Ein Besuch in einem Altenheim in Tokio offenbart Erstaunliches: Wer hier aus dem Bett gehoben wird, wer zuhört, wer Gesellschaft leistet – muss nicht immer ein Mensch sein. In Japans alternder Gesellschaft übernehmen zunehmend Roboter in der Pflege Tätigkeiten, die früher Menschen taten. Und das mit mehr Gefühl, als man ihnen zutrauen würde.
Eine Gesellschaft vor dem Kipppunkt
Japan steht an der Frontlinie eines globalen Problems: der Überalterung. Fast 30 % der Bevölkerung sind über 65 Jahre alt – ein Wert, der bis 2060 auf 40 % steigen soll (MIT Technology Review, 2023). Die Geburtenrate liegt bei nur 1,26 Kindern pro Frau (Statista, 2024). Gleichzeitig fehlen Pflegerinnen und Pfleger: Auf eine offene Stelle im Altenpflegebereich kommen nur 0,24 Bewerber (MIT Technology Review, 2023). Ein demografisches Pulverfass – dem das Land mit einem radikalen Mittel begegnet: Robotern.
Robear: Der bärige Pfleger
Der vielleicht bekannteste Roboter in der Pflege Japans hört auf den Namen Robear. Entwickelt wurde er vom renommierten Forschungszentrum RIKEN in Zusammenarbeit mit der Sumitomo Riko Company. Robear ist groß, weiß, sanftmütig – und stark genug, einen Erwachsenen aus dem Bett zu heben oder in den Rollstuhl zu setzen. Sensoren sorgen dafür, dass er dabei niemanden verletzt.
Doch trotz seiner medienwirksamen Erscheinung wurde Robear nie in Serie produziert. Der Grund: zu teuer, zu komplex für den Pflegealltag. Was bleibt, ist ein Symbol – für Japans Versuch, Pflege menschenwürdig und gleichzeitig maschinengestützt zu gestalten (MIT Technology Review, 2023).
Paro: Die therapeutische Robbe
Weniger muskelbepackt, aber ebenso wirksam ist Paro, ein therapeutischer Roboter in Form einer plüschigen Robbe. Sie wurde vom japanischen National Institute of Advanced Industrial Science and Technology entwickelt. Paro reagiert auf Berührungen, kann seinen Namen erkennen und blinkt oder gurrt je nach Stimmungslage. Ihr Ziel: Demenzkranken emotionale Nähe geben, ohne Pflegepersonal zu ersetzen.
Und das funktioniert: Studien zeigen, dass Paro Angst lindert, Stress reduziert und die Kommunikation fördert (Wired, 2020). In den USA sank in Pflegeheimen mit Paro der Einsatz von Beruhigungsmitteln um bis zu 30 % (ebd.). Auch in Deutschland wird Paro eingesetzt – in mehr als 40 Einrichtungen (Wikipedia, 2025a).
Pepper: Der emotionale Begleiter mit Tablet-Brust
Pepper sieht fast menschlich aus – zumindest, wenn man ihm ins Gesicht blickt. Der humanoide Roboter von SoftBank Robotics erkennt Emotionen anhand von Gesichtsausdruck, Sprache und Tonlage. In Pflegeheimen moderiert er Bewegungskurse, liest Gedichte vor oder plaudert über das Wetter.
Doch Pepper polarisierte: In einem schottischen Supermarkt etwa wurde er nach wenigen Wochen wieder entfernt, weil Kunden sich von ihm eher gestört fühlten (Wikipedia, 2025b). In Japan hingegen gehört Pepper vielerorts zum festen Pflege-Inventar.
Moflin: Das „Tier“, das Gefühle lernt
Ganz neu in der Roboterlandschaft ist Moflin, entwickelt vom Unternehmen Vanguard Industries und unterstützt von Casio. Moflin ist klein, flauschig und nutzt KI, um emotionale Muster zu lernen. Der Roboter passt sein Verhalten an seinen Besitzer an – und zeigt mit fiependen Lauten oder vibrierenden Bewegungen seine „Gefühle“.
Zwar ist Moflin derzeit eher ein Lifestyle-Produkt, doch erste Pilotprojekte in Pflegeheimen laufen bereits. Die Idee: ein roboterbasiertes Haustier für ältere Menschen, die sich nicht mehr um echte Tiere kümmern können (The Guardian, 2024).
Warum Roboter in der Pflege – und nicht mehr Menschen?
Diese Frage stellen sich viele, besonders im Westen. Doch Japans Situation ist besonders. Einwanderung ist politisch umstritten, ausländische Pflegekräfte stoßen oft auf Sprachbarrieren. Und die japanische Gesellschaft ist geprägt von dem Ideal, im Alter möglichst niemandem zur Last zu fallen. Roboter in der Pflege gelten deshalb nicht als Bedrohung, sondern als diskrete Hilfe (MIT Technology Review, 2023).
