Revolution aus der Nebenstraße: Wie ein Solarradweg bei Utrecht zur Stromquelle wurde

In einem kleinen Vorort der niederländischen Stadt Utrecht hat sich in den letzten Jahren etwas getan, das auf den ersten Blick unspektakulär wirkt – und doch das Potenzial hat, unser Verständnis von urbaner Infrastruktur grundlegend zu verändern. Zwischen Reihenhäusern, Schulen und Apfelbäumen verläuft ein Radweg, wie es ihn in den Niederlanden tausendfach gibt. Doch wer genau hinschaut, erkennt das Besondere: Statt Asphalt oder Pflastersteinen liegt hier Glas. Direkt darunter: Solarzellen.

Der unscheinbare Pfad trägt einen großen Namen – SolaRoad. Es ist ein Pilotprojekt mit einer einfachen, aber revolutionären Idee: Straßen und Wege könnten in Zukunft nicht nur Verkehrsflächen sein, sondern auch Energiequellen. In den Niederlanden, wo Fahrradfahren Nationalkultur ist, war die Idee naheliegend – ein Solarradweg, der Sonnenlicht einfängt, während Radfahrerinnen und Radfahrer darüber hinwegrollen.

Die Idee: Energie im Vorbeifahren erzeugen

Das Prinzip ist bestechend simpel: Die SolaRoad besteht aus modularen Betonplatten, die mit einer durchsichtigen, rutschfesten Glasabdeckung versehen sind. Unter dem Glas befinden sich Photovoltaik-Zellen, die das Sonnenlicht in Strom umwandeln. Der erzeugte Strom wird in das öffentliche Netz eingespeist.

Die ersten Testmeter dieses Solarradwegs wurden im Oktober 2014 im Ort Krommenie bei Amsterdam verlegt – eine rund 70 Meter lange Strecke auf einem gut genutzten Fahrradweg. Betrieben wurde das Projekt vom niederländischen Forschungsinstitut TNO, in Kooperation mit dem Bauunternehmen Ooms Civiel und dem Spezialglashersteller Imtech.

Bereits nach sechs Monaten wurde ein erster Erfolg vermeldet: Die Strecke erzeugte über 3.000 Kilowattstunden Strom – genug, um einen Einpersonenhaushalt für ein ganzes Jahr zu versorgen (TNO, 2015).

Vom Pilotprojekt zur weltweiten Aufmerksamkeit

Die Idee stieß auf enormes internationales Interesse. Medien aus der ganzen Welt berichteten über den Solarradweg, von der BBC bis zur New York Times. Besonders in Ländern mit hohen Solarerträgen wie den USA, Indien oder Australien begann man, ähnliche Konzepte zu prüfen.

In den Niederlanden wurde das Projekt stetig weiterentwickelt. 2016 folgte die Verlängerung des ursprünglichen SolaRoad-Abschnitts. Später wurde die Technologie auch in Busspuren, Autobahnabschnitten und Industrieparks getestet – immer mit dem Ziel, die Haltbarkeit und Energieeffizienz weiter zu verbessern.

Was einfach klingt, ist technisch hochkomplex

Die Herausforderungen lagen und liegen im Detail. Eine Straße ist kein Solardach. Sie muss Gewicht aushalten – selbst bei Radwegen hunderte Kilo pro Tag –, darf bei Regen nicht rutschig werden, muss leicht zu reinigen sein und bei allen Witterungen stabil bleiben. Das Glas darf nicht blenden, muss bruchfest und zugleich lichtdurchlässig sein. Und die darunterliegenden Solarzellen müssen effizient arbeiten, obwohl sie nicht zur Sonne hin ausgerichtet sind, sondern flach im Boden liegen.

Mehrfach wurde das Projekt durch kleinere Rückschläge aufgehalten. 2017 etwa sprangen einzelne Glasplatten aus ihrer Verankerung, weil sich Wasser darunter gesammelt hatte. Auch Effizienzprobleme bei geringer Sonneneinstrahlung sorgten für Kritik.

Doch TNO und die Projektpartner passten das Design immer wieder an. Neuere Prototypen nutzen robusteres Verbundglas, effektivere Zelltypen und stabilere Trägerschichten. Heute ist die dritte Generation der SolaRoad-Platten im Einsatz – modular, langlebiger und kosteneffizienter als die ursprüngliche Version.

