Das Problem: Tausende Orangen als Abfall
Sevilla, die Hauptstadt Andalusiens, ist berühmt für ihre prachtvollen Orangenbäume. Mit etwa 50.000 Bäumen in der Stadt gilt sie als eine der größten urbanen Plantagen der Welt. Doch was viele als malerisches Bild wahrnehmen, bringt erhebliche Probleme mit sich. Jedes Jahr fallen Tausende von Orangen auf die Straßen, wo sie zermatscht werden, den Verkehr behindern und eine Gefahr für Fußgänger darstellen. Darüber hinaus ziehen die zerquetschten Früchte Insekten an und verrotten zu einem unansehnlichen Brei.
Die Masse der Früchte überfordert die Entsorgungskapazitäten der Stadt. Schätzungen zufolge fallen jedes Jahr rund 5,7 Millionen Kilogramm Orangen an, die zum Großteil im Müll landen. Dabei handelt es sich nicht um saftige Essorangen, sondern um die bitteren Sevilla-Orangen, die traditionell eher für Marmelade oder aromatische Produkte genutzt werden. Dennoch bleiben riesige Mengen ungenutzt — ein Paradebeispiel für Lebensmittelverschwendung und ein Versäumnis im Umgang mit Ressourcen.
Die innovative Lösung: Strom aus Orangen
Um dieses Problem anzugehen, hat die städtische Wasser- und Abfallwirtschaftsgesellschaft Emasesa ein visionäres Projekt ins Leben gerufen. Die Idee: Die gefallenen Orangen sammeln, den Saft extrahieren und durch Fermentation Biogas erzeugen. Dieses Biogas soll die Kläranlage EDAR Copero betreiben, eine der wichtigsten Abwasserbehandlungsanlagen Sevillas.
Der Prozess ist überraschend effizient. Der Saft der Orangen, der zu etwa 85 Prozent aus Wasser und Zucker besteht, wird durch mikrobielle Fermentation in Methan umgewandelt. Dieses Methan dient als Brennstoff für Generatoren, die Strom erzeugen.
Das Fruchtfleisch und die Schalen bleiben dabei nicht ungenutzt. Diese Rückstände werden zu hochwertigem Kompost verarbeitet, der wiederum als Dünger in der Landwirtschaft eingesetzt wird. So schließt sich der Kreis, und aus einem Abfallprodukt wird eine Ressource für nachhaltige Energie und Landwirtschaft.
Ursprung des Projekts: Vision und Realität
Hinter dieser Initiative Strom aus Orangen stehen die Ingenieure und Forscher von Emasesa, einem Unternehmen im Besitz der Stadtverwaltung. Gegründet in den 1970er-Jahren, ist Emasesa vor allem für die Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung verantwortlich. Doch mit steigenden Anforderungen an Nachhaltigkeit hat sich die Organisation zunehmend auch als Innovator im Bereich der Kreislaufwirtschaft positioniert.
Das Projekt wurde 2021 gestartet und erforderte eine Investition von 250.000 Euro. Ziel war es, die Energieautarkie der EDAR Copero-Kläranlage zu verbessern und gleichzeitig die städtischen Entsorgungsprobleme zu lindern. Die Investition mag auf den ersten Blick hoch erscheinen, doch die Ergebnisse sprechen für sich: Die Anlage produziert pro Jahr etwa 1.500 Kilowattstunden Strom — genug, um 150 Haushalte mit Energie zu versorgen.
Erste Erfolge: Von der Vision zur Praxis
Schon in der Testphase zeigte sich das Potenzial des Projekts Strom aus Orangen. Im Frühjahr 2021 wurden die ersten Tonnen Orangen gesammelt und in der Kläranlage verarbeitet. Die Ergebnisse übertrafen die Erwartungen: Nicht nur konnte die Energieproduktion gesteigert werden, sondern auch die Kosten für die Entsorgung der Früchte sanken erheblich.
Eine der beeindruckendsten Zahlen ist die CO2-Bilanz. Durch die Nutzung der Orangen für die Biogasproduktion konnten mehrere Tonnen Kohlendioxid eingespart werden, die andernfalls durch herkömmliche Energiequellen freigesetzt worden wären. Zudem wurde durch die Kompostierung der Schalen die Bodenqualität in landwirtschaftlichen Betrieben der Region verbessert.
Ein Beispiel für den Erfolg ist der Einsatz in der Gemeinde Alcala de Guadaíra, einem Vorort Sevillas. Hier konnte die lokale Kläranlage durch die Nutzung von Orangen-Biogas komplett energieautark betrieben werden. Solche Projekte zeigen, wie lokale Initiativen zu greifbaren Resultaten führen können.
Strom aus Orangen: Herausforderungen und Zukunftsperspektiven
Trotz der Erfolge Strom aus Orangen herzustellen, gibt es Herausforderungen. Die Logistik der Orangensammlung erfordert eine enge Zusammenarbeit mit verschiedenen städtischen Abteilungen. Zudem ist die Biogasproduktion zwar effizient, aber noch nicht skalierbar genug, um alle Orangen der Stadt zu nutzen. Dennoch sehen die Verantwortlichen großes Potenzial, das Projekt auszuweiten.
Die langfristigen Pläne umfassen den Aufbau weiterer Biogasanlagen sowie die Entwicklung neuer Produkte aus Orangenschalen, etwa ätherische Öle oder Tierfutter. Ziel ist es, Sevilla als Modellstadt für nachhaltige Innovation zu etablieren und andere Städte weltweit zu inspirieren.
Ein Vorbild für andere Städte
Das ProjektStrom aus Orangen von Emasesa hat nicht nur lokal Aufmerksamkeit erregt, sondern auch international Beachtung gefunden. Es zeigt eindrucksvoll, wie eine Stadt ihre Ressourcen intelligenter nutzen kann. Dabei wird deutlich: Kreislaufwirtschaft ist keine abstrakte Idee, sondern eine realisierbare Lösung für drängende Probleme wie Abfallmanagement und Klimaschutz.
Sevilla hat einen wichtigen Schritt getan, um Nachhaltigkeit in den urbanen Raum zu bringen. Während viele Städte noch überlegen, wie sie ihre Umweltprobleme angehen können, hat die andalusische Metropole mit ihren Orangen bewiesen, dass innovative Ideen eine Stadt verändern können. Ob andere folgen werden, bleibt abzuwarten — das Potenzial ist jedenfalls vorhanden.
Quellen
- Emasesa. 2021. „Circular Economy in Seville: Turning Waste into Energy“. https://www.emasesa.com
- BBC. 2021. „Seville’s Plan to Turn Oranges into Electricity“. https://www.bbc.com/news
- Euronews. 2022. „From Bitter Oranges to Green Energy: Sevilla’s Sustainable Vision“. https://www.euronews.com
- Forbes. 2022. „How Cities Can Lead the Way in Sustainable Innovation“. https://www.forbes.com
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