Die Vision: Ein grüner Gürtel gegen die Ausbreitung der Wüste
Die Sahara ist mehr als nur eine atemberaubende Landschaft aus Sanddünen und Hitze. Sie ist auch Schauplatz einer der größten ökologischen Herausforderungen unserer Zeit: der Desertifikation. Die Ausbreitung der Wüste bedroht die Lebensgrundlage von Millionen Menschen in der Sahelzone, dem Übergangsbereich zwischen der Sahara und fruchtbareren Gebieten weiter südlich.
Seit Jahrzehnten verschärfen sich die Probleme: Klimawandel, Überweidung, Abholzung und nicht nachhaltige landwirtschaftliche Praktiken lassen Böden erodieren und unfruchtbar werden. Die Folgen sind dramatisch. Millionen von Menschen leiden unter Hunger, Wassermangel und wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit. Viele sehen keine andere Wahl, als ihre Heimat zu verlassen. Migration und soziale Spannungen sind oft die Folge.
Doch wo Verzweiflung herrscht, gibt es auch Hoffnung. Die Initiative „Große Grüne Wand“ ist eine ehrgeizige Antwort auf die Desertifikation. Ihr Ziel ist ein 8.000 Kilometer langer und bis zu 15 Kilometer breiter Grüngürtel, der sich von Senegal im Westen bis nach Dschibuti im Osten erstreckt.
Die Initiative wurde 2007 von der Afrikanischen Union ins Leben gerufen. Seitdem arbeiten mehr als 20 afrikanische Länder zusammen, unterstützt von internationalen Organisationen wie der Weltbank, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen und der Konvention der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der Wüstenbildung. Das Projekt zielt nicht nur auf ökologische Verbesserungen ab, sondern auch auf die Förderung nachhaltiger Lebensgrundlagen für die Bevölkerung in der Region.
Heute, 17 Jahre später, zeigt sich, dass trotz vieler Herausforderungen deutliche Fortschritte erzielt wurden – ein Meilenstein in der globalen Umwelt- und Entwicklungsarbeit.
Fortschritt in Zahlen
Die bisherigen Erfolge der Großen Grünen Wand können sich sehen lassen. Laut Berichten der Afrikanischen Union wurden bis heute mehr als 20 Millionen Hektar degradiertes Land wiederhergestellt. Das entspricht einer Fläche fast so groß wie Großbritannien. Besonders beeindruckend ist, dass diese Fortschritte nicht nur der Umwelt zugutekommen, sondern auch Millionen von Menschen direkt betreffen, indem sie ihre Lebensbedingungen verbessern.
Einige der Fortschritte im Detail:
In Senegal wurden 18 Millionen Bäume gepflanzt, vor allem Akazien, die sich besonders gut an die extremen Bedingungen der Sahelzone anpassen. Diese Bäume verhindern Bodenerosion, fördern die Bodenfruchtbarkeit und liefern zudem Akazienharz, ein wertvoller Rohstoff, der international gehandelt wird.
In Äthiopien wurden mehr als fünf Millionen Hektar Land wiederhergestellt. Hier setzen die Projekte sowohl auf großflächige Aufforstung als auch auf traditionelles Wissen, um die Landschaft nachhaltig zu bewirtschaften.
Im Niger wurde durch den Schutz von natürlicher Vegetation bereits die Begrünung von über 200.000 Hektar erreicht. Diese Methode erfordert weniger Ressourcen und hat dennoch große Wirkung.
Rund um den schrumpfenden Tschadsee, eine der am stärksten betroffenen Regionen, wurden bereits 60 Prozent der geplanten Begrünungsmaßnahmen umgesetzt.
Diese Zahlen belegen, dass die Initiative nicht nur auf dem Papier existiert, sondern in der Realität positive Auswirkungen zeigt.