Die Gründer: Forscher mit Mut zum Risiko

Hinter dem Projekt stehen keine Start-up-Träumer, sondern erfahrene Ingenieurteams des niederländischen Forschungsinstituts TNO (Nederlandse Organisatie voor toegepast-natuurwetenschappelijk onderzoek), einer der führenden Innovationsschmieden Europas. Projektleiter war Sten de Wit, ein promovierter Physiker, der bereits in den 1990er Jahren an nachhaltiger Energie forschte. Mit seinem Team wagte er sich in ein Feld, das viele zunächst belächelten.

„Es war nicht leicht, Investoren und Partner zu überzeugen. Die Idee, eine Straße aus Glas zu bauen, klang für viele wie Science-Fiction“, sagte de Wit in einem Interview mit DutchNews.nl (DutchNews, 2016). Doch gerade die Verbindung aus pragmatischem Ingenieursgeist und visionärer Vorstellungskraft machte den Solarradweg möglich.

https://www.youtube.com/watch?v=wIZFkw7GKik

Kritik: Kosten und Effizienz

Kritiker bemängeln, dass die Stromausbeute pro Quadratmeter deutlich unter der von geneigten Solardächern liegt – je nach Version erzeugt ein Quadratmeter Solarradweg-Fläche etwa 50–70 kWh im Jahr, während herkömmliche PV-Module auf Dächern bis zu 170 kWh schaffen (Fraunhofer ISE, 2024).

Auch die Herstellungskosten sind hoch: Eine Quadratmeterfläche des Solarradwegs kostet bis zu 1.000 Euro – ein Vielfaches eines herkömmlichen Asphaltwegs. Damit rechnet sich das Konzept bislang nur in sehr spezifischen Kontexten – etwa bei Flächen, die ohnehin versiegelt sind, aber keinen Platz für Aufbauten bieten.

Doch Befürworter argumentieren: Die Technologie steckt noch in den Kinderschuhen. Skaleneffekte, neue Materialien und eine kluge Kombination mit städtischer Infrastruktur – zum Beispiel in Smart Cities – könnten die Wirtschaftlichkeit drastisch verbessern.

Blick in die Zukunft: Solare Städte?

Heute ist SolaRoad mehr als ein Pilotprojekt. Die Technologie wurde exportiert – nach Kalifornien, nach Frankreich, nach Südkorea. In Südfrankreich etwa wurde 2016 ein 1 km langer Solarstraßenabschnitt in Tourouvre-au-Perche eröffnet – ebenfalls als Experiment. Auch in Deutschland testete man Solarpfade, etwa in Erfurt und im bayerischen Pfaffenhofen.

Die niederländische Regierung sieht in solaraktiven Infrastrukturen wie dem Solarradweg einen Baustein der Energiewende. Der „Klimapakt Niederlande“ will bis 2050 klimaneutral sein. Jedes zusätzliche Watt zählt – vor allem in einem Land, das wenig freie Fläche hat, aber Millionen Quadratmeter Straßen, Radwege und Parkplätze.

Was also als kurioses Experiment begann, wird nun ernsthaft weitergedacht: Als Beitrag zur Dezentralisierung der Energieversorgung. Als Lösung für urbane Energieprobleme. Und als Symbol dafür, dass Zukunft auch auf zwei Rädern vorbeifahren kann.


Fazit

SolaRoad ist noch lange nicht perfekt – aber es ist ein mutiger Schritt in eine neue Richtung. In einer Welt, in der der Klimawandel drängt, können auch kleine Innovationen Großes bewirken. Vielleicht ist es kein Zufall, dass ausgerechnet in einem Fahrradland wie den Niederlanden der erste Solarradweg entstand – mit einem Radweg, der Energie liefert, während Menschen auf ihm zur Schule, zur Arbeit oder ins Café radeln. Eine neue Generation von Straßen – still, dezent, aber kraftvoll.


Quellen

guteideen.org © 2025 by Gute Ideen ist lizenziert unter CC BY 4.0 . Kurz erklärt: Nutze alles und verlinke auf diesen Artikel. 


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