Salzbetriebener Kühlschrank aus Indien: Teenager erfinden stromfreie Kühlung für entlegene Regionen

Wie drei indische Schüler mit einem salzbetriebenen Kühlschrank ohne Strom das Leben von Millionen verbessern wollen

Es ist ein heißer Vormittag im zentralindischen Indore. Die Luft flimmert, die Sonne brennt vom Himmel, Stromausfälle sind Alltag. Doch in einem schlichten Klassenzimmer der Sri Sathya Sai Vidya Vihar School herrscht eine Aufbruchsstimmung, die an ein Forschungslabor des MIT erinnert. Hier tüftelten drei Teenager monatelang an einer Idee, die heute international für Aufsehen sorgt: einem Kühlschrank, der ohne Strom funktioniert, angetrieben allein durch eine chemische Reaktion von Salzen.

Was wie eine Schulspielerei klingt, ist längst zu einem realen Hilfsmittel für medizinische Versorgung in unterversorgten Regionen geworden. Das Projekt trägt den Namen Thermavault – und seine Erfinder heißen Dhruv Chaudhary, Mithran Ladhania und Mridul Jain. Alle sind zwischen 16 und 18 Jahre alt.

Der Auslöser: Eine Pandemie und ihre Folgen

Als im Jahr 2021 Indien mit der zweiten Corona-Welle kämpfte, stießen Millionen Familien an ihre Grenzen – auch die der medizinischen Versorgung. Impfstoffe standen vielerorts bereit, doch sie konnten in abgelegenen Dörfern nicht sicher gelagert werden, weil es dort keinen zuverlässigen Strom gab.

„Wir sahen, wie Impfstoffe verderben, weil es keine funktionierende Kühlkette gab. Das war ein Wendepunkt für uns“, erklärt Dhruv Chaudhary in einem Interview mit Business Insider (Business Insider, 2025). Alle drei Schüler stammen aus Familien mit medizinischem Hintergrund. Sie wussten: Es reicht nicht, Medikamente zu verteilen – sie müssen auch gekühlt werden können.

So entstand die Idee, ein mobiles Kühlsystem zu entwickeln, das ohne Elektrizität auskommt.

Eine salzige Lösung: Chemie statt Strom

Die Grundlage der Erfindung ist eine endotherme Reaktion – also eine chemische Reaktion, bei der Energie in Form von Wärme aus der Umgebung entzogen wird. Die Jugendlichen analysierten über 150 verschiedene Salze auf ihr thermodynamisches Potenzial. Nach unzähligen Experimenten blieben zwei Substanzen übrig: Ammoniumchlorid und Bariumhydroxid-Octahydrat.

Beim Kontakt mit Wasser ziehen diese Salze Wärme aus ihrer Umgebung. „Man kann das mit dem Kältegefühl vergleichen, das entsteht, wenn man sich Alkohol auf die Haut reibt“, erklärt Mithran Ladhania (Trak.in, 2025).

Durch sorgfältige Dosierung und geschickte Isolation entsteht eine Kühltemperatur zwischen +6 °C und -3 °C – perfekt für Impfstoffe oder temperaturempfindliche Medikamente wie Insulin.

So funktioniert ein salzbetriebener Kühlschrank

Das Gerät selbst besteht aus einem isolierten Kunststoffbehälter mit einer inneren Kupferkammer. In dieser Kammer werden die Medikamente oder Impfstoffe aufbewahrt. Um diese Kammer herum befindet sich ein zweites Fach mit den chemischen Salzen. Durch Zugabe von Wasser wird die endotherme Reaktion aktiviert – die Kupferkammer kühlt sich ab.

Das Gerät erreicht innerhalb von wenigen Minuten die Zieltemperatur und kann diese bis zu 12 Stunden lang aufrechterhalten. Das Gewicht beträgt unter 5 Kilogramm – es ist damit leicht tragbar, sogar zu Fuß.

Und: Die Salze sind wiederverwendbar. Nach dem Kühlvorgang kann man das Wasser abkochen, das Salz rückgewinnen und erneut verwenden. Ein ökologisch wie ökonomisch intelligenter Kreislauf.

Vom Schulprojekt zur internationalen Anerkennung

Für ihre bahnbrechende Idee gewannen die drei jungen Erfinder den Earth Prize 2025 – einen mit 100.000 US-Dollar dotierten internationalen Innovationspreis für Schülerprojekte im Bereich Nachhaltigkeit. Die Jury würdigte nicht nur die wissenschaftliche Originalität, sondern auch die soziale Relevanz.

