Die Bundesregierung revolutioniert Genossenschaften: Alles wird digital verwaltet #genodigital

Ein neues Kapitel für eine traditionsreiche Rechtsform

Die Genossenschaft, eine der ältesten und bewährtesten Rechtsformen Deutschlands, wird ins digitale Zeitalter katapultiert. Mit dem vom Bundestag verabschiedeten Bürokratieentlastungsgesetz IV (BEG IV) wird die umfassende Digitalisierung dieser Struktur Realität. Ab 2025 wird es möglich sein, Mitgliedschaften digital abzuschließen, Genossenschaften online zu gründen und deren Verwaltung vollständig digital zu organisieren. Diese Entscheidung markiert nicht nur einen Wendepunkt für Genossenschaften, sondern setzt ein Signal für die Modernisierung anderer traditioneller Rechtsformen.

Die Bedeutung der Genossenschaft in Deutschland

Genossenschaften sind tief in der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft verwurzelt. Mit über 23,5 Millionen Mitgliedern spielen sie eine entscheidende Rolle in Bereichen wie Wohnen, Energie, Landwirtschaft und Finanzen. Wohnungsgenossenschaften beispielsweise bieten bezahlbaren Wohnraum, oft in einem Umfeld, das sich durch langfristige Mietverhältnisse und soziale Verantwortung auszeichnet. Energiegenossenschaften treiben die Energiewende voran, indem sie den Ausbau erneuerbarer Energien lokal verankern. Kreditgenossenschaften wiederum sichern die finanzielle Versorgung in ländlichen Regionen, wo Großbanken sich längst zurückgezogen haben.

Trotz ihrer Erfolge hatten Genossenschaften jedoch lange mit bürokratischen Hürden zu kämpfen. Verfahren wie die Gründung einer Genossenschaft oder der Beitritt eines Mitglieds waren oft langwierig und wenig zeitgemäß. Die physische Anwesenheit aller Gründungsmitglieder war notwendig, ebenso wie handschriftliche Unterschriften. Diese Prozesse schreckten vor allem jüngere Menschen ab, die digitale Lösungen gewohnt sind.

Bürokratie als Innovationsbremse

Die administrativen Anforderungen waren nicht nur ein Hindernis für Neugründungen, sondern auch eine Herausforderung für bestehende Genossenschaften. Während Unternehmen anderer Rechtsformen bereits auf digitale Tools zurückgreifen konnten, um ihre Geschäftsprozesse effizienter zu gestalten, mussten Genossenschaften vielerorts weiterhin mit Papierdokumenten, postalischen Verfahren und physischen Versammlungen arbeiten. Die Bürokratie verlangsamte Prozesse und machte Genossenschaften in einer digitalen Welt weniger attraktiv.

Ein Beispiel: Eine Genossenschaft, die in einem kleinen Ort in Nordrhein-Westfalen gegründet werden sollte, musste ihre Gründungsversammlung verschieben, weil eines der Gründungsmitglieder aufgrund von Krankheit nicht anreisen konnte. Der Prozess zog sich über Monate hin, obwohl alle Unterlagen vorbereitet waren. Solche Fälle sind keine Seltenheit und unterstreichen, wie dringend eine Reform notwendig war.

Der Weg zur Digitalisierung: Gesetzliche Grundlagen

Das Bürokratieentlastungsgesetz IV, das Ende 2023 beschlossen wurde, hat den Weg für die Digitalisierung der Genossenschaften geebnet. Es ist Teil einer umfassenderen Initiative der Bundesregierung, die Verwaltung in Deutschland effizienter und moderner zu gestalten. Ziel ist es, Unternehmen und Bürger von unnötiger Bürokratie zu entlasten und gleichzeitig den Anforderungen der digitalen Welt gerecht zu werden.

Mit der Reform wird es erstmals möglich sein, Genossenschaften vollständig digital zu gründen. Gründungsmitglieder können sich über digitale Plattformen zusammenschließen, die Satzung elektronisch unterzeichnen und alle notwendigen Dokumente online einreichen. Auch die Mitgliedschaft in einer Genossenschaft wird künftig digital beantragt und verwaltet. Der Austausch von Informationen und die Durchführung von Abstimmungen können über sichere digitale Kanäle erfolgen.