Außerdem: Roboter in der Pflege nehmen den Menschen nicht die Arbeit weg – sie ermöglichen sie überhaupt erst. Sie übernehmen das körperlich Anstrengende, damit das Personal Zeit hat für menschliche Nähe. So bleiben Ressourcen für das, was Roboter (noch) nicht können: Empathie, Trost, spontane Gespräche.
Der Staat mischt mit
Die japanische Regierung fördert Pflegeroboter gezielt – mit Fördermitteln, Steuererleichterungen und Testprojekten. Das Ziel: bis 2030 sollen Roboter in 80 % aller Pflegeheime integriert sein (MIT Technology Review, 2023). Und der Export läuft bereits: nach Südkorea, in die USA, nach Deutschland.
Herausforderungen: Datenschutz, Ethik, Vertrauen
Trotz aller Euphorie: Der Einsatz von Robotern in der Pflege wirft auch Fragen auf. Darf ein Roboter persönliche Daten wie Medikationspläne speichern? Wie tief darf emotionale Bindung zu einer Maschine gehen? Und: Was, wenn ein Roboter einen Fehler macht?
Experten fordern daher strenge ethische Richtlinien und eine klare Trennung zwischen menschlicher und technischer Fürsorge (Wired, 2020). Besonders im Umgang mit Demenzkranken müsse sichergestellt werden, dass diese nicht getäuscht oder emotional abhängig gemacht werden.
Und bei uns?
In Deutschland schreitet der Einsatz von Roboter in der Pflege zögerlich voran. Paro ist bekannt, Pepper wurde in wenigen Pilotprojekten getestet. Die Skepsis gegenüber künstlicher Intelligenz in der Pflege ist groß. Gleichzeitig fehlen bundesweit Zehntausende Pflegekräfte – ein Zustand, der sich durch die Alterung der Babyboomer-Generation verschärfen wird.
Trotz aller Innovation sollte man vielleicht auch daran denken, wie Roboter Dinge übernehmen können, die vielleicht zur Routine gehören oder mechanischer Natur sind. So könnten sich Pflegekräfte auf das menschliche in der Pflege konzentrieren, was ja in den letzten Jahren durch den Personalnotstand oft zu kurz kam. Alte Menschen aus dem Bett heben oder spazieren fahren oder vielleicht sogar mit einem KI gestützen Rollstuhl, der vorprogrammierte Strecken abfährt. Wo früher 1 Pflegepersonal gebraucht wurde, könnte nun der Roboter den Ausflug im Park 100% übernehmen. Statt Pfleger könnten mehrere Senioren zusammen losfahren und sich Gesellschaft leisten.
Roboter in der Pflege können helfen Pflege neu zu erdenken
Japans Roboter sind keine Science-Fiction – sie sind gelebte Realität. Sie zeigen, dass Maschinen helfen können, wo Menschen fehlen. Und statt den FOkus auf das Kalte und Unpersönliche eines Roboter zu legen, vielleicht fokusier man sich auf die Arbeitsentlastung stattdessen und kann so viel mehr Potential entdecken. Und auch sehen, wie Technik Freiraum schaffen kann, um wieder mehr Menschlichkeit und Wärme in die Pflege zu bringen.
Literaturverzeichnis
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MIT Technology Review (2023) Inside Japan’s long experiment in automating eldercare, 9 January. Available at: https://www.technologyreview.com/2023/01/09/1065135/japan-automating-eldercare-robots/ (Accessed: 24 May 2025).
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Wired (2020) There’s No Cure for Covid-19 Loneliness, but Robots Can Help. Available at: https://www.wired.com/story/covid-19-robot-companions (Accessed: 24 May 2025).
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The Guardian (2024) Can a fluffy robot really replace a cat or dog?, 20 November. Available at: https://www.theguardian.com/technology/2024/nov/20/fluffy-robot-weird-emotional-week-ai-pet-moflin (Accessed: 24 May 2025).
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Wikipedia (2025a) Paro (Roboter). Available at: https://de.wikipedia.org/wiki/Paro_(Roboter) (Accessed: 24 May 2025).
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Wikipedia (2025b) Pepper (Roboter). Available at: https://de.wikipedia.org/wiki/Pepper_(Roboter) (Accessed: 24 May 2025).
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Statista (2024) Japan: Fertility rate from 2000 to 2023. Available at: https://www.statista.com/statistics/1041343/japan-total-fertility-rate/ (Accessed: 24 May 2025).
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