Mit dem Preisgeld von 12.500 US-Dollar, das sie als Team erhielten, wollen sie 200 Prototypen bauen und an 120 ländliche Krankenhäuser in Indien liefern – als Feldversuch für eine größere Produktion (Business Insider, 2025).

 

Indiens Kühlproblem – eine stille Gesundheitskrise

Die Bedeutung des Projekts lässt sich nur im globalen Kontext vollständig verstehen. Laut der International Energy Agency haben weltweit immer noch rund 675 Millionen Menschen keinen Zugang zu Elektrizität – ein Großteil davon in Südasien und Afrika südlich der Sahara (IEA, 2023).

In Indien lebt rund zwei Drittel der Bevölkerung auf dem Land, oft ohne stabile Stromversorgung. Die WHO schätzt, dass bis zu 25 % der Impfstoffe in Entwicklungsländern aufgrund unterbrochener Kühlketten unbrauchbar werden (WHO, 2023). Der Thermavault könnte dieses Problem drastisch reduzieren.

 

Feldversuch in Indore: Medizinische Praxistests

Einer der ersten Tests fand im V One Hospital in Indore statt. Dr. Pritesh Vyas, dortiger Arzt, erklärt: „Wir haben Thermavault bei Außentemperaturen von 42 °C getestet. Die Impfstoffe blieben zwischen 2 °C und 8 °C stabil. Das Gerät funktionierte zuverlässig.“

Ein weiterer Vorteil: Da das Gerät ohne Strom arbeitet, ist es nicht anfällig für Spannungsschwankungen oder Stromausfälle, wie sie in ländlichen Regionen häufig auftreten.

Konkurrenz und Vorbilder: Wie einzigartig ist Thermavault?

Andere stromlose Kühlsysteme gibt es bereits – darunter den bekannten Mitticool-Kühlschrank aus Ton, erfunden von Mansukhbhai Prajapati. Dieser nutzt Verdunstungskälte, ist allerdings nur für leicht verderbliche Lebensmittel geeignet, nicht aber für medizinische Produkte (The Better India, 2014).

Auch das Pot-in-Pot-System, bei dem ein kleiner Tonkrug in einem größeren Krug mit feuchtem Sand steht, liefert rudimentäre Kühlung – allerdings auf deutlich höherem Temperaturniveau und ohne präzise Steuerung (Wikipedia, 2024).

Thermavault schließt hier eine Lücke: kontrollierte, wiederverwendbare, mobile Kühlung auf medizinischem Niveau – und das ohne Strom.

Bildung, Unternehmertum und eine neue Generation

Was das Projekt so bemerkenswert macht, ist nicht nur die Technologie, sondern die Haltung dahinter. Die Jugendlichen wurden von ihrem Chemielehrer Rahul Solanki unterstützt, doch das meiste entwickelten sie selbständig.

Sie hatten keine teuren Labore, keine Startfinanzierung – nur einen starken Antrieb, ein reales Problem zu lösen. Genau diese Kombination wird zunehmend von internationalen Organisationen gefördert.

„Junge Menschen haben oft die kreativsten Ideen, weil sie noch nicht gelernt haben, was angeblich nicht möglich ist“, sagte Dr. Angela Koehler von der Earth Foundation bei der Preisverleihung in Lausanne (Earth Prize, 2025).

Ausblick: Eine globale Lösung?

Thermavault steht jetzt am Anfang einer potenziellen globalen Erfolgsgeschichte. Die drei Gründer planen derzeit Gespräche mit NGOs, Gesundheitsministerien und internationalen Partnern. Ihr Ziel: eine WHO-Zertifizierung und die internationale Serienfertigung.

Sollte das gelingen, könnte das Gerät auch in Krisengebieten, Flüchtlingslagern oder mobilen Impfzentren weltweit eingesetzt werden.

Die Chancen stehen gut – denn der Thermavault ist nicht nur ein technisches Gerät. Er ist ein Symbol dafür, was möglich ist, wenn junge Menschen nicht nur träumen, sondern handeln.

Quellenangaben

 

guteideen.org © 2025 by Gute Ideen ist lizenziert unter CC BY 4.0 . Kurz erklärt: Nutze alles und verlinke auf diesen Artikel.

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