Das Problem: Warum Afrikas Kakaobauern von Schokolade kaum profitieren
Schokolade gehört zu den beliebtesten Lebensmitteln der Welt. Rund 100 Milliarden US-Dollar setzt die Branche jährlich um, und sie wächst weiter. Doch hinter der süßen Fassade steckt eine bittere Realität. Während Verbraucher in Europa oder den USA für ein Stück Schokolade oft bereitwillig mehrere Euro zahlen, sehen die Menschen, die den Rohstoff Kakao anbauen, nur einen winzigen Bruchteil dieses Geldes.
Etwa 70 % des weltweiten Kakaos werden in Westafrika produziert, vor allem in Ghana und der Elfenbeinküste. Trotzdem bleiben die Regionen wirtschaftlich arm. Von den rund 100 Milliarden US-Dollar globalen Umsatzes kommen lediglich 5 Milliarden in den Anbauregionen an. Die Kakaobäuerinnen und -bauern verdienen meist nur Centbeträge pro Kilogramm Kakao, oft unter unmenschlichen Bedingungen. Laut der Fairtrade Foundation leben rund 69 % der Kakaobauern unterhalb der Armutsgrenze – eine erschreckende Zahl.
Das Problem liegt in der Wertschöpfungskette. Der Kakao wird zwar in Afrika geerntet, die eigentliche Veredelung – die Verarbeitung der Bohnen zu Kakaomasse, Schokolade oder anderen Produkten – findet jedoch überwiegend in den Industrieländern statt. Dort bleiben auch die Gewinne. Während die großen Schokoladenhersteller Milliarden umsetzen, bleibt für die Menschen, die die Grundlage dieses Geschäfts liefern, kaum etwas übrig.
Warum aber wird Schokolade nicht direkt dort hergestellt, wo die Kakaobohnen wachsen? Diese Frage führte 2016 zur Gründung eines Unternehmens, das die Spielregeln der Branche verändern will: Fairafric.
Eine visionäre Idee: Schokolade direkt in Afrika herstellen
Die Wurzeln von Fairafric liegen in einer Backpacker-Reise. Hendrik Reimers, ein junger deutscher Unternehmer, reiste 2012 mit dem Rucksack durch Afrika. In Uganda führte er Gespräche mit Kakaobauern und hörte ein Wort, das seine Perspektive veränderte: Wertschöpfung.
„Wir im Westen nehmen die Rohstoffe aus Afrika und verarbeiten sie, um den Großteil der Gewinne einzubehalten“, sagte Reimers. „Warum machen wir das nicht direkt vor Ort?“ Die Idee, Schokolade in Afrika herzustellen und den Mehrwert in den Anbauländern zu belassen, erschien ihm wie eine logische Lösung für das Problem der Armut in der Region.
Vier Jahre später, 2016, gründete Reimers das Sozialunternehmen Fairafric. Die Mission war klar: Eine vollständig in Afrika hergestellte Schokolade, die nicht nur den Geschmack der Kunden überzeugt, sondern auch das Leben der Menschen vor Ort nachhaltig verbessert.
Aufbau einer lokalen Produktion: Herausforderungen und erste Erfolge
Der Aufbau von Fairafric war kein leichtes Unterfangen. In der Schokoladenindustrie ist es üblich, dass Kakaobohnen aus Afrika in großen Containern exportiert und in Europa oder Nordamerika weiterverarbeitet werden. Die notwendige Infrastruktur, um die gesamte Wertschöpfungskette in Afrika abzubilden, fehlte weitgehend.
Fairafric begann in Ghana, einem der größten Kakao-Produzenten der Welt. In der Stadt Suhum, etwa eine Stunde von der Hauptstadt Accra entfernt, baute das Unternehmen eine Schokoladenfabrik. Diese Fabrik ist heute das Herzstück von Fairafric. Sie wurde mit Unterstützung von Investoren und Fördergeldern aufgebaut und bietet modernste Produktionsmöglichkeiten.
Doch eine Fabrik allein reicht nicht aus. Fairafric musste auch lokale Fachkräfte ausbilden, denn die Herstellung von Schokolade erfordert technisches Wissen und Präzision. Von der Fermentation und Trocknung der Kakaobohnen über die Verarbeitung zu Kakaomasse bis hin zur Verpackung der fertigen Tafeln – alles wird vor Ort erledigt.
Zusammenarbeit mit den Bauern: Fairness und Nachhaltigkeit
Fairafric arbeitet eng mit rund 1.200 Kleinbauern und -bäuerinnen in Ghana zusammen, die Bio-Kakao anbauen. Diese Zusammenarbeit ist der Kern des Erfolgsmodells. Im Gegensatz zu vielen Großunternehmen zahlt Fairafric nicht nur faire Preise für die Kakaobohnen, sondern investiert auch in die Ausbildung und das Wohlergehen der Bauernfamilien.
Ein Beispiel ist die Familie von Ama Boateng, einer Kakaobäuerin, die seit fünf Jahren mit Fairafric kooperiert. „Früher mussten wir immer wieder Kredite aufnehmen, um unsere Kinder zur Schule schicken zu können“, erzählt Boateng. „Jetzt verdienen wir genug, um unsere Schulden zurückzuzahlen und sogar ein kleines Sparbuch anzulegen.“
Fairafric sorgt dafür, dass die Bauern auch die richtigen Werkzeuge und Techniken für nachhaltigen Anbau erhalten. Die Schulungen umfassen Themen wie ökologische Landwirtschaft, die Verbesserung der Bodenqualität und die Bekämpfung von Schädlingen ohne den Einsatz von Chemikalien.
