Wenn das Zeugnis zur Belastung wird: Warum eine neue Leistungsbewertung ohne Noten sinnvoll sein könnte

Die Herausforderung der Zeugnisvergabe

Die Winterferien stehen vor der Tür, und mit ihnen naht für viele Schülerinnen und Schüler die Übergabe der Halbjahreszeugnisse. Während einige stolz ihre Leistungen präsentieren, blicken andere mit Sorge auf die bevorstehenden Noten. Schlechte Zeugnisse können nicht nur Enttäuschung hervorrufen, sondern auch Ängste und familiäre Konflikte auslösen. In solchen Momenten fühlen sich Betroffene oft allein gelassen und überfordert (NDR, 2025).

Das Zeugnissorgentelefon: Ein offenes Ohr für Betroffene

Um Schülerinnen und Schülern sowie ihren Eltern in dieser Situation beizustehen, hat das Bildungsministerium Mecklenburg-Vorpommern das Zeugnissorgentelefon ins Leben gerufen. Dieses Angebot des Zentralen Fachbereichs für Diagnostik und Schulpsychologie (ZDS) ist speziell darauf ausgerichtet, Unterstützung rund um das Thema Zeugnis zu bieten. Die Hotline ist unter der Telefonnummer 0385 588 7987 erreichbar und steht jeweils eine Woche vor und eine Woche nach der Zeugnisausgabe zur Verfügung. Die telefonische Beratung ist montags bis freitags bis zum 7. Februar sowie am Samstag, 1. Februar, jeweils in der Zeit von 8 Uhr bis 18 Uhr erreichbar (Familieninfo MV, n.d.).

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ZDS bieten nicht nur ein offenes Ohr für Sorgen und Ängste, sondern geben auch praktische Tipps, wie Leistungen verbessert werden können. Bildungsministerin Simone Oldenburg betont: „Uns ist es wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler, aber auch ihre Eltern wissen, dass wir ein offenes Ohr haben und ihre Sorgen ernst nehmen. Dafür können sie sich an die Lehrkräfte ihres Vertrauens oder an das Zeugnissorgentelefon wenden“ (NDR, 2025).

Erfolgreiche Umsetzung: Ein Blick auf die Praxis

Die Einführung des Zeugnissorgentelefons zeigt bereits positive Resonanz. Viele Schülerinnen und Schüler sowie Eltern haben das Angebot genutzt, um über ihre Sorgen zu sprechen und gemeinsam Lösungen zu finden. Ein Beispiel ist die Geschichte von Lena, einer Schülerin der 9. Klasse, die aufgrund schlechter Noten in Mathematik Angst vor der Reaktion ihrer Eltern hatte. Durch das Gespräch mit einer Beraterin der Hotline konnte sie nicht nur ihre Ängste abbauen, sondern erhielt auch wertvolle Hinweise für Nachhilfeangebote und Lernstrategien (Strelitzius, 2025).

Solche Erfolgsgeschichten unterstreichen die Bedeutung niederschwelliger Unterstützungsangebote im Bildungsbereich. Sie zeigen, dass durch gezielte Beratung und ein offenes Ohr viele Probleme bereits im Vorfeld entschärft werden können.

Plädoyer für eine neue Leistungsbewertung: Lernen ohne Noten

Die Diskussion um die Sinnhaftigkeit von Noten ist nicht neu. Kritiker argumentieren, dass Ziffernnoten oft nicht die tatsächlichen Fähigkeiten und Potenziale von Schülerinnen und Schülern widerspiegeln. Stattdessen könnten sie den Lernprozess behindern und den Fokus auf das Erreichen von Noten statt auf das eigentliche Lernen lenken (Brügelmann, 2014).

Ein Blick auf alternative Schulformen wie die Waldorfschulen zeigt, dass es auch anders geht. Seit über 100 Jahren setzen diese Schulen auf eine ganzheitliche Bildung ohne Ziffernnoten. Stattdessen erhalten die Schülerinnen und Schüler ausführliche verbale Beurteilungen, die ihre individuellen Stärken und Entwicklungsfelder aufzeigen. Diese Form der Rückmeldung fördert nicht nur das Selbstbewusstsein, sondern motiviert auch zu weiterem Lernen (Brügelmann, 2005).

Auch in Finnland, dessen Bildungssystem international oft als Vorbild dient, wird in den ersten Schuljahren auf Noten verzichtet. Stattdessen liegt der Fokus auf der individuellen Förderung und der Entwicklung sozialer Kompetenzen. Studien haben gezeigt, dass dieses System nicht nur zu besseren Lernergebnissen führt, sondern auch das Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler steigert (Skiera, 2011).

In Thüringen wurde kürzlich ein Pilotprojekt gestartet, bei dem in ausgewählten Schulen auf die Vergabe von Noten verzichtet wird. Erste Rückmeldungen von Lehrkräften, Eltern und Schülerinnen und Schülern sind positiv. Sie berichten von einer entspannteren Lernatmosphäre und einer stärkeren Motivation, sich mit den Unterrichtsinhalten auseinanderzusetzen (Brügelmann, 2014).

Eine Untersuchung von Brügelmann (2014) kommt zu dem Schluss, dass verbale Beurteilungen in den Klassen 3 und 4 erfolgreich eingesetzt werden können. Eltern und Lehrkräfte, die eigene Erfahrungen damit gemacht haben, berichten mehrheitlich von positiven Erfahrungen und sind auch mehrheitlich von der Überlegenheit gegenüber Noten überzeugt.

Diese Beispiele und Studien legen nahe, dass der Verzicht auf Ziffernnoten nicht nur möglich, sondern auch förderlich für die Entwicklung von Schülerinnen und Schülern ist. Es ist an der Zeit, traditionelle Bewertungsmethoden zu überdenken und den Fokus auf individuelle Förderung und ganzheitliches Lernen zu legen.

Quellen

 

guteideen.org © 2025 by Gute Ideen ist lizenziert unter CC BY 4.0 . Kurz erklärt: Nutze alles und verlinke auf diesen Artikel.

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