Lokale Strategien und Technologien
Ein Schlüssel zum Erfolg der Großen Grünen Wand liegt in der Anpassung der Strategien an die spezifischen Herausforderungen der einzelnen Regionen. Ursprünglich bestand der Plan darin, entlang eines schmalen Streifens Bäume zu pflanzen. Doch die Erfahrungen vor Ort haben gezeigt, dass ein umfassenderer Ansatz notwendig ist.
In vielen Ländern der Sahelzone wird auf Agroforstwirtschaft gesetzt. Dabei werden Bäume gezielt in landwirtschaftliche Systeme integriert. Sie bieten nicht nur Schatten und Schutz für andere Pflanzen, sondern verbessern auch die Bodenqualität und liefern wertvolle Produkte wie Früchte oder Holz.
Ein weiteres Beispiel für lokale Anpassung ist die Zaï-Technik, eine traditionelle Anbaumethode aus Burkina Faso. Dabei werden Mulden in den Boden gegraben, die Wasser und Nährstoffe speichern. In diesen Mulden wachsen Pflanzen auch unter extremen klimatischen Bedingungen. Diese Technik hat nicht nur dazu beigetragen, degradierte Böden wieder fruchtbar zu machen, sondern auch das Wissen der lokalen Bevölkerung eingebunden.
Moderne Technologien wie Satellitenbilder und Drohnen spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Sie helfen, Fortschritte zu überwachen und die Wirksamkeit der Maßnahmen zu bewerten.
Soziale und wirtschaftliche Auswirkungen
Die Fortschritte der Großen Grünen Wand zeigen sich nicht nur in der Umwelt, sondern auch in der Lebensqualität der Menschen. In vielen Gemeinden hat die Aufforstung neue Arbeitsplätze geschaffen. Besonders Frauen profitieren von den Projekten, da sie oft die Verantwortung für die Baumschulen übernehmen und vom Verkauf der Produkte profitieren.
In Senegal beispielsweise hat der Anbau von Akazienbäumen nicht nur die Erosion verhindert, sondern auch eine neue Einkommensquelle geschaffen. Das Harz der Akazien wird für die Herstellung von Kaugummi und anderen Produkten genutzt und international exportiert.
In Äthiopien wurden grüne Dörfer entwickelt, in denen nachhaltige Landwirtschaft, Bildung und erneuerbare Energien gefördert werden. Diese Dörfer dienen als Modell für andere Regionen und zeigen, wie eng Umweltschutz und soziale Entwicklung miteinander verbunden sind.
Ein besonders inspirierendes Beispiel ist die Arbeit von Yacouba Sawadogo, einem Bauern aus Burkina Faso. Mit seiner traditionellen Zaï-Technik hat er nicht nur Hunderte Hektar Wüstenland wieder fruchtbar gemacht, sondern auch andere Gemeinden motiviert, ähnliche Methoden anzuwenden.
Wirtschaftliche und ökologische Gewinne
Die wirtschaftlichen Erfolge der Großen Grünen Wand sind ein entscheidender Faktor für ihre Nachhaltigkeit. Neben der Schaffung von Arbeitsplätzen hat das Projekt neue Einkommensquellen erschlossen. Produkte wie Akazienharz, Shea-Nüsse und Früchte wie Baobab und Datteln werden nicht nur lokal genutzt, sondern auch exportiert.
Ökologisch gesehen hat die Initiative ebenfalls bedeutende Fortschritte erzielt. Die Aufforstungsmaßnahmen stabilisieren den Boden, erhöhen den Grundwasserspiegel und fördern die Biodiversität. Besonders bemerkenswert ist die Fähigkeit der wiederhergestellten Landschaften, Kohlendioxid zu binden. Bis 2030 sollen durch die Projekte etwa 250 Millionen Tonnen Kohlendioxid gebunden werden – ein bedeutender Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel.
