Agrivoltaik über Kirschbäumen – Strom und Obst unter einem Dach

In Fronreute, unweit von Ravensburg, wächst etwas Unglaubliches – und doch so logisch. Forscher:innen des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE und Ingenieur:innen der VOEN Vöhringer GmbH & Co. KG haben ein Pilotprojekt ins Leben gerufen, das Agrar‑ und Solarwirtschaft verbindet: Agrivoltaik über Kirschbäumen (Fraunhofer ISE, 2025a; Greentech.Live, 2025).

Warum ausgerechnet Kirschbäume?

Sonderkulturen wie Obstgehölze sind empfindlich, verlangen Schutz vor Hagel, Starkregen oder intensiver UV‑Strahlung. Bisher wurden dazu Netze oder Folien eingesetzt. Doch diese lassen sich neu denken: Warum nicht beides kombinieren – Fruchtschutz und Energiegewinn – ohne neue Stahlgerüste aufzustellen?

Die Antwort heißt: ultraleichte Photovoltaik‑Module mit weniger als 5 kg/m², die exakt auf bestehende Unterkonstruktionen passen, ohne die Statik zu überlasten. So spart man Material, Montageaufwand – und CO₂‑Kosten (Evergreen Energiesysteme, 2025; Fraunhofer ISE, 2025a).

Die Pilotanlage in Zahlen

Am Standort Obstbau Vöhringer überdachen die neuen Module zwei Kirschbaumreihen, jeweils etwa 40 m lang. Bezogen auf Hektarleistung entspricht das rund 420 kWp/ha – eine beachtliche Ausbeute, wenn man bedenkt, dass der Ertrag energiewirtschaftlich relevant ist und landwirtschaftlich nahezu unverändert bleibt (Fraunhofer ISE, 2025a).

Die Köpfe hinter der Technik

Felix Basler, Projektleiter am Fraunhofer ISE, fasst es so zusammen: „Das neue Konzept adressiert zwei Faktoren, die Agri‑PV‑Anlagen im Vergleich zu Freiflächen‑PV teurer machen: die höheren Kosten für den Bau der Aufständerung und für die Montage der PV‑Module“ (Fraunhofer ISE, 2025a).

Von VOEN-Seite erläutert Projektbetreuer Leo Vöhringer: „Uns war wichtig, ein Agrivoltaik‑Konzept auf die obstbauliche Praxis abzustimmen und nicht andersherum […] In Zeiten, in denen der Witterungsschutz nicht gebraucht wird, kann er unter den Solarmodulen eingepackt und verstaut werden“ (Fraunhofer ISE, 2025a).

Technik trifft Landwirtschaft

Der Kniff? Die entwickelten Module wiegen unter 5 kg/m², viel weniger als herkömmliche Glas‑Silizium-Module mit rund 20 kg/m². Möglich macht das Thin‑Film‑Technik oder leichte Polymer-Träger. Die geringe Masse und passende Befestigung erlauben es, die bestehenden Netze und Folien drunter zu behalten (Evergreen Energiesysteme, 2025).

Mit Simulationssoftware prüft das Team, wie groß oder dicht die Module sein dürfen – damit sie das Licht für die Bäume nur so weit reduzieren, dass der Ertrag nicht sinkt (Greentech.Live, 2025).

Schatten klingt erst mal negativ, doch im heißen Oberschwaben wirkt er stabilisierend: Er reduziert Hitze, Hitzestress und Wasserbedarf der Bäume. Folge: weniger Bewässerung, robustere Früchte. Gleichzeitig kühlen die Bäume die Module – so steigt der Energieertrag an heißen Tagen. Wetterextreme wie Hagel treffen die Früchte nicht – ein echter Mehrwert für Landwirt:innen und Anbieter:innen (Fraunhofer ISE, 2025a).

Gewöhnlich müssen Betreiber:innen massive Stahlkonstruktionen aufbauen – teuer, zeitaufwendig, emissionsintensiv. Hier genügt die Nachrüstung auf bestehende Schutzgestelle. Das spart CO₂, Zeit und Geld. Die Entwicklung wird über das Förderprogramm „Invest BW“ des Landes Baden-Württemberg unterstützt (Evergreen Energiesysteme, 2025).

Seit Frühjahr 2025 liefert das System Daten: Stromertrag und Kirschenernte werden bis Ende 2025 protokolliert. Ziel ist, zu zeigen, dass der duale Ansatz ohne Einbußen funktioniert (Fraunhofer ISE, 2025a).

Agrivoltaik im Aufwind – internationaler Trend

Deutschland ist nicht allein auf dieser Welle. Auch Frankreich, Japan, Italien und Südkorea investieren massiv in Agri-PV. Japan etwa experimentiert mit Reisanbau unter Solardächern. In Deutschland könnten über 5 000 ha bestehender Obstbau-Flächen mit Schutznetzen unkompliziert nachgerüstet werden (Fraunhofer ISE, 2025a). Ein zentrales Problem: die Statik. Netzgestelle sind nicht für Module ausgelegt. Die Lösung: ultraleichte Module unter 5 kg/m², technisch simuliert und gleichmäßig verteilt (PV Europe, 2025). Ein weiteres Thema: Lichtmangel für die Pflanzen. Das Fraunhofer-Team nutzt deshalb Simulationen, um optimale Flächendeckung und Ausrichtung zu finden (Evergreen Energiesysteme, 2025). Witterungsschutz bleibt erhalten – im Gegensatz zu Freiflächen-PV. Wird er nicht gebraucht, lässt er sich unter den Modulen verstauen (Fraunhofer ISE, 2025a).

Was kommt als Nächstes?

Bis Jahresende folgen Auswertung und Optimierung. Für 2026 ist die Markteinführung angepeilt – auch für Apfelanlagen oder Beerensträucher. Politisch wäre jetzt ein Förderrahmen denkbar, der PV- mit Agrarinvestitionen koppelt – für echten Ausbau auf dem Land.

Fazit: Landschaft neu denken

Fronreute zeigt, wie Zukunft geht: Strom und Früchte vom selben Hektar. Doppelte Nutzung statt Flächenkonkurrenz. Die Technik ist da – die Landwirtschaft ist bereit. Was fehlt, ist der politische Impuls, die Ernte einzufahren.


Quellen

 

guteideen.org © 2025 by Gute Ideen ist lizenziert unter CC BY 4.0 . Kurz erklärt: Nutze alles und verlinke auf diesen Artikel. 

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