Grüne Wände aus Moosbeton: Wie ein niederländisches Start-up Städte atmen lässt

Vom Konzept zur Realität: Wo Moosbeton bereits Städte verändert

Der Sprung von der Idee zur Anwendung ist oft der härteste – doch beim Moosbeton scheint er gelungen. Erste Pilotprojekte zeigen, wie wirkungsvoll das Material im urbanen Kontext funktionieren kann. In den Niederlanden, wo das Start-up Respyre seinen Sitz hat, wurden erste Wände mit Moosbeton beschichtet – unter anderem an Infrastrukturbauten in Amsterdam und Utrecht. Auch in Rotterdam, einer Stadt mit Vorreiterrolle in Sachen Klimaresilienz, wurden Testflächen installiert.

Die städtische Hitzeinselproblematik – also die Erwärmung dicht bebauter Gebiete – ist dabei ein zentrales Motiv. Untersuchungen des niederländischen Wasserinstituts Deltares zeigen, dass Moose durch Verdunstungskühlung die Oberflächentemperatur von Gebäudefassaden signifikant senken können – teilweise um bis zu 7 Grad Celsius im Vergleich zu unbegrünten Betonwänden (Deltares, 2023).

Ein natürlicher Luftfilter auf Betonbasis

Doch die vielleicht wichtigste Funktion des Moosbetons liegt in seiner Fähigkeit zur Luftreinigung. Moose wirken wie biologische Filter: Ihre Oberfläche ist mit winzigen Härchen (Rhizoiden) bedeckt, die Schadstoffe aus der Luft binden. Eine Studie der Universität Leipzig belegte, dass bestimmte Moosarten – darunter Sphagnum und Bryum – in der Lage sind, signifikante Mengen an Feinstaub (PM10) und Stickstoffdioxid (NO₂) aus der Luft zu filtern (Weber et al., 2014).

Laut den Entwickler*innen von Respyre kann ein Quadratmeter Moosbeton, der vollständig bewachsen ist, bis zu 150 Gramm Feinstaub pro Jahr binden – das entspricht etwa der Emission eines durchschnittlichen PKW auf 1.000 Kilometern Stadtverkehr. Zudem absorbieren Moose Kohlendioxid und geben Sauerstoff ab, was sie zu echten Mikroklima-Managern macht.

Wartungsfrei und selbstregulierend

Ein oft übersehener Vorteil von Moosbeton ist seine extrem niedrige Instandhaltung. Im Gegensatz zu konventionellen Fassadenbegrünungssystemen, die Bewässerung, Dünger und aufwändige Pflege benötigen, ist der Moosbeton nahezu wartungsfrei. Moose wachsen langsam, benötigen keine Wurzeln und regenerieren sich selbst, wenn sie zeitweise absterben.

„Gerade in dicht bebauten Städten mit begrenztem Budget für Grünpflege ist das ein riesiger Vorteil“, erklärt Willem van der Hoeven. „Der Moosbeton lebt mit dem Klima, nicht gegen es. Er trocknet aus, wenn es heiß ist, und erwacht bei Regen sofort wieder zum Leben“ (Life Terra, 2023).

Auch aus der Ferne betrachtet ein Gewinn

Die ökologische Wirkung des Moosbetons geht über das Sichtbare hinaus. Eine Fassade, die grün schimmert, verändert das Stadtbild – aber auch das Sicherheitsgefühl, die Lebensqualität und den Lärmpegel. Moose können durch ihre feine Struktur Schall absorbieren, was insbesondere an stark befahrenen Straßen von Vorteil ist. Zudem fördern begrünte Wände laut Studien das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit von Städter*innen – besonders in Stadtteilen mit geringer Aufenthaltsqualität (Bringslimark et al., 2009).

Perspektive: Moosbeton als Standardmaterial im Städtebau?

Noch ist Moosbeton ein Nischenprodukt. Doch die Zeichen stehen auf Expansion. Das Team von Respyre arbeitet bereits mit mehreren europäischen Bauunternehmen zusammen, um das Produkt serienreif zu machen. Auch erste Kooperationen mit kommunalen Wohnungsbaugesellschaften sind in Vorbereitung. Längerfristig soll der Moosbeton nicht nur an Neubauten, sondern auch im Bestandssanierungsmarkt eingesetzt werden – etwa zur Umrüstung alter Fassaden oder Industriegebäude.

Der Baustoff könnte dabei auch in der ESG-Bilanzierung (Environmental, Social, Governance) von Immobilien eine Rolle spielen. Begrünte Fassaden gelten als klimarelevante Sanierungsmaßnahme und können helfen, die CO₂-Bilanz eines Gebäudes signifikant zu verbessern – insbesondere wenn sie, wie beim Moosbeton, ohne zusätzlichen Energieaufwand funktionieren.

Fazit: Der Beton, der atmet – und hoffen lässt

In einer Zeit, in der die Herausforderungen von Klimawandel, Luftverschmutzung und Urbanisierung zusammenspielen, wirkt Moosbeton wie eine Antwort, die sich dem Lärm der großen Versprechen entzieht – und stattdessen in leisen Schichten wirkt. Was Respyre entwickelt hat, ist mehr als ein Material: Es ist eine Schnittstelle zwischen Natur und Technik, zwischen Stadt und Leben.

Wenn Mauern künftig grüner werden, ist das vielleicht nicht nur gut für die Luft – sondern auch für das Miteinander in unseren Städten.


Quellen

 

guteideen.org © 2025 by Gute Ideen ist lizenziert unter CC BY 4.0 . Kurz erklärt: Nutze alles und verlinke auf diesen Artikel. 

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