Spiel und Brot: Wie zwei Männer das Sterben der Läden in Oderberg stoppen wollen

Wenn Läden verschwinden: Ein Dorf im Wandel

Das brandenburgische Oderberg liegt eingebettet in die malerische Landschaft des Biosphärenreservats Schorfheide-Chorin. Doch trotz seiner natürlichen Schönheit hat der Ort mit einem Problem zu kämpfen, das viele Dörfer in Deutschland betrifft: das Ladensterben. Wo einst reges Treiben herrschte, schließen Geschäfte reihenweise ihre Türen. In den letzten Jahren hat die Einwohnerzahl abgenommen, und mit ihr verschwand auch ein Stück Dorfleben. Wer heute frisches Brot kaufen oder die Batterien für die Fernbedienung ersetzen will, muss oft kilometerweit fahren. Für viele ältere Bewohner wird das zu einem unüberwindbaren Hindernis.

Die Ursachen für das Ladensterben sind vielfältig: die Abwanderung jüngerer Generationen in die Großstädte, die Konkurrenz durch große Einzelhandelsketten und der zunehmende Online-Handel. Doch in Oderberg haben sich zwei Männer vorgenommen, diesem Trend entgegenzuwirken. Ihre Lösung: eine Kombination aus Brot und Bühnenmagie.

Eine ungewöhnliche Partnerschaft: Der Bäcker und der Puppenspieler

Kai Kreutzmann ist ein Mann mit Mehl in den Adern. Der gelernte Bäckermeister betreibt seit Jahren eine kleine Bäckerei in Oderberg, doch die schwindende Kundschaft hat auch ihm zugesetzt. Sein Mitstreiter Artur Albrecht bringt eine ganz andere Expertise mit: Er ist Puppenspieler und hat jahrzehntelang auf Bühnen im In- und Ausland gespielt. Die beiden Männer, die auf den ersten Blick wenig gemein haben, verbindet eine gemeinsame Vision: Sie wollen den Ortskern von Oderberg wiederbeleben und den Menschen ein Angebot machen, das es so noch nicht gibt.

Ihre Idee: Eine Kombination aus Bäckerei und Kulturzentrum. In der neuen „Kulturbackstube“ sollen nicht nur Brot, Kuchen und Gebäck über den Tresen gehen, sondern auch Theateraufführungen, Lesungen und Workshops stattfinden. „Wir wollten einen Ort schaffen, der die Menschen zusammenbringt – nicht nur zum Einkaufen, sondern auch zum Verweilen und Erleben“, erklärt Albrecht. Kreutzmann ergänzt: „Das Brot ist dabei die Basis, aber die Kultur gibt dem Ganzen das gewisse Etwas.“

Die Entstehung der Kulturbackstube

Die Idee zur Kulturbackstube entstand während eines Gesprächs bei einer Tasse Kaffee. Kreutzmann und Albrecht hatten sich über den Zustand ihres Dorfes ausgetauscht und schnell festgestellt, dass sie beide etwas ändern wollten. Doch wie? Die Lösung war so simpel wie genial: Warum nicht ihre beiden Talente kombinieren?

Nach intensiven Planungen und Gesprächen mit der Gemeinde gründeten sie 2021 die „Kulturbackstube Oderberg GbR“. Die Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts bot ihnen die Flexibilität, ihre Vision ohne großen finanziellen Druck umzusetzen. Unterstützt wurden sie von lokalen Vereinen und engagierten Bewohnern, die das Projekt von Anfang an begleiteten.

Erfolge und Herausforderungen

Die Kulturbackstube öffnete im Sommer 2022 ihre Türen und war von Beginn an ein Publikumsmagnet. Morgens stehen die Menschen Schlange, um Kreutzmanns handgefertigte Brötchen zu kaufen, und abends verwandelt sich der Verkaufsraum in eine Bühne für Albrechts Puppentheater. Auch Gastkünstler und Autoren werden regelmäßig eingeladen. Besonders beliebt ist der monatliche „Back-und-Bühnen-Abend“, bei dem die Besucher erst ihre eigenen Brezeln formen und backen können, bevor sie eine Aufführung genießen.

Doch der Weg war nicht immer einfach. „Die größte Herausforderung war die Finanzierung“, berichtet Kreutzmann. Zwar gab es einige Fördermittel aus Landes- und EU-Programmen, doch ein Großteil der Investitionen wurde aus eigener Tasche finanziert. Auch die Umgestaltung der alten Bäckerei in einen multifunktionalen Raum erforderte viel Kreativität und Durchhaltevermögen. Albrecht erinnert sich: „Es gab Momente, in denen wir dachten, das schaffen wir nie. Aber der Zuspruch aus der Gemeinde hat uns immer wieder motiviert.“

Eine neue Perspektive für Oderberg

Die Kulturbackstube hat nicht nur die wirtschaftliche Lage der beiden Gründer verbessert, sondern auch das Dorfleben nachhaltig verändert. Viele Bewohner, die sich früher kaum kannten, treffen sich heute regelmäßig in der Backstube. Auch Touristen, die die Region besuchen, haben die Kulturbackstube für sich entdeckt. „Es ist schön zu sehen, wie unser Projekt die Menschen zusammenbringt“, sagt Albrecht.

Ein Beispiel für den Erfolg des Projekts ist die Geschichte von Frau Müller, einer 78-jährigen Bewohnerin von Oderberg. Früher sei sie oft allein zu Hause gewesen, erzählt sie. „Jetzt gehe ich mindestens einmal die Woche in die Kulturbackstube. Dort treffe ich Bekannte und habe sogar neue Freundschaften geschlossen.“

Ein Modell mit Zukunft?

Die Idee der Kulturbackstube hat bereits Interesse über die Grenzen von Oderberg hinaus geweckt. Kreutzmann und Albrecht wurden eingeladen, ihre Erfahrungen auf regionalen Wirtschaftskonferenzen zu teilen. „Viele Gemeinden stehen vor ähnlichen Herausforderungen wie wir“, erklärt Kreutzmann. „Vielleicht können wir anderen zeigen, dass es sich lohnt, neue Wege zu gehen.“

Die beiden Gründer sind sich einig: Die Kulturbackstube ist mehr als ein Geschäftsmodell. Sie ist ein Symbol für Gemeinschaft, Kreativität und den Glauben daran, dass Veränderung möglich ist – auch in einer Welt, die sich ständig wandelt.

Quellenangaben

  1. Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung (2022): „Herausforderungen für ländliche Regionen“. Verfügbar unter: https://www.politische-bildung-brandenburg.de/herausforderungen-landliche-regionen
  2. Statistikamt Berlin-Brandenburg (2021): „Bevölkerungsentwicklung in Oderberg“. Verfügbar unter: https://www.statistik-berlin-brandenburg.de/bevoelkerungsentwicklung/oderberg
  3. Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (2022): „Förderprogramme für ländliche Entwicklung“. Verfügbar unter: https://www.bmwk.de/foerderprogramme-landliche-entwicklung
  4. Interview mit Kai Kreutzmann und Artur Albrecht (2023).

 

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