Wohnen wie auf einem anderen Planeten: Die Kugelhäuser von ’s-Hertogenbosch

Ein architektonisches Experiment der 1980er Jahre

In den 1980er Jahren stand die niederländische Architektur vor der Herausforderung, innovativen und zugleich bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Die Regierung förderte experimentelle Bauprojekte, um den Wohnungsbau zu revolutionieren und den steigenden Bedarf an Wohnraum zu decken. In diesem Kontext entstand die Idee der „Bolwoningen“ – kugelförmige Häuser, die sowohl funktional als auch ästhetisch neue Wege beschreiten sollten.

Die Vision des Dries Kreijkamp: Architektur als Hommage an die Natur

Dries Kreijkamp (1937–2014), ein niederländischer Architekt, dessen Werke bis heute für ihre unkonventionelle Herangehensweise bewundert werden, widmete sein Leben einer Vision: Architektur zu schaffen, die nicht nur funktional, sondern auch im Einklang mit der Natur steht. Inspiriert von der Geometrie der Kugel, die in der Natur allgegenwärtig ist – von Wassertropfen bis zu Planeten –, betrachtete Kreijkamp diese Form als Idealmodell für Wohnraum.

Für Kreijkamp verkörperte die Kugel mehrere essenzielle Prinzipien: Sie bietet maximales Volumen bei minimaler Oberfläche, was sie zu einer der energieeffizientesten Bauformen macht. Weniger Fläche bedeutet weniger Materialverbrauch und reduzierte Energieverluste – Faktoren, die damals wie heute in der Architektur eine zentrale Rolle spielen. Doch es war nicht allein die Funktionalität, die Kreijkamp faszinierte. Er sah in der Kugel eine Möglichkeit, die Grenzen der traditionellen Bauweise aufzubrechen und ein Wohnkonzept zu schaffen, das den Menschen näher zur Natur bringt. „In einem Kugelhaus hat man das Gefühl, mitten in der Natur zu leben“, sagte er in einem seiner wenigen Interviews.

Die runde Form ermöglicht einen 360-Grad-Blick auf die Umgebung, ein Konzept, das Kreijkamp in seinen Entwürfen konsequent umsetzte. Diese Offenheit, gepaart mit der Reduktion auf das Wesentliche, spiegelt auch Kreijkamps Überzeugung wider, dass Wohnraum mehr als nur ein Ort zum Leben sein sollte. Es sollte ein Raum sein, der inspiriert und in Harmonie mit seiner Umwelt steht.

Bereits in den 1970er Jahren entwickelte Kreijkamp erste Prototypen seiner kugelförmigen Häuser. Diese waren noch als Einzelstücke gedacht, oft als Ferienhäuser oder kleine Rückzugsorte. Doch sein Traum war größer: eine ganze Siedlung aus Kugelhäusern, die nicht nur als architektonische Experimente dienen, sondern tatsächlich bewohnbar sind und eine Lösung für den städtischen Wohnungsbau bieten.

Der Weg zur Realisierung: Experimentelle Baukunst mit staatlicher Unterstützung

In den frühen 1980er Jahren bot sich Kreijkamp die Gelegenheit, seinen Traum in die Realität umzusetzen. Die niederländische Regierung hatte ein Subventionsprogramm ins Leben gerufen, das gezielt experimentelle Wohnbauprojekte förderte. Ziel war es, innovative Ansätze zu erforschen, die sowohl dem steigenden Bedarf an Wohnraum gerecht werden als auch den Herausforderungen der Energiekrise begegnen konnten. Kreijkamps Konzept passte perfekt in dieses Förderprogramm.

Mit einer Finanzierung aus diesem Programm und Unterstützung der Stadtverwaltung von ’s-Hertogenbosch entstand 1984 die weltweit erste und bislang einzige Siedlung aus Kugelhäusern. Sie trägt den Namen „Bolwoningen“, was sich grob als „Kugelhäuser“ übersetzen lässt. Insgesamt wurden 50 dieser außergewöhnlichen Häuser gebaut, alle nach dem gleichen Prinzip, aber mit individuellen Anpassungen an die Bedürfnisse der Bewohner.

