Die Rolle des Vaters hat sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt – doch für viele Männer bleibt die soziale Komponente des Vaterseins ein unterschätztes Thema. Gerade in Großstädten wie New York kann die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Freundschaft zur Herausforderung werden. Hier setzt der Brooklyn Stroll Club an, eine wachsende Gemeinschaft von Vätern, die sich inmitten von Kinderwagen und Spaziergängen neu vernetzen. Was steckt hinter diesem Phänomen, wie entstand die Idee, und warum ist dieser Club mehr als nur ein lockerer Treff?
Vom „Allein mit dem Baby“ zum „Gemeinsam unterwegs“
„Ich fühlte mich oft isoliert, gerade in den ersten Monaten nach der Geburt meines Sohnes“, erzählt David Hernandez, Mitbegründer des Brooklyn Stroll Club. Hernandez, 38, lebt im angesagten Stadtteil Williamsburg und kennt die Situation vieler neuer Väter aus eigener Erfahrung. „Man ist tagsüber allein mit dem Baby, Freunde haben oft keine Kinder oder sind nicht in der gleichen Lebensphase. Da fehlte mir eine Gemeinschaft, wo ich mich nicht erklären musste.“
So entstand 2017 der Brooklyn Stroll Club, zunächst als kleine Facebook-Gruppe. Die Idee: Spaziergänge in der Nachbarschaft mit Kinderwagen verbinden – und dabei auch Erwachsenenzeit schaffen. Heute zählt der Club laut eigener Angaben mehrere Hundert Mitglieder, die regelmäßig in verschiedenen Parks und Stadtteilen zusammenkommen. Die Gruppen reichen von lockeren Spaziergängern bis zu organisierten Veranstaltungen mit Gastrednern und Workshops zu Vatersein, Mental Health oder Kindererziehung.
Eine Antwort auf das moderne Vatersein
Der Brooklyn Stroll Club trifft einen Nerv, der in der Gesellschaft lange übersehen wurde. Zwar hat sich das Bild vom „Ernährer“ zum „aktiven Vater“ deutlich verändert, doch das soziale Umfeld vieler Männer hat sich nicht entsprechend angepasst. Studien belegen, dass Männer nach der Geburt eines Kindes häufig soziale Kontakte verlieren und weniger Unterstützung erfahren als Mütter (Cabrera et al. 2018, HRS).
Die Gruppentreffen ermöglichen es Vätern, sich auf Augenhöhe auszutauschen – fernab vom klassischen Klischee des „emotional distanzierten Mannes“. „Wir sprechen über Ängste, schlaflose Nächte, aber auch über Erfolge und schöne Momente“, sagt Hernandez. „Das verbindet und gibt Kraft.“
Die Gründer und ihr Konzept
David Hernandez ist nicht der einzige Gründer. Gemeinsam mit Mike Lee, einem weiteren Vater aus Brooklyn, baute er das Konzept aus. Lee, 40, arbeitet als Grafikdesigner und brachte seine beruflichen Fähigkeiten in die Gestaltung der Webseite und der Kommunikationsmaterialien ein. Die beiden wollten eine Plattform schaffen, die bewusst keine typische Vätergruppe mit erhobenem Zeigefinger sein sollte, sondern locker, offen und inklusiv über das Vatersein.
„Wir wollten keine elitäre Vater-Community, sondern einen Ort, an dem sich jeder willkommen fühlt – egal ob alleinerziehend, berufstätig oder frischgebackener Papa“, so Lee.
Die Aktivitäten des Clubs sind vielfältig: Von regelmäßigen Spaziergängen in Prospect Park bis zu gelegentlichen Familien-Picknicks, Yoga für Väter mit Baby, oder gemeinsamen Ausflügen. Neben der Communityarbeit hat der Brooklyn Stroll Club auch eine kleine Medienpräsenz aufgebaut – Podcasts und Blogbeiträge, die das Vatersein in all seinen Facetten beleuchten.
