Der vergessene Elektro-Pionier: Wie der Hotzenblitz aus Thüringen Deutschland elektrisierte – und wieder verschwand

In einer Zeit, in der selbst die großen deutschen Autokonzerne noch ungläubig mit dem Kopf schüttelten, wenn jemand das Wort „Elektroauto“ in den Mund nahm, rollte im Osten der Republik ein kleines, knallrotes Gefährt vom Band – das erste serienmäßig produzierte Elektroauto Deutschlands: der Hotzenblitz. Entwickelt im Schwarzwald, gebaut in Suhl, Thüringen, war er seiner Zeit so weit voraus, dass es ihn bald wieder aus der Kurve trug. Die Geschichte eines visionären Projekts, das zu früh kam – und viel zu schnell wieder verschwand.

Der Anfang: Ein Blitz aus dem Hotzenwald

Der Name klingt nach Comicfigur, doch hinter dem Hotzenblitz steckt reale Technikbegeisterung – und ein unerschütterlicher Erfindergeist. Der Ursprung liegt im Hotzenwald, einem abgelegenen Teil des südlichen Schwarzwalds. Dort, in einer Garage in Rickenbach, tüftelte der gelernte Maschinenbauer und Tüftler Thomas Albiez an einem revolutionären Konzept: ein vollwertiges Elektroauto, das nicht aussieht wie ein Bastelprojekt, sondern ein echter Cityflitzer ist (MDR, 2021).

Die Vision: ein emissionsfreies Stadtauto, bezahlbar, wartungsarm, leicht und sicher. Während Daimler und VW noch über Wasserstoff philosophierten, legte Albiez los. Zusammen mit einem Team aus Ingenieuren und Enthusiasten gründete er Anfang der 90er-Jahre die Hotzenblitz Mobile GmbH. Unterstützt wurde das Vorhaben von regionalen Fördermitteln und dem Geist der Nachwendezeit – ein Zeitfenster, in dem vieles möglich schien.

Vom Schwarzwald nach Suhl: Produktionsstart im Osten

1993 war es so weit: Der Hotzenblitz ging in Serie. Produziert wurde das Fahrzeug in einer traditionsreichen Halle – dem ehemaligen Simson-Werk in Suhl, das einst Mopeds und Kleinwagen für die DDR gebaut hatte. Die Wahl fiel nicht zufällig auf Suhl: Die Region war nach der Wende auf der Suche nach neuen Perspektiven, die Arbeitskräfte hochqualifiziert, aber unterbeschäftigt.

„Suhl war für uns ideal“, erinnert sich Albiez in einem Interview mit dem MDR. „Die Menschen dort hatten Know-how, Maschinenbau-Erfahrung und Lust auf Neues“ (MDR, 2021).

Rund 150 Fahrzeuge verließen bis 1996 das Werk – ein Achtungserfolg, aber weit entfernt von einer wirtschaftlich tragfähigen Serienproduktion. Dennoch: Der Hotzenblitz war da. Und er war anders.

Das Auto: Leichtbau, Lithium und Lifestyle

Der Hotzenblitz war ein Zweisitzer, mit Kunststoffkarosserie, Sicherheitsfahrgastzelle, Frontantrieb und einer Reichweite von rund 100 Kilometern – für damalige Verhältnisse ein technologisches Statement. Er wog nur 780 Kilogramm, beschleunigte in 7 Sekunden auf 50 km/h und war auf 100 km/h gedrosselt – vor allem, um die Batteriekapazität nicht zu überfordern.

Angetrieben wurde der Wagen von Nickel-Cadmium-Akkus – Lithium-Ionen-Technologie war noch nicht serienreif. Der Clou war das Design: Rund, knuffig, futuristisch. Der Hotzenblitz sah aus wie ein verunglückter Smart – nur dass es den Smart damals noch gar nicht gab.

