Erste Wasserstoffzüge im Fahrgastbetrieb.

 Mit einem leisen Zischen und ganz ohne Dieselabgase setzte sich im September 2018 zum ersten Mal ein Personenzug mit Wasserstoffantrieb in Bewegung. Der „Coradia iLint“ von Alstom ist kein Zukunftsversprechen, sondern fährt – ganz real – im Regionalnetz rund um Cuxhaven, Bremervörde und Buxtehude. Deutschland schrieb mit diesem Projekt Bahn-Geschichte: Als erstes Land weltweit hat es eine komplette Strecke mit Wasserstoffzügen ausgestattet (Alstom, 2018a).

Wasserstoffzüge für nicht elektrifizierte Regionen

Rund 40 Prozent des deutschen Schienennetzes sind nicht elektrifiziert (BMDV, 2022). Auf diesen Strecken fahren bislang meist Dieseltriebwagen – laut, rußend, klimabelastend. Die Idee des Wasserstoffzugs war deshalb von Anfang an bestechend: ein emissionsfreier Antrieb, der ohne teure Oberleitungen auskommt und trotzdem Reichweiten von bis zu 1.000 Kilometern erreicht. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 140 km/h – ideal für den Regionalverkehr (Alstom, 2022a).

Die Wasserstoffzüge werden über Brennstoffzellen mit Energie versorgt, die aus Wasserstoff Strom erzeugen. Dabei entstehen keine CO₂-Emissionen, sondern lediglich Wasserdampf. Die Linde AG errichtete in Bremervörde zunächst eine mobile, später eine stationäre Tankstelle. Dort wird der Wasserstoff gespeichert und täglich getankt – rund 1800 Kilogramm pro Tag reichen für den Betrieb der 14 Wasserstoffzüge, die ab Sommer 2022 den kompletten Dieselverkehr der Strecke ablösten (Alstom, 2022a).

Wer steckt dahinter?

Die Projektinitiative kam von der Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen (LNVG), die den Personenverkehr in der Region organisiert. Mit dem regionalen Betreiber EVB (Eisenbahnen und Verkehrsbetriebe Elbe-Weser) und dem französischen Zugbauer Alstom fand sich ein ehrgeiziges Team zusammen. Alstom baute die Fahrzeuge im Werk Salzgitter, unterstützt von Geldern des Bundes im Rahmen des Nationalen Innovationsprogramms Wasserstoff (NIP) (NOW GmbH, 2022).

„Wir haben nicht nur einen Zug gebaut“, sagte Alstom-CEO Henri Poupart-Lafarge bei der Vorstellung, „sondern ein komplettes System für eine emissionsfreie Zukunft“ (Alstom, 2018a).

Ökobilanz und Alltagstauglichkeit

Jährlich spart die Wasserstoffflotte in Niedersachsen rund 1,6 Millionen Liter Diesel ein – das entspricht etwa 4.400 Tonnen CO₂-Emissionen (AP News, 2022). Die Geräuschemissionen sind ebenfalls geringer – kein Motorenlärm, keine Vibrationen beim Anfahren.

Doch wie alltagstauglich ist diese Technologie? Der Feldversuch zeigte: Die Technik funktioniert – aber nicht immer problemlos. In Niedersachsen verlief der Betrieb über Jahre stabil. Doch als der Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) 27 Wasserstoffzüge für das Taunusnetz bestellte und 2023 sukzessive einführte, zeigten sich erste Herausforderungen (Railway Gazette, 2024a).

Rückschläge im Taunus: Wasserstoff ist nicht gleich Wasserstoff

Ab Anfang 2025 musste RMV den Betrieb auf der Linie RB15 wieder auf Dieselzüge umstellen. Die Ursachen: technische Ausfälle an mehreren Fahrzeugen, eine unzureichend leistungsfähige Wasserstoffversorgung und eine teils noch unausgereifte Infrastruktur (Railway Gazette, 2024a).

Regio Start, das für den Betrieb zuständige Unternehmen, forderte Nachbesserungen. Alstom kündigte eine Modernisierung der gesamten Flotte an – inklusive Austausch der Brennstoffzellensysteme. Die Probleme im Rhein-Main-Gebiet sind nicht nur technische Kinderkrankheiten, sondern werfen Fragen zur langfristigen Skalierbarkeit der Technologie auf (Railway Gazette, 2024a).

