Die Zeit einfrieren: Wie das schnellste Mikroskop der Welt Elektronen sichtbar macht

Die Zeit einfrieren: Wie das schnellste Mikroskop der Welt Elektronen sichtbar macht. Ein Attosekunden-Mikroskop revolutioniert die Forschung – und gibt erstmals Einblicke in das unsichtbare Herz der Materie.

Was passiert in einem Millionstel einer Milliardstel Sekunde?

Die meisten Menschen können sich kaum vorstellen, was eine Attosekunde ist. Und doch ist es genau in diesem schwindelerregend kleinen Zeitfenster, in dem die geheimsten Prozesse unseres Universums ablaufen: die Bewegung von Elektronen, der Beginn chemischer Reaktionen, der Ursprung von Licht. Nun ist es einem Forschungsteam aus den USA gelungen, dieses Fenster zu öffnen – mit dem schnellsten Mikroskop der Welt.

Eine neue Ära beginnt in Arizona

Im August 2024 veröffentlichte ein Team der University of Arizona unter der Leitung von Dr. Mohammed Hassan, Associate Professor für Physik und Optik, eine wissenschaftliche Sensation: ein modifiziertes Transmissionselektronenmikroskop, das Ereignisse mit einer zeitlichen Auflösung von einer Attosekunde – also 0,000000000000000001 Sekunden – erfassen kann (Ware, 2024).

Die Technologie, die als „Attomicroscope“ bezeichnet wird, erlaubt es erstmals, die Bewegung einzelner Elektronen in Echtzeit zu verfolgen. Damit beginnt eine neue Ära in der Beobachtung von Materie.

„Das ist ein echter Meilenstein“, erklärt Hassan. „Es ist das erste Mal, dass wir eine Bewegung auf dieser Zeitskala direkt sehen können“ (Hassan in ScienceDaily, 2024).

Was ist eine Attosekunde – und warum ist sie so wichtig?

Zum Vergleich: Eine Attosekunde verhält sich zu einer Sekunde wie eine Sekunde zum Alter des Universums. In dieser winzigen Zeitspanne vollziehen sich Prozesse in der Quantenwelt, etwa der Sprung eines Elektrons zwischen zwei Energieniveaus oder die erste Phase einer chemischen Reaktion.

Bisher konnten diese ultrakurzen Vorgänge nur indirekt gemessen oder modelliert werden. Das neue Mikroskop ändert das grundlegend – es bringt „Bewegung ins Unsichtbare“.

Wie funktioniert das schnellste Mikroskop der Welt?

Im Kern basiert das Attomicroscope auf einem bekannten Prinzip: einem Transmissionselektronenmikroskop (TEM). Doch was das Team in Arizona daraus gemacht hat, ist revolutionär. Es kombiniert das TEM mit einer ultrakurzen Laserpuls-Technologie.

Das Herzstück der Methode besteht aus zwei Schritten:

  1. Pump-Puls: Ein ultravioletter Laserpuls regt die Elektronen im untersuchten Material an und versetzt sie in Bewegung.

  2. Probe-Puls mit Gating: Ein zweiter Laser erzeugt durch sogenannte optische Gating-Technik einen einzigen, ultrakurzen Elektronenpuls mit einer Dauer von nur einer Attosekunde.

Durch die präzise Synchronisierung dieser beiden Prozesse kann das das schnellste Mikroskop der Welt einzelne Frames einer extrem schnellen Bewegung „einfrieren“, ähnlich wie bei einem Hochgeschwindigkeitsfilm – nur auf der Quantenebene (University of Arizona, 2024).

Von der Idee zur Weltpremiere

Dr. Hassan ist kein Unbekannter in der Welt der Ultrakurzzeitphysik. Der gebürtige Sudanese und Physik-Professor an der University of Arizona forscht seit Jahren an Attosekundenphysik und Ultrafast-Optik. Bereits 2017 war er an der Entwicklung eines Attosekunden-Lichtpulses beteiligt, der erstmals die Bewegung von Elektronen in Molekülen zeigte.

Doch die Verbindung aus Elektronenmikroskopie und Attosekunden-Zeitauflösung war ein technischer Quantensprung. „Es war extrem schwierig, die Stabilität und Synchronisation der Pulse zu erreichen“, so Hassan. „Aber wir wussten, dass es möglich ist – und dass es die Wissenschaft verändern würde“ (Hassan in Live Science, 2024).

Warum das alles? Die Anwendungen sind gewaltig

Die potenziellen Anwendungsbereiche für das schnellste Mikroskop der Welt sind so vielfältig wie bahnbrechend:

  • Krebsforschung: Chemische Reaktionen in Zellkernen können direkt beobachtet werden – womöglich entstehen neue Therapieansätze, wenn Forscher sehen, wie Medikamente in Echtzeit wirken.

  • Materialwissenschaften: Neue Supraleiter, Solarzellen oder Nanomaterialien könnten gezielt entwickelt werden, wenn Forscher verstehen, wie sich Elektronen im Inneren verhalten.

  • Quantencomputer: Die Bewegung von Quantenbits (Qubits) ließe sich analysieren – das könnte eine Schlüsseltechnologie beschleunigen, die aktuell noch in den Kinderschuhen steckt.

  • Astrophysik: Sogar Reaktionen in extremen kosmischen Umgebungen könnten simuliert und besser verstanden werden.

„Diese Technologie wird viele Forschungsgebiete auf Jahrzehnte hinaus prägen“, prognostiziert Physik-Kollege Henry Kapteyn von der University of Colorado (zitiert nach ZMEScience, 2024).

Das schnellste Mikroskop der Welt: Grenzen und nächste Schritte

So beeindruckend die Leistung ist, es gibt Herausforderungen: Das das schnellste Mikroskop der Welt ist technisch extrem anspruchsvoll, benötigt komplexe Lasersysteme und einen vibrationsfreien Aufbau – es ist derzeit kein Werkzeug für jedes Labor.

Auch die Datenmengen sind gewaltig: Ein „Video“ aus Attosekundenframes erzeugt Petabyte an Informationen, die analysiert werden müssen. Künstliche Intelligenz und neue Algorithmen spielen daher bereits heute eine zentrale Rolle bei der Auswertung.

Dennoch arbeitet Hassan bereits an der Miniaturisierung und Anwendung der Technik. Er hofft, dass in fünf bis zehn Jahren eine „kompakte Version“ für spezialisierte Institute verfügbar sein wird (University of Arizona, 2024).

Das schnellste Mikroskop der Welt und die Bedeutung für die Grundlagenforschung

Vielleicht ist das faszinierendste an dieser Entwicklung, dass sie uns nicht nur neue technische Möglichkeiten eröffnet, sondern auch philosophische Fragen aufwirft: Was ist eigentlich Zeit? Was bedeutet Bewegung auf der Ebene des Kleinsten?

Die Forschung an Attosekunden macht deutlich, wie wenig wir über das Fundament unserer Realität wissen – und wie viel es noch zu entdecken gibt.

„Wir haben gerade erst begonnen, die Quantenwelt zu filmen“, sagt Hassan. „Jetzt können wir der Natur zusehen, wie sie arbeitet – Bild für Bild.“


Quellenverzeichnis

 

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