischen Gewürze und Pflanzen und fragte, ob er eine Handvoll Samen mit nach Hause nehmen dürfte. Der ältere Herr lachte und erklärte, dass in seiner Heimat der Austausch von Samen eine Geste der Freundschaft sei. Aus dieser Begegnung entstand eine kleine Tradition, bei der die Teilnehmenden sich gegenseitig Samen aus ihrer Heimat schenken.

Ein weiteres Highlight war das jährliche „Fest der Kulturen“, bei dem die Ernte gemeinsam gefeiert wird. Jede*r bringt Gerichte aus seiner Kultur mit, die Zutaten stammen meist aus den Beeten. Es werden traditionelle Speisen aus der Türkei, Afghanistan, Polen und vielen anderen Ländern serviert. Das Fest ist ein Treffpunkt für alle, bei dem die Anonymität der Stadt verblasst und Nachbarn zu Freunden werden. Hasan Yildiz erinnert sich schmunzelnd an einen Sommerabend, als eine Dame aus dem Iran ihre Familie mitbrachte und spontan eine Tanzgruppe organisierte – plötzlich war der Garten voller Musik, und selbst die schüchternsten Nachbarn ließen sich zum Tanzen mitreißen.

Nachhaltiger Anbau und Bildung

Die „Kulturgärten“ sind nicht nur Begegnungsstätten, sondern leisten auch einen wertvollen Beitrag zur ökologischen Bildung. Hier wird ausschließlich biologisch und nachhaltig angebaut. Die Gärtner*innen lernen, wie sie Kompost verwenden, Regenwasser sammeln und ihre Pflanzen vor Schädlingen ohne Chemikalien schützen können. Workshops zu Themen wie ökologischem Gartenbau und nachhaltiger Ernährung gehören zum Programm. Damit wird nicht nur der ökologische Fußabdruck der Teilnehmenden verringert, sondern auch Wissen vermittelt, das in die Nachbarschaften getragen wird.

Durch diese Ansätze wird deutlich, wie viel Potenzial in einem einfachen Gartenprojekt steckt. Die „Kulturgärten“ haben sich inzwischen zu einem Vorzeigemodell für interkulturelle Begegnung und nachhaltigen Anbau entwickelt und finden immer mehr Interessierte, die das Modell auch in anderen Städten umsetzen möchten.

Quellen

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