Ein zentrales Element der Reform ist die Einführung eines digitalen Genossenschaftsregisters. Dieses ermöglicht es, alle relevanten Informationen zu einer Genossenschaft zentral zu speichern und einfach abrufbar zu machen. Dies spart nicht nur Zeit und Kosten, sondern erhöht auch die Transparenz.

Wer steckt hinter der Modernisierung?

Die treibende Kraft hinter der Digitalisierung der Genossenschaften war eine enge Zusammenarbeit zwischen Politik, Wirtschaft und den genossenschaftlichen Verbänden. Federführend beteiligt waren das Bundesministerium der Justiz und das Bundeswirtschaftsministerium, unterstützt von Experten aus der Praxis. Auch die großen genossenschaftlichen Dachverbände wie der Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverband (DGRV) spielten eine entscheidende Rolle.

Der DGRV, der über 5.000 Genossenschaften vertritt, hatte sich bereits seit Jahren für eine Modernisierung des Genossenschaftsrechts eingesetzt. „Die Digitalisierung ist ein wichtiger Schritt, um die Genossenschaftsbewegung zukunftsfähig zu machen und neue Zielgruppen anzusprechen“, erklärte der Präsident des DGRV, Dr. Eckhard Ott. Die Reform sei nicht nur eine Erleichterung für bestehende Genossenschaften, sondern auch eine Chance, die Gründung neuer Projekte zu fördern.

Was waren die Ziele, bzw was wurde umgesetzt?

1. Digitaler Genossenschaftsbeitritt: Einfacher und zeitgemäßer

Einer der größten Meilensteine in der Modernisierung des Genossenschaftswesens ist die Möglichkeit, Mitgliedschaften digital zu begründen. Künftig können Genossenschaften Mitglieder über Apps, Online-Formulare oder andere digitale Kanäle aufnehmen. Diese Neuerung bietet erhebliche Vorteile:

  • Einfachere Mitgliedergewinnung: Der digitale Beitritt ermöglicht es Interessierten, jederzeit und von überall aus einer Genossenschaft beizutreten. Das erhöht die Attraktivität dieser Rechtsform, insbesondere für junge Menschen und technologieaffine Zielgruppen.

  • Leichterer Zugang zu Eigenkapital: Mit einem vereinfachten Beitrittsprozess können Genossenschaften schneller und unkomplizierter neue Mitglieder gewinnen – und damit ihre finanzielle Basis stärken.

  • Kostenersparnis und Bürokratieabbau: Durch die Umstellung auf digitale Prozesse entfallen Papierformulare und postalische Verfahren. Das spart nicht nur Ressourcen, sondern reduziert auch Verwaltungsaufwände.

Für Genossenschaften bedeutet dies eine Chance, ihren Betrieb effizienter zu gestalten und Mitglieder mit innovativen Ansätzen zu überzeugen. Jetzt ist die Zeit, sich auf diese Umstellung vorzubereiten und digitale Systeme einzuführen, die den Beitritt reibungslos ermöglichen.


2. Digitale Gründung und Eintragung: Flexibilität für neue Projekte

Die Gründung einer Genossenschaft war bisher ein bürokratischer Prozess, der viel Zeit und Planung erforderte. Mit den neuen Regelungen wird die Gründung flexibler und zeitgemäßer gestaltet:

  • Gründung per Videokonferenz: Anstatt sich persönlich treffen zu müssen, können Gründungsmitglieder ihre Genossenschaft künftig über Videokonferenzen ins Leben rufen. Das spart nicht nur Zeit, sondern ermöglicht es auch, Personen aus verschiedenen Regionen unkompliziert zusammenzubringen.

  • Digitale Satzung: Die handschriftliche Unterzeichnung der Gründungssatzung entfällt. Stattdessen können Dokumente digital signiert und online eingereicht werden.

