Seegraswiesen: Die unterschätzten Verbündeten im Kampf gegen Krankheitserreger

Ein Blick auf die verborgenen Schätze der Ostsee

In den flachen, klaren Gewässern der Ostsee liegt ein ökologisches Juwel verborgen, dessen Potenzial lange unterschätzt wurde: die Seegraswiesen. Diese dichten Teppiche aus Seegras, die sich sanft in den Meeresströmungen wiegen, sind mehr als nur Lebensraum für Meeresbewohner. Sie könnten der Schlüssel zur Bekämpfung multiresistenter Keime und anderer gesundheitlicher Herausforderungen unserer Zeit sein.

Die Herausforderungen der heutigen Meeresgesundheit

Die Weltmeere stehen vor immensen Herausforderungen. Die Überdünung durch Landwirtschaft, die Erwärmung der Meere durch den Klimawandel und die zunehmende Verschmutzung setzen marinen Ökosystemen erheblich zu (UNEP, 2022). Besonders alarmierend ist der Anstieg krankheitserregender Bakterien wie Vibrionen, die durch höhere Temperaturen begünstigt werden und ein Gesundheitsrisiko für Menschen und Tiere darstellen (Baker-Austin et al., 2018). In diesem Kontext wird die Rolle der Seegraswiesen immer bedeutsamer. Forscher:innen am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel untersuchen die erstaunlichen Eigenschaften dieser Pflanzen und ihres Mikrobioms.

Das Projekt: Seegras und sein antibiotisches Potenzial

Das GEOMAR-Projekt konzentriert sich auf das Mikrobiom des Seegrases Zostera marina, das in den kühleren Gewässern der Ostsee verbreitet ist. Ziel der Forschenden ist es, herauszufinden, wie die Mikroorganismen auf der Oberfläche und im Gewebe der Pflanzen zur Verringerung krankheitserregender Keime beitragen. Erste Ergebnisse sind vielversprechend: Das Mikrobiom von Seegraswiesen weist eine starke antibiotische Wirkung auf, die in einigen Fällen kommerzielle Antibiotika übertrifft (GEOMAR, 2024). So konnten fast 90 Bakterien- und Pilzstämme isoliert werden, deren Extrakte eine deutliche Hemmung von Krankheitserregern zeigten.

Ein multidisziplinäres Team mit ambitionierten Zielen

Das Projekt wurde unter der Leitung von Professorin Deniz Tasdemir ins Leben gerufen, einer international renommierten Wissenschaftlerin auf dem Gebiet der Naturstoffchemie. Das Team am GEOMAR umfasst Expert:innen aus verschiedenen Disziplinen wie Mikrobiologie, Chemie und Ozeanografie. Die Forschung wird in enger Zusammenarbeit mit internationalen Partnerinstitutionen durchgeführt, um die komplexen Mechanismen zu verstehen, die hinter der antibiotischen Wirkung von Seegrasmikroben stehen (GEOMAR, 2024).

Wirtschaftliche und ökologische Relevanz

Die wirtschaftliche Bedeutung dieser Entdeckung könnte enorm sein. Antibiotikaresistenzen stellen weltweit eine wachsende Bedrohung dar, und neue Wirkstoffe sind dringend erforderlich (WHO, 2021). Die natürlich vorkommenden Antibiotika aus dem Seegrasmikrobiom könnten eine innovative Lösung darstellen. Gleichzeitig unterstreichen die Ergebnisse die Notwendigkeit, Seegraswiesen zu schützen und wiederherzustellen, da ihr Verlust nicht nur die Biodiversität bedroht, sondern auch die Gesundheit der Meere und der Menschen beeinträchtigt.

Erfolgreiche Wiederherstellung von Seegraswiesen: Ein Blick auf Fakten

Die Bedeutung von Seegraswiesen geht weit über ihre Rolle als Quelle für potenzielle Antibiotika hinaus. Sie speichern große Mengen an Kohlenstoff, stabilisieren den Meeresboden und bieten Lebensraum für zahlreiche Meeresorganismen (Orth et al., 2006). In den letzten Jahren wurden mehrere Wiederherstellungsprojekte erfolgreich durchgeführt. Ein bemerkenswertes Beispiel ist das groß angelegte Projekt in der Ostsee vor Dänemark, wo durch gezielte Pflanzungen 20 Hektar Seegraswiesen wiederhergestellt wurden, was zu einer deutlichen Erhöhung der Fischpopulation und einer verbesserten Wasserqualität führte (Nordlund et al., 2016).

Faktenbasierte Anekdoten: Wie Seegraswiesen Menschen helfen

Die Wirkung von Seegras auf die Wasserqualität ist nicht nur in wissenschaftlichen Studien nachweisbar, sondern zeigt sich auch in der Praxis. So berichten Fischer:innen aus der Region Kiel, dass die Gewässer um Seegraswiesen klarer sind und Fische in besserem Zustand gefangen werden, was sie auf die filternde Wirkung der Pflanzen und ihrer Mikroben zurückführen (persönliche Kommunikation mit GEOMAR-Team, 2024).

Ein Blick in die Zukunft

Die Forschung zu Seegras und seinem Mikrobiom steckt noch in den Kinderschuhen, doch die bisherigen Ergebnisse sind vielversprechend. Das Team am GEOMAR plant, die chemischen Verbindungen der isolierten Mikroorganismen weiter zu analysieren und deren Potenzial als neue Medikamente zu erforschen. Langfristig könnte diese Arbeit nicht nur zur Entwicklung neuer Antibiotika beitragen, sondern auch den Schutz und die Wiederherstellung von Seegraswiesen weltweit vorantreiben.

Quellenangaben

Baker-Austin, C., Oliver, J.D., Alam, M., Ali, A., Waldor, M.K., Qadri, F. and Martinez-Urtaza, J. (2018). Vibrio spp. infections. Nature Reviews Disease Primers, [online] 4(1), pp.1-19. Verfügbar unter: https://www.nature.com/articles/nrdp201824

GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. (2024). Mikrobengemeinschaften auf Seegräsern reduzieren Krankheitserreger. [online] Verfügbar unter: https://www.geomar.de/news/article/mikrobengemeinschaften-auf-seegraesern-reduzieren-krankheitserreger

Nordlund, L.M., Koch, E.W., Barbier, E.B. and Creed, J.C. (2016). Seagrass ecosystem services and their variability across genera and geographical regions. Biological Reviews, [online] 91(3), pp.501-514. Verfügbar unter: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/brv.12192

Orth, R.J., Carruthers, T.J.B., Dennison, W.C., Duarte, C.M., Fourqurean, J.W., Heck, K.L., Hughes, A.R., Kendrick, G.A., Kenworthy, W.J., Olyarnik, S. and Short, F.T. (2006). A global crisis for seagrass ecosystems. BioScience, [online] 56(12), pp.987-996. Verfügbar unter: https://academic.oup.com/bioscience/article/56/12/987/229792

 

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