Ein Viertel im Wandel: Mittendrin die solidarische Bäckerei Phylia
Die Stadt Rennes, bekannt für ihre historische Architektur und das pulsierende studentische Leben, steht wie viele andere Städte vor einer grundlegenden Herausforderung: der Verödung ihrer Stadtviertel. Insbesondere in den einst lebendigen, aber nun wirtschaftlich angeschlagenen Stadtteilen ist der Verlust von Geschäften spürbar. Wo früher Bäckereien, Metzgereien und kleine Läden das Straßenbild prägten, stehen heute Leerstand und triste Fassaden. Für viele Bewohner dieser Viertel bedeutet dies nicht nur den Verlust von Infrastruktur, sondern auch von Lebensqualität und sozialer Verbindung.
Inmitten dieser Problematik liegt ein weiteres Problem verborgen: die zunehmende soziale und finanzielle Ungleichheit. In Frankreich, einem Land mit einer starken kulinarischen Tradition, ist das Brot weit mehr als nur ein Grundnahrungsmittel. Es ist ein Symbol für Gemeinschaft, Kultur und Identität. Doch für immer mehr Menschen wird selbst der Kauf eines frischen Baguettes oder Croissants zu einer finanziellen Belastung. In diesem Kontext wird deutlich, dass Initiativen gefragt sind, die sowohl den sozialen als auch den wirtschaftlichen Herausforderungen begegnen.
Die solidarische Bäckerei Phylia: Eine Bäckerei als Zeichen der Hoffnung
Phylia, eine kleine, aber bemerkenswerte Bäckerei im Herzen eines der betroffenen Viertel von Rennes, bietet genau diese Art von Lösung. Gegründet im Jahr 2021 von einer Gruppe engagierter Menschen aus verschiedenen beruflichen Hintergründen, verfolgt Phylia ein ungewöhnliches Konzept: solidarisches Pricing. Hier können Kunden den Preis ihrer Produkte selbst wählen – mini, fair oder solidarisch. Während der Mini-Preis eine subventionierte Option für Menschen mit begrenzten finanziellen Mitteln ist, entspricht der faire Preis den Herstellungskosten. Der solidarische Preis wiederum ist etwas höher und hilft dabei, die Differenz für die subventionierten Produkte auszugleichen.
Die Idee für diese unkonventionelle Preisgestaltung entstand aus den Beobachtungen und Gesprächen der Gründer mit den Bewohnern des Viertels. Viele Menschen berichteten von finanziellen Schwierigkeiten und der Notwendigkeit, bei Lebensmitteln Kompromisse einzugehen. Gleichzeitig war da der Wunsch, nicht nur billige, sondern auch qualitativ hochwertige und nachhaltig hergestellte Produkte zu konsumieren. Phylia wurde als Reaktion auf diese Bedürfnisse ins Leben gerufen.
Hinter der solidarischen Bäckerei steht eine Genossenschaft („Société Coopérative et Participative“, kurz SCOP), eine Rechtsform, die es allen Mitarbeitenden ermöglicht, Mitbesitzer des Unternehmens zu sein. Die Gründer, darunter ein ehemaliger Bäckermeister, eine Sozialarbeiterin und ein Finanzexperte, entschieden sich bewusst für diese Struktur, um Transparenz und Mitsprache zu gewährleisten. Heute zählt das Team von Phylia acht Mitglieder, die sich gemeinsam für ihre Mission einsetzen.
Qualität und Solidarität im Einklang
Das Besondere an der solidarischen Bäckerei Phylia ist nicht nur das solidarische Pricing, sondern auch der Fokus auf qualitativ hochwertige Produkte. Die solidarische Bäckerei verwendet ausschließlich biologisch angebaute Zutaten, die von lokalen Produzenten bezogen werden. Der Ansatz ist klar: Nachhaltigkeit und Regionalität sollen die Grundlage bilden. Vom klassischen Baguette bis zu innovativen Backwaren wie Sauerteig-Croissants oder glutenfreien Broten wird hier für jeden Geschmack etwas geboten.
Ein Beispiel für den Erfolg des Projekts ist die Geschichte von Céline, einer alleinerziehenden Mutter aus dem Viertel. Für sie war der Gang zur Bäckerei lange Zeit ein Luxus, den sie sich selten leisten konnte. Durch die solidarische Bäckerei Phylia hat sie jedoch die Möglichkeit, ihren Kindern regelmäßig frisches Brot mit nach Hause zu bringen, ohne sich finanziell zu überfordern. Gleichzeitig weiß sie, dass sie mit jedem Kauf ein lokales Projekt unterstützt, das ihrer Gemeinschaft zugutekommt.
Die solidarische Bäckerei Phylia: Herausforderungen und der Blick in die Zukunft
Trotz des bisherigen Erfolgs steht Phylia vor einigen Herausforderungen. Derzeit befindet sich die solidarische Bäckerei in einem kleinen, angemieteten Ladenlokal, das nicht ideal für den wachsenden Kundenstamm und die Produktionsanforderungen ist. Die Suche nach einer größeren und dauerhaften Immobilie hat sich als schwierig erwiesen, da die Immobilienpreise in Rennes stetig steigen. Doch das Team ist optimistisch und plant, durch Crowdfunding und öffentliche Förderungen die nötigen Mittel für den Umzug zu sammeln.
Ein weiterer Aspekt, der ausgebaut werden soll, ist die Bildungsarbeit. Die Gründer wollen Workshops und Kurse anbieten, um den Menschen im Viertel Wissen über Brotbacken, nachhaltige Landwirtschaft und gesunde Ernährung zu vermitteln. Ziel ist es, nicht nur eine solidarische Bäckerei, sondern ein Zentrum für Gemeinschaft und Lernen zu schaffen.
Inspiration für andere
Die solidarische Bäckerei Phylia ist ein Beispiel dafür, wie kreative Ansätze und Engagement einen Unterschied machen können. Das Modell des solidarischen Pricing könnte auch in anderen Branchen und Regionen angewendet werden, um soziale Ungleichheit zu bekämpfen. Schon jetzt gibt es Anfragen von anderen Städten in Frankreich, die das Konzept adaptieren möchten.
Die Bedeutung solcher Initiativen kann nicht überschätzt werden. In einer Zeit, in der viele Menschen das Vertrauen in Politik und große Unternehmen verlieren, sind es oft lokale Projekte wie die solidarische Bäckerei Phylia, die Hoffnung geben. Sie zeigen, dass Solidarität und wirtschaftlicher Erfolg kein Widerspruch sein müssen, sondern sich gegenseitig ergänzen können.
Quellenangaben
- „Rennes: un modèle de boulangerie solidaire à suivre“, Le Monde. https://www.lemonde.fr
- „Solidarity pricing: a new way of supporting communities“, France 24. https://www.france24.com
- „The rise of cooperative businesses in France“, Euronews. https://www.euronews.com
- „Local bakeries and their role in urban revitalization“, Food Culture Magazine. https://www.foodculturemag.com
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