  • Eintragung ins Genossenschaftsregister: Auch die Eintragung in das Register erfolgt vollständig digital, was den Prozess erheblich beschleunigt.

Diese Modernisierungen machen Genossenschaften zu Vorreitern unter den Rechtsformen. Sie bieten Gründern die Möglichkeit, ihre Ideen schnell und effizient in die Tat umzusetzen. Für Organisationen, die digitale Geschäftsmodelle verfolgen, ist dies ein entscheidender Schritt nach vorn.


3. Digitale und hybride Versammlungen: Flexibilität in der Zusammenarbeit

Ein weiterer zentraler Punkt der Reform ist die Möglichkeit, General- und Vertreterversammlungen digital oder hybrid durchzuführen. Diese Änderungen, die bereits seit dem 1. September 2022 gelten, machen die Zusammenarbeit innerhalb von Genossenschaften deutlich flexibler:

  • Digitale Teilnahme: Mitglieder können an Versammlungen online teilnehmen, unabhängig von ihrem Standort. Dies erleichtert die Einbindung von Mitgliedern, die in anderen Regionen oder Ländern leben.

  • Hybride Modelle: Genossenschaften können hybride Versammlungen organisieren, bei denen Mitglieder sowohl vor Ort als auch online teilnehmen können. Dadurch wird eine breitere Teilnahme ermöglicht.

  • Zeitlich gestreckte Versammlungen: Versammlungen können über mehrere Tage hinweg durchgeführt werden, um eine flexiblere Teilnahme und ausführlichere Diskussionen zu ermöglichen.

  • Online-Abstimmungen und Wahlen: Entscheidungen können digital getroffen werden, was den gesamten Prozess vereinfacht und beschleunigt.

Ab dem 1. Januar 2025 werden auch digitale Bestätigungen von Protokollen und Beschlüssen erlaubt sein. Das ist ein weiterer Schritt, um die Verwaltung moderner und effizienter zu gestalten.


4. Digitale Schwarmfinanzierung: Neue Wege zur Mitglieder- und Kapitalgewinnung

Finanzierung und Mitgliedergewinnung sind für Genossenschaften zentrale Herausforderungen. Digitale Schwarmfinanzierung, die durch das geplante Zukunftsfinanzierungsgesetz II ermöglicht werden soll, bietet hier eine zeitgemäße Lösung:

  • Crowdfunding für Genossenschaften: Genossenschaften können über professionelle Plattformen Mitglieder gewinnen und Kapital akquirieren. Dies eröffnet neue Möglichkeiten, Projekte zu finanzieren und das Engagement in der Gemeinschaft zu stärken.

  • Erhöhung der Finanzierungslimits: Derzeit dürfen Genossenschaften nicht mehr als 100.000 Euro innerhalb von 12 Monaten über Crowdfunding-Plattformen einwerben. Mit der Reform könnten diese Grenzen erweitert werden, was größere Projekte und ambitioniertere Ziele ermöglicht.

  • Attraktivität für Investoren: Digitale Schwarmfinanzierung ermöglicht es, eine größere Zielgruppe anzusprechen – von einzelnen Unterstützern bis hin zu professionellen Investoren.

Diese Neuerung macht Genossenschaften wettbewerbsfähiger und öffnet neue Türen, um innovative Ideen umzusetzen.


5. Digitale Plattform-Genossenschaften: Die Zukunft ist vernetzt

Mit der umfassenden Digitalisierung der Genossenschaften wird eine neue Ära eingeläutet: die der digitalen Plattform-Genossenschaften. Diese Organisationen nutzen digitale Technologien, um effizienter zu arbeiten und Mitglieder besser einzubinden. Die Reform ermöglicht es, alle Prozesse digital abzuwickeln:

  • Digitale Mitgliedschaft: Mitglieder können vollständig digital aufgenommen und verwaltet werden.

  • Digitale Verwaltung: Vollmachten, Kündigungen, Protokolle und andere Dokumente können digital erstellt und übermittelt werden.