Einige Modelle wurden sogar mit Solardächern getestet, andere in Kooperation mit Stadtwerken betrieben. „Der Hotzenblitz war seiner Zeit voraus“, sagt Autojournalist Wolfgang Groeger-Meier, „aber das Umfeld war es nicht“ (Groeger-Meier, 2021).

Das Problem: Ein Markt, den es nicht gab

So visionär das Konzept war – das Geschäftsmodell hatte einen Geburtsfehler: Es gab schlicht keine Nachfrage. In den 90ern galt das Elektroauto als Spielerei für Öko-Sektierer. Die Infrastruktur fehlte, die Batterietechnik war teuer, und staatliche Förderung gab es kaum.

Zudem litten die ersten Modelle unter Kinderkrankheiten – von undichten Türen bis zu defekten Steuerungen. Albiez und sein Team hatten das Know-how, aber nicht die Ressourcen, um Qualität auf Großserienniveau zu sichern. Investoren sprangen ab, der Staat hielt sich zurück, die Banken wurden nervös.

1996 war Schluss. Die Hotzenblitz Mobile GmbH ging in die Insolvenz, das Projekt wurde eingestellt. Der Traum vom deutschen Elektroauto made in Thüringen war geplatzt.

Nachleben: Vom Museumsstück zum Kultobjekt

Heute existieren noch etwa 80 fahrbereite Hotzenblitze – liebevoll gepflegt von einer kleinen, treuen Fangemeinde. Auf Oldtimer-Treffen ziehen die knallroten Elektrozwerge Blicke auf sich, und ihre Geschichte sorgt für ungläubiges Staunen.

„Die Leute können kaum glauben, dass das schon in den 90ern existierte“, sagt Manfred Weigert, Vorsitzender des Hotzenblitz-Fanclubs. Inzwischen gibt es Ersatzteile, Umbau-Kits auf moderne Akkus – und eine gewisse Genugtuung darüber, dass die Idee nicht falsch, sondern nur zu früh war.

Sogar ein Neuanlauf wurde versucht: Der ehemalige Testfahrer und Enthusiast Peter Paukstat wollte 2010 eine Neuauflage starten, inklusive moderner Lithium-Technologie. Das Projekt scheiterte – wie schon das Original – an Kapitalmangel und Behördenauflagen.

Heute: Elektroautos im Mainstream – und ein vergessener Pionier

Rund 30 Jahre nach seinem Produktionsstart ist der Hotzenblitz endgültig rehabilitiert. Was früher als exzentrisch galt, ist heute politischer Konsens: Der Verkehr muss elektrifiziert werden. Allein 2023 wurden in Deutschland über 524.000 Elektroautos neu zugelassen (Kraftfahrt-Bundesamt, 2024). Der Staat fördert, die Industrie zieht mit – was dem Hotzenblitz einst fehlte, ist heute selbstverständlich.

Und doch redet kaum jemand über ihn. In den glitzernden Showrooms der Autobauer spielt der kleine rote Blitz keine Rolle. Er passt nicht ins Narrativ vom großen Technologiewandel „Made in Germany“. Zu provinziell. Zu alternativ. Zu sehr aus dem Osten.

Dabei hätte er es verdient, erinnert zu werden – als Mahnung, dass nicht nur Technologie, sondern auch Timing, Mut und Kapital über Erfolg und Scheitern entscheiden.

Fazit: Der Hotzenblitz war kein Irrweg – sondern ein Wegweiser

Die Geschichte des Hotzenblitz ist mehr als nur die Anekdote eines gescheiterten Start-ups. Sie ist ein Stück Industriegeschichte, das zeigt, wie weit Visionen tragen können – und wie schnell sie scheitern können, wenn das Umfeld nicht mitzieht. In Zeiten von Klimakrise und Mobilitätswende wirkt der Hotzenblitz wie ein leiser Vorbote der Zukunft. Einer, den man belächelte – bevor man ihn vergaß.

Vielleicht ist es an der Zeit, ihn neu zu entdecken.

Quellenverzeichnis

 

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