Der Bau der Bolwoningen war eine technische und logistische Herausforderung. Ursprünglich plante Kreijkamp, die Kugeln aus leichtem Polyester zu fertigen, doch strenge Brandschutzauflagen machten einen Wechsel zu glasfaserverstärktem Beton notwendig. Diese Materialwahl erhöhte das Gewicht der Häuser erheblich, brachte jedoch auch Vorteile wie erhöhte Stabilität und Langlebigkeit mit sich.

Jedes Haus wurde auf eine zylindrische Säule gesetzt, die nicht nur als Fundament dient, sondern auch Platz für Abstellräume bietet. Die Kugel selbst hat einen Durchmesser von 5,5 Metern und bietet etwa 55 Quadratmeter Wohnfläche. Die Raumaufteilung ist unkonventionell: Eine Wendeltreppe verbindet die verschiedenen Ebenen, die spiralförmig nach oben verlaufen. Das Erdgeschoss dient als Schlafraum, darüber befindet sich das Badezimmer, und die oberste Etage beherbergt die Wohnküche. Große, runde Fenster sorgen für Licht und bieten einen Panoramablick – ein Markenzeichen von Kreijkamps Architektur.

Trotz der avantgardistischen Bauweise legte Kreijkamp großen Wert darauf, dass die Häuser funktional und bezahlbar bleiben. Mit den Bolwoningen wollte er beweisen, dass innovatives Design und Alltagstauglichkeit keine Gegensätze sein müssen.

Herausforderungen und Anpassungen

Ursprünglich plante Kreijkamp, die Kugeln aus Polyester zu fertigen, doch aus Brandschutzgründen musste auf glasfaserverstärkten Beton zurückgegriffen werden. Diese Materialwahl erhöhte das Gewicht der Häuser auf etwa 1.250 Kilogramm. Trotz dieser Anpassungen blieb die Grundidee erhalten: ein innovatives, energieeffizientes und naturverbundenes Wohnen zu ermöglichen. Allerdings traten in den 1990er Jahren bauliche Mängel auf, die beinahe zum Abriss der Siedlung geführt hätten. Nur durch umfangreiche Renovierungen konnten die Bolwoningen erhalten und weiterhin bewohnt werden. Bubblemania

Einblicke in das Leben in den Kugelhäusern

Die Bolwoningen sind nicht nur architektonische Kuriositäten, sondern dienen als vollwertige Wohnhäuser. Bewohner berichten von einem einzigartigen Wohngefühl, das durch die runde Form und die besondere Raumaufteilung entsteht. Die großen Fenster sorgen für helle Räume und einen intensiven Kontakt zur Außenwelt. Allerdings erfordert das Einrichten der runden Räume Kreativität, da Standardmöbel oft nicht passen. Trotz dieser Herausforderungen schätzen die Bewohner die Individualität und den Charakter ihrer Kugelhäuser. Hotspot Holland

Die Bedeutung der Bolwoningen heute

Die Kugelhäuser von ’s-Hertogenbosch sind ein Zeugnis für den Innovationsgeist der 1980er Jahre und die Bereitschaft, unkonventionelle Wohnformen auszuprobieren. Sie stehen für eine Zeit, in der experimentelle Architektur gefördert und neue Wege im Wohnungsbau beschritten wurden. Heute sind die Bolwoningen nicht nur bewohnte Häuser, sondern auch eine Touristenattraktion und ein Symbol für kreatives Denken im Städtebau. Sie erinnern daran, dass es möglich ist, traditionelle Wohnkonzepte zu hinterfragen und alternative Lösungen zu realisieren. Rheinischer Spiegel 

Die Bolwoningen in ’s-Hertogenbosch zeigen, dass visionäre Architekturprojekte realisierbar sind und auch Jahrzehnte später noch Relevanz besitzen. Sie bieten nicht nur Wohnraum, sondern auch Inspiration für zukünftige Generationen von Architekten und Stadtplanern, die nach innovativen und nachhaltigen Lösungen im Wohnungsbau suchen.

Quellen

 

guteideen.org © 2024 by Gute Ideen ist lizenziert unter CC BY 4.0 . Kurz erklärt: Nutze alles und verlinke auf diesen Artikel.

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