Solarstrom auf Schienen: Wie die Schweiz mit Sun-Ways das Bahnnetz zur Solaranlage macht

Zwischen Zürich und Lausanne wird das Schienennetz nicht nur befahren, sondern auch bald mit Sonnenlicht gefüttert: In einem weltweit einzigartigen Pilotprojekt hat das Schweizer Start-up Sun-Ways begonnen, Solarpanels direkt zwischen Eisenbahngleisen zu verlegen. Damit entsteht ein Energieprojekt, das nicht nur innovativ, sondern auch extrem platzsparend ist – und ein Vorbild für ganz Europa sein könnte.

Energie aus der Lücke

Die Schweiz zählt rund 5.300 Kilometer Bahnstrecke, davon allein 3.000 Kilometer elektrifizierte Hauptstrecken (SBB, 2023). Zwischen den Schienen liegt dabei eine brachliegende Ressource: nutzbare Fläche. Genau diese nutzt Sun-Ways nun für die Energiewende.

Die Idee: Solarpanels sollen dort Sonnenlicht einfangen, wo es bislang ungenutzt auf Schotter trifft – ohne Naturflächen zu versiegeln oder neue Anlagen auf Wiesen zu errichten. Möglich macht das eine Innovation, die zusammen mit der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) entwickelt wurde: abnehmbare und belastbare Photovoltaikmodule, die sich mechanisch mit einem Spezialzug zwischen die Gleise verlegen lassen (Sun-Ways, 2024a).

Eine Pionierleistung aus der Romandie

Sun-Ways wurde 2021 in Ecublens bei Lausanne gegründet. Das Unternehmen sieht sich als Antwort auf die Frage, wie die Energiewende ohne neue Flächenversiegelung vorankommen kann. CEO und Mitgründer Baptiste Danichert ist Ingenieur und ehemaliger Mitarbeiter in der Energietechnik. Er wollte das Konzept der „dualen Nutzung“ radikal weiterdenken: „Unser Ziel war, bestehende Infrastrukturen zu nutzen, um die Produktion erneuerbarer Energien zu dezentralisieren und zu beschleunigen“ (Sun-Ways, 2024b).

Das Unternehmen erhielt früh Unterstützung durch technische Partner wie die Firma Scheuchzer SA, die den Prototyp eines Solarpanel-Verlegezugs entwickelte. Dieser kann täglich rund 1.000 Quadratmeter Solarpanels auf Bahntrassen installieren – das entspricht etwa der Fläche eines kleinen Fußballfelds.

Pilotprojekt in Buttes

Im April 2024 wurde ein erstes Pilotprojekt auf einem 100 Meter langen Gleisabschnitt bei Buttes im Kanton Neuenburg umgesetzt. Dabei wurden 48 Solarpanels mit einer Gesamtleistung von 18 kWp installiert. Die jährliche Stromproduktion wird auf 16 MWh geschätzt – genug, um rund 15 Haushalte zu versorgen (PV Magazine, 2024a).

Der erzeugte Strom wird derzeit ins Netz des regionalen Energieversorgers Viteos eingespeist. Die Panels wurden so konzipiert, dass sie leicht demontierbar sind – etwa bei Wartungsarbeiten oder Schneeräumung im Winter. Züge, die darüber hinwegfahren, beschädigen sie nicht: Ein spezielles Glas und stoßdämpfende Materialien sorgen für Belastbarkeit. Zudem sind die Module blendfrei, um die Sicherheit der Lokführer zu gewährleisten (Sun-Ways, 2024a).

Sicherheitsbedenken und regulatorische Hürden

Ganz reibungslos verlief der Start jedoch nicht. Das Bundesamt für Verkehr (BAV) hatte dem Projekt 2023 zunächst die Genehmigung verweigert. Bedenken betrafen vor allem die Gleissicherheit, Brandrisiken und mögliche Auswirkungen auf den Bahnverkehr.

Sun-Ways reagierte mit umfangreichen Tests, u.a. durch die Fachhochschule HEIG-VD und das Beratungsunternehmen Geste Engineering. Erst nach deren positiven Gutachten wurde die Bewilligung für das Pilotprojekt erteilt (PV Magazine, 2024a).

Auch die Witterungsbedingungen stellen eine Herausforderung dar. Für Herbst und Winter plant das Unternehmen eine automatische Schneeräumung mit Heiztechnik oder integrierten Bürstensystemen. Zudem werden die Module regelmäßig mit den Zügen gereinigt.

Skalierbarkeit und Vision

Laut Berechnungen von Sun-Ways könnten bei einer breiteren Umsetzung auf den Schweizer Bahnstrecken bis zu 1 Terawattstunde (TWh) Strom pro Jahr erzeugt werden – das entspricht etwa 2 % des gesamten nationalen Strombedarfs (SwissInfo, 2024a).

Noch ambitionierter ist das langfristige Ziel: den auf den Gleisen erzeugten Strom direkt für die Bahntraktion zu nutzen – also Züge direkt mit selbst erzeugtem Strom zu betreiben.

Auch international wird die Technologie bereits angefragt. In Frankreich, Spanien, Rumänien und Südkorea laufen Gespräche über erste Pilotprojekte. Die Gemeinde Aigle in der Schweiz prüft die Nutzung eines 1,5 Kilometer langen Privatgleises mit einer geplanten Leistung von 288 kWp (Electric & Hybrid Rail, 2024).

Ein Modell für Europa?

Die Idee, bestehende Infrastrukturen doppelt zu nutzen, ist nicht neu – aber selten so konsequent umgesetzt wie bei Sun-Ways. Kritiker verweisen auf hohe Installationskosten: Der Prototyp in Buttes kostete rund 621.800 Euro (PV Magazine, 2024a). Doch dem stehen immense ökologische und infrastrukturelle Vorteile gegenüber: keine zusätzliche Landnutzung, keine Zerstörung von Lebensräumen, keine langen Genehmigungsverfahren.

Fazit

Sun-Ways zeigt, dass technische Innovation nicht immer neue Orte braucht – sondern manchmal einfach einen neuen Blick auf das, was schon da ist. Der Schotter zwischen den Gleisen war bislang bloß ein notwendiges Element des Bahnbetriebs. Jetzt könnte er Teil der Energiewende werden. Ein Projekt, das zeigt: Auch in der Schweiz ist noch Luft nach oben – oder besser: Sonne nach unten.


Quellen

 

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