Ein Technologiesprung mit politischen Folgen

Trotz der Rückschläge gilt das Projekt als politischer Meilenstein. Der damalige niedersächsische Verkehrsminister Bernd Althusmann nannte es ein „weltweit beachtetes Signal für klimafreundliche Mobilität“ (Alstom, 2018a). Auch international fand die Innovation Anklang: Frankreich, Italien und Kanada bestellten ähnliche Fahrzeuge. In Bayern startete Siemens Mobility 2023 ein Konkurrenzmodell – den Mireo Plus H, der bis zu 1.200 km Reichweite verspricht (Railway Gazette, 2025).

Grüner Wasserstoff: die Achillesferse

Ein Knackpunkt bleibt jedoch die Herkunft des Wasserstoffs. In vielen Regionen steht bislang kein grün produzierter Wasserstoff zur Verfügung. Stattdessen wird oft sogenannter „grauer Wasserstoff“ eingesetzt – hergestellt aus Erdgas, also keineswegs klimaneutral (Urban Transport Magazine, 2023). In Brandenburg beispielsweise musste ein Wasserstoff-Projekt im Dezember 2024 stillgelegt werden – ausgerechnet wegen Wasserstoffmangel (Urban Transport Magazine, 2023).

Diese Engpässe führten dazu, dass Niedersachsen sich neu orientierte. Die LNVG beschloss 2023, langfristig lieber auf batterieelektrische Züge zu setzen. 102 neue Fahrzeuge wurden bestellt, die ab 2029 in Betrieb gehen sollen. Wasserstoffzüge sollen nur dort fahren, wo Batterien an ihre Grenzen stoßen – etwa bei langen Strecken ohne Zwischenladung (Reddit, 2023).

Fazit: Ein mutiger Schritt mit realistischen Grenzen

Deutschland hat mit dem iLint-Projekt gezeigt, dass Wasserstoffzüge realisierbar sind – und dabei emissionsfrei, leise und betriebssicher sein können. Doch die Erfahrungen aus dem Taunus und die Versorgungsprobleme mit grünem Wasserstoff zeigen auch: Die Technologie steht noch am Anfang.

Für Regionen ohne Elektrifizierung bleiben die Wasserstoffzüge ein Hoffnungsträger. Aber er ist kein Allheilmittel – sondern ein Baustein in einem Mosaik aus Elektro, Batterie, Hybrid und effizienter Planung.

Die erste Wasserstoffflotte rollt weiter. Und mit ihr der gesellschaftliche Diskurs über die Mobilität von morgen.


Quellen

Alstom (2018a) World premiere: Alstom’s hydrogen trains enter passenger service in Lower Saxony. Available at: https://www.alstom.com/press-releases-news/2018/9/world-premiere-alstoms-hydrogen-trains-enter-passenger-service-lower (Accessed: 27 July 2025).

Alstom (2022a) World premiere: 14 Coradia iLint start passenger service on first 100% hydrogen operated route. Available at: https://www.alstom.com/press-releases-news/2022/8/world-premiere-14-coradia-ilint-start-passenger-service-first-100 (Accessed: 27 July 2025).

AP News (2022) Fleet of hydrogen passenger trains begins service in Germany. Available at: https://apnews.com/article/technology-germany-government-and-politics-b96b031cfeb12ea69ae078664b2eb6c4 (Accessed: 27 July 2025).

BMDV (2022) Elektrifizierungsgrad der Eisenbahninfrastruktur Wasserstoffzüge. Available at: https://www.bmdv.bund.de/SharedDocs/DE/Artikel/K/elektrifizierung-eisenbahnnetz.html (Accessed: 27 July 2025).

NOW GmbH (2022) Wasserstoffzüge Nationales Innovationsprogramm Wasserstoff. Available at: https://www.now-gmbh.de/projektfoerderung/foerderrichtlinien/nip/ (Accessed: 27 July 2025).

Railway Gazette (2024a) Diesel trains to temporarily replace hydrogen on Germany’s Taunus network in 2025. Available at: https://www.railwaygazette.com/traction-and-rolling-stock/diesel-trains-to-temporarily-replace-hydrogen-on-germanys-taunus-network/67902.article (Accessed: 27 July 2025).

Railway Gazette (2025) Hydrogen trains to replace diesel on Bayern route. Available at: https://www.railwaygazette.com/traction-and-rolling-stock/hydrogen-trains-to-replace-diesel-on-bayern-route/68777.article (Accessed: 27 July 2025).

Urban Transport Magazine (2023) Siemens battery and hydrogen trains launched in Brandenburg and Bavaria. Available at: https://www.urban-transport-magazine.com/en/siemens-battery-and-hydrogen-trains-launched-in-brandenburg-and-bavaria/ (Accessed: 27 July 2025).

Reddit (2023) German hydrogen pioneer opts for battery trains for remainder of fleet. Available at: https://www.reddit.com/r/transit/comments/15p88vb (Accessed: 27 July 2025).

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