Die soziale Wirkung ist beeindruckend. Die Kakaobauern, die mit Fairafric zusammenarbeiten, verdienen laut Unternehmensangaben bis zu sechsmal mehr als der regionale Durchschnitt.
Die erste vollständig in Afrika hergestellte Bio-Schokolade
2020 erreichte Fairafric einen bedeutenden Meilenstein: Die erste vollständig in Ghana hergestellte Bio-Schokolade kam auf den Markt. Von der Kakaobohne bis zur fertigen Tafel – jeder Schritt des Prozesses wurde vor Ort in Ghana durchgeführt.
Die Schokolade ist nicht nur fair und nachhaltig, sondern auch hochwertig. Fairafric produziert eine breite Palette von Sorten, darunter dunkle Schokolade mit 70 % Kakaoanteil und Milchschokolade, die aus regionaler Milch hergestellt wird. Die Produkte sind biozertifiziert und richten sich an eine wachsende Zielgruppe von bewussten Konsumenten in Europa, den USA und darüber hinaus.
Besonders in Deutschland, wo Fairafric seinen Hauptsitz hat, erfreuen sich die Schokoladentafeln großer Beliebtheit. Der Verkauf erfolgt über Bio-Märkte, Online-Shops und zunehmend auch in Supermärkten.
Die Wirkung: Mehr als nur Schokolade
Fairafric zeigt, wie Wirtschaftsentwicklung nachhaltig gestaltet werden kann. Neben den verbesserten Lebensbedingungen der Kakaobauern hat das Unternehmen auch einen positiven Einfluss auf die lokale Wirtschaft in Ghana.
Die Schokoladenfabrik von Fairafric schafft nicht nur direkte Arbeitsplätze, sondern zieht auch Zulieferbetriebe und Dienstleister an. Zudem legt das Unternehmen großen Wert auf die Gleichberechtigung der Geschlechter: Frauen sind in allen Bereichen vertreten, von der Produktion bis zur Verwaltung.
Ein Beispiel für den sozialen Wandel ist Akosua Mensah, die als Verpackungsleiterin in der Fabrik arbeitet. „Fairafric hat mir nicht nur einen Job gegeben, sondern auch die Möglichkeit, mich weiterzuentwickeln“, sagt Mensah. „Ich bin stolz darauf, Teil eines Unternehmens zu sein, das einen Unterschied macht.“
Herausforderungen und Zukunftspläne
Trotz des Erfolgs steht Fairafric vor Herausforderungen. Die Produktionskosten in Ghana sind höher als in Europa, insbesondere aufgrund der Kosten für Energie und Logistik. Auch der Zugang zu internationalen Märkten ist nicht immer einfach.
Dennoch bleibt das Unternehmen optimistisch. Fairafric plant, seine Produktionskapazitäten weiter auszubauen und neue Märkte zu erschließen. Langfristig möchte das Unternehmen auch in anderen afrikanischen Ländern aktiv werden und das Modell auf weitere Rohstoffe wie Kaffee oder Cashewnüsse ausweiten.
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Bildung. Fairafric arbeitet daran, ein Ausbildungszentrum für Schokoladenherstellung zu errichten, um noch mehr Menschen in Ghana Zugang zu technischem Wissen und gut bezahlten Jobs zu verschaffen.
Ein Modell für die Zukunft
Fairafric ist mehr als ein Unternehmen – es ist ein Modell dafür, wie die globale Wirtschaft gerechter gestaltet werden kann. Die Idee, Schokolade in Afrika herzustellen, mag einfach erscheinen, doch ihre Umsetzung erfordert Mut, Innovation und Durchhaltevermögen.
Indem Fairafric zeigt, dass hochwertige Produkte auch in Afrika produziert werden können, stellt das Unternehmen die gängigen Praktiken der Schokoladenindustrie infrage. Es beweist, dass lokale Wertschöpfung nicht nur möglich, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll ist.
Fairafric inspiriert andere Unternehmen und Konsumenten gleichermaßen. Es lädt uns alle dazu ein, unser Konsumverhalten zu hinterfragen und bewusste Entscheidungen zu treffen. Denn hinter jeder Tafel Schokolade steht eine Geschichte – und mit Fairafric können wir sicher sein, dass sie eine bessere Zukunft erzählt.
Quellenangaben
- Fairtrade Foundation (2020): „Cocoa Farmers and Poverty“ [Online] Verfügbar unter: https://www.fairtrade.org.uk/media-centre/blog/cocoa-farmers-and-poverty/
- Fairafric (2023): „Unsere Mission“ [Online] Verfügbar unter: https://fairafric.com/mission
- SEED Award (2020): „Fairafric: Sustainable Cocoa Processing in Ghana“ [Online] Verfügbar unter: https://seed.uno/enterprise-profiles/fairafric
- Deutsche Welle (2021): „How a German Startup is Revolutionizing Ghana’s Cocoa Industry“ [Online] Verfügbar unter: https://www.dw.com/en/how-a-german-startup-is-revolutionizing-ghanas-cocoa-industry/a-57599873
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