Herausforderungen auf dem Weg zum Vatersein
Wie bei vielen sozialen Initiativen gab es auch bei der Gründung Hürden. Anfangs war es schwer, Männer überhaupt zur Teilnahme zu bewegen. „Männer sprechen weniger über ihre Gefühle, besonders wenn es um das Vatersein geht“, erklärt Hernandez. Viele hätten sich anfangs gefragt, warum man für Spaziergänge eine Gruppe braucht.
Finanzierung war ebenfalls ein Thema. Der Club arbeitet ehrenamtlich, kleinere Spenden und Kooperationen mit lokalen Geschäften und Familienzentren ermöglichen Veranstaltungen. Großes Wachstum ist mit der derzeitigen Struktur kaum machbar.
Ein weiteres Problem: Die Pandemie. COVID-19 stellte die Gruppe vor neue Herausforderungen. Während der Lockdowns waren Treffen kaum möglich, der persönliche Austausch litt. Doch gerade in dieser Zeit wuchs der Bedarf an sozialer Vernetzung. Der Club reagierte mit Online-Treffen, die zwar nie den echten Kontakt ersetzen konnten, aber wichtige Impulse lieferten.
Die gesellschaftliche Bedeutung des Vatersein
Vätergemeinschaften wie der Brooklyn Stroll Club sind mehr als nur Freizeitbeschäftigung. Sie greifen ein gesellschaftliches Thema auf: die Isolation vieler Väter und die Notwendigkeit von neuen sozialen Netzwerken in modernen Großstadtgesellschaften.
Laut einer Studie der University of Michigan sind soziale Beziehungen für das psychische Wohlbefinden von Vätern entscheidend (Giallo et al. 2021, HRS). Fehlende Unterstützung kann zu Depressionen und Stress führen – was wiederum negative Folgen für die gesamte Familie hat.
Indem der Brooklyn Stroll Club Vätern Raum gibt, wird ein wichtiger Beitrag zur mentalen Gesundheit und sozialen Integration geleistet. Zudem trägt der Club zu einem neuen Rollenverständnis bei, in dem Männer aktiv und emotional präsent sind.
Ausblick: Vatersein neu denken
Der Erfolg des Brooklyn Stroll Club zeigt, dass soziale Innovationen auch in kleinen, lokalen Gemeinschaften wirken können. Es bleibt abzuwarten, ob dieses Modell sich auf andere Städte und Länder überträgt. Erste Kontakte mit ähnlichen Gruppen in San Francisco und London gibt es bereits.
Für Hernandez und Lee ist klar: „Wir wollen weiter wachsen, ohne unser Grundprinzip zu verlieren – eine offene, unkomplizierte Gemeinschaft zu bleiben.“ Geplant sind künftig mehr thematische Workshops, Kooperationen mit Experten für Vater-Kind-Beziehungen und ein Ausbau der digitalen Plattform.
In einer Zeit, in der traditionelle Rollenbilder im Umbruch sind und soziale Isolation immer mehr Menschen betrifft, bietet der Brooklyn Stroll Club einen Ort der Begegnung und des Austauschs speziell für Väter. Das Projekt beweist, wie wichtig Gemeinschaft für das persönliche Wohlbefinden ist und wie soziale Netzwerke auch im urbanen Raum neue Formen finden. Wer mit Kinderwagen und Kaffeebecher spazieren geht, entdeckt hier nicht nur Freundschaft, sondern auch eine neue Art von Vatersein.
Quellen
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Cabrera, N.J., Volling, B.L., & Barr, R. (2018). Fathers Are Parents, Too! Wichtige Erkenntnisse über Vaterschaft und Entwicklung. Child Development Perspectives, 12(3), 152–157. https://doi.org/10.1111/cdep.12279
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Giallo, R., Cooklin, A., Wade, C., Dinh, H., & Nicholson, J.M. (2021). Social support and paternal mental health: Implications for fathers and children. Journal of Family Psychology, 35(5), 712–722. https://doi.org/10.1037/fam0000864
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Brooklyn Stroll Club. (2025). About Us. https://brooklynstrollclub.org/about
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