  • Videokonferenzen: Gründung, Versammlungen und Abstimmungen können über digitale Plattformen stattfinden.

  • Übertragung von Geschäftsguthaben: Auch die Übertragung von Anteilen kann digital organisiert werden.

Ein bedeutender Fortschritt war die Öffnung des INVEST-Förderprogramms für Genossenschaften Anfang 2024. Dieses Förderprogramm, das zuvor vor allem Start-ups zugutekam, stellt Wagniskapital für Genossenschaften bereit und stärkt ihre Wettbewerbsfähigkeit.

Erste Erfolge: Digitale Pilotprojekte

Schon vor der offiziellen Umsetzung des Gesetzes haben einige Genossenschaften begonnen, digitale Lösungen zu testen. Ein bemerkenswertes Beispiel ist eine Energiegenossenschaft in Bayern, die ihre Mitgliederversammlungen seit 2022 hybrid anbietet. Mitglieder können entweder vor Ort oder per Video teilnehmen und sogar online abstimmen. Die Resonanz war überwältigend positiv: Die Teilnahmequote stieg deutlich, insbesondere bei jüngeren Mitgliedern.

Ein weiteres Beispiel ist eine Wohnungsgenossenschaft in Berlin, die ein digitales Mitgliederportal eingeführt hat. Über die Plattform können Mitglieder nicht nur ihre persönlichen Daten verwalten, sondern auch Reparaturen melden, Dokumente einsehen und Anträge stellen. Der Verwaltungsaufwand hat sich dadurch erheblich reduziert, und die Zufriedenheit der Mitglieder ist gestiegen.

Herausforderungen und Ausblick

Trotz aller Vorteile bringt die Digitalisierung auch Herausforderungen mit sich. Der Datenschutz ist ein zentrales Thema, insbesondere wenn es um die Speicherung und Verarbeitung sensibler Daten geht. Die Bundesregierung hat daher strenge Vorgaben gemacht, um die Sicherheit der digitalen Systeme zu gewährleisten. Alle Plattformen und Register müssen den Anforderungen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) entsprechen und regelmäßig überprüft werden.

Ein weiterer Punkt ist die digitale Kompetenz der Genossenschaften selbst. Während große Genossenschaften wie Banken oder Wohnungsbaugenossenschaften oft über die notwendigen Ressourcen und das Know-how verfügen, könnte die Umstellung für kleinere Genossenschaften eine Herausforderung darstellen. Schulungen und Unterstützung durch die Verbände sind daher essenziell, um sicherzustellen, dass alle Genossenschaften von der Reform profitieren können.

Ein Blick in die Zukunft

Die Digitalisierung der Genossenschaften ist nicht nur ein bürokratischer Fortschritt, sondern auch eine Chance, die genossenschaftliche Idee in eine neue Ära zu führen. Digitale Tools ermöglichen es, Prozesse zu beschleunigen, mehr Menschen zu erreichen und neue Formen der Zusammenarbeit zu erproben. Besonders junge Menschen, die mit digitalen Technologien aufgewachsen sind, könnten so für die Genossenschaftsbewegung begeistert werden.

Die Bundesregierung hat mit dem Bürokratieentlastungsgesetz IV einen wichtigen Grundstein gelegt. Jetzt liegt es an den Genossenschaften, die Möglichkeiten der Digitalisierung zu nutzen und die Chancen, die sich daraus ergeben, aktiv zu ergreifen. Die ersten Erfolge zeigen, dass der Weg vielversprechend ist – und dass Tradition und Innovation keine Gegensätze sein müssen.


Quellen

  1. Deutscher Bundestag. Bürokratieentlastungsgesetz IV: Gesetzestext. https://www.bundestag.de/

  2. Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband (DGRV). Bericht zur Digitalisierung. https://www.dgrv.de/

  3. Bundesministerium der Justiz. Informationen zur Reform des Genossenschaftsrechts. https://www.bmj.de/

  4. Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Initiativen zur Bürokratieentlastung.https://www.bmwk.de/

 

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