Die Wiedergeburt der Wüste: Ein Beispiel aus Niger und Nigeria
Die Große Grüne Wand ist nicht nur ein Projekt, um die Sahara zurückzudrängen, sondern auch ein Symbol für Hoffnung und Transformation. Eine der beeindruckendsten Geschichten stammt aus Niger und der Grenzregion zu Nigeria, wo groß angelegte Restaurationsprojekte zeigen, wie eine ehemals lebensfeindliche Landschaft wiederbelebt wird – mit tiefgreifenden Auswirkungen auf Umwelt, Ernährung und die Lebensgrundlage der Menschen.
Vom Brachland zur Lebensgrundlage
Vor zehn Jahren war das Land in dieser Region eine Brachfläche. Der Boden war ausgedörrt, das Wasser floss ungenutzt ab, und die Bewohner waren auf Lebensmittelhilfen angewiesen, um zu überleben. Heute jedoch hat sich das Bild dramatisch verändert. Dank umfangreicher Restaurationsmaßnahmen ernähren sich inzwischen eine halbe Million Menschen direkt aus dem, was diese Region produziert.
Die Methode ist so einfach wie wirkungsvoll: Die Wiederherstellung beginnt mit einer jahrhundertealten Technik namens Halbmond, ergänzt durch moderne Anpassungen. Halbmondstrukturen sind kleine Gräben, die das Regenwasser sammeln und verhindern, dass es über den ausgetrockneten Boden abläuft. Diese Gräben speichern das Wasser und ermöglichen es, dass es tief in den Boden einsickert. Das ist entscheidend in einer Region, die unter einem Zyklus aus extremer Dürre und plötzlichen Überflutungen leidet.
Zusätzlich werden in und um die Halbmonde sogenannte Zaï-Gruben angelegt, die organisches Material sammeln. Diese Gruben sind kleine Mikroreservoire für Nährstoffe und Feuchtigkeit. In ihnen werden Bäume und Gräser gepflanzt, die sich mit der Zeit ausbreiten und eine geschlossene Vegetationsdecke schaffen.
Ökologische und wirtschaftliche Erfolge
Die Ergebnisse dieser Maßnahmen sind beeindruckend. Ein Gebiet, das vor wenigen Jahren noch kahl und unfruchtbar war, hat sich in einen vielfältigen Lebensraum verwandelt. Die Bäume spenden Schatten, reduzieren die Bodentemperatur und schützen den Boden vor Erosion. Die Gräser, die sich durch die verbesserten Wasser- und Bodenverhältnisse ausbreiten, dienen als Futter für Vieh.
Die Auswirkungen gehen jedoch weit über die Vegetation hinaus. Die Region ist zu einem „Biodiversitätsnetz“ geworden. Vögel und andere Tiere bringen Samen mit, die für eine noch größere Artenvielfalt sorgen. Satellitenbilder zeigen, dass die Fläche des kahlen Bodens in den letzten sieben Jahren praktisch auf null gesunken ist.
Ein weiteres bemerkenswertes Ergebnis ist die Verbesserung des Grundwasserspiegels. In einem restaurierten Gebiet von 800 Hektar wurden drei Millionen Kubikmeter Wasser im Boden gespeichert, von denen 15 Prozent in tiefere Grundwasserschichten sickerte. Diese Wiederauffüllung des Grundwassers ermöglicht es den Menschen, das ganze Jahr über Wasser für die Landwirtschaft zu nutzen.
Soziale Auswirkungen und Ernährungssicherheit
Die Veränderungen haben direkte Auswirkungen auf die Menschen vor Ort. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel sind die neu entstandenen Gemeinschaftsgärten, die dank des verbesserten Grundwasserspiegels bewässert werden können. In einem dieser Gärten, der nur 1,5 Hektar groß ist, baut die Gemeinde eine Vielzahl von Obst- und Gemüsesorten an. Diese Nahrung verbessert nicht nur die Ernährung der Menschen, sondern hilft auch, die weit verbreitete Unterernährung bei Kindern zu bekämpfen.
Vor diesen Maßnahmen litten neun von zehn Kindern in dieser Region an Mangelernährung. Heute hat sich die Situation deutlich verbessert. Die Gemeinden haben Zugang zu vielfältiger, nahrhafter Nahrung, die direkt vor Ort angebaut wird.
Zusätzlich reduziert die Wiederherstellung der Landschaft die Abhängigkeit von Nahrungsmittelhilfen. In Niger, wo jährlich drei Millionen Menschen von Ernährungsunsicherheit betroffen sind, haben diese Restaurationsprojekte allein in den letzten fünf Jahren dazu beigetragen, eine halbe Million Menschen unabhängig von Hilfsgütern zu machen.
Herausforderungen und ein Blick in die Zukunft
Die Fortschritte sind beeindruckend, doch das Projekt hat noch einen langen Weg vor sich. Niger ist ein riesiges Land, und die Sahelzone umfasst eine Fläche, die die aktuellen Bemühungen weit übersteigt. Bisher wurden etwa 300.000 Hektar wiederhergestellt. Doch diese Restaurationsprojekte haben einen Multiplikatoreffekt: Für jeden Hektar, der restauriert wird, profitieren drei weitere Hektar durch Windschutz und verbesserte Wasserverfügbarkeit.
Die Frage ist nun, wie diese Erfolge skaliert werden können. Die Regierung von Niger hat sich klar zum Ziel gesetzt, diese Maßnahmen weiter auszubauen und als Teil ihrer langfristigen Entwicklungsstrategie zu verankern. Dabei spielt die Unterstützung durch Partner wie das Welternährungsprogramm eine entscheidende Rolle.
Ein besonders hoffnungsvolles Zeichen ist die Fähigkeit der Gemeinden, selbst Verantwortung zu übernehmen. Die Menschen vor Ort leisten die eigentliche Arbeit – das Pflanzen von Bäumen, das Anlegen der Halbmonde und das Pflegen der Böden. Internationale Organisationen wie das Welternährungsprogramm fungieren dabei als Katalysatoren, indem sie Training, Ausrüstung und Ressourcen bereitstellen.
Ein Modell für die Zukunft
Das Beispiel aus Niger zeigt, dass die Große Grüne Wand nicht nur eine Vision ist, sondern ein praktisches und umsetzbares Modell, das die Lebensgrundlage von Millionen Menschen verbessern kann. Es ist mehr als ein Projekt zur Bekämpfung der Wüstenbildung. Es ist ein Weg, Ernährungssicherheit zu schaffen, die Armut zu bekämpfen und der Natur die Chance zu geben, sich zu regenerieren.
Die große Frage bleibt, ob diese Erfolge auf die gesamte Sahelzone und darüber hinaus ausgeweitet werden können. Doch die Fortschritte, die in Niger und an anderen Orten erzielt wurden, zeigen, dass eine großflächige Transformation möglich ist – wenn alle Akteure zusammenarbeiten und sich auf langfristige Lösungen konzentrieren.
Die Große Grüne Wand ist damit nicht nur ein Schutzschild gegen die Wüste, sondern auch eine Brücke zu einer besseren Zukunft für Afrika und die Welt.
Herausforderungen und Lösungen
Trotz der beeindruckenden Fortschritte bleibt die Große Grüne Wand eine riesige Aufgabe. Klimatische Bedingungen wie längere Trockenperioden und steigende Temperaturen stellen die Projekte immer wieder auf die Probe.
Politische Instabilitäten in einigen Ländern der Sahelzone erschweren die Koordination und Finanzierung der Maßnahmen. Gleichzeitig stehen kurzfristige wirtschaftliche Interessen, wie die Ausweitung von Agrarflächen oder der Abbau von Holz, oft im Widerspruch zu den langfristigen Zielen der Initiative.
Um diese Herausforderungen zu bewältigen, setzen die Verantwortlichen auf dezentrale Ansätze, bei denen die lokale Bevölkerung eine aktive Rolle übernimmt. Die Einbindung traditioneller Techniken und die Nutzung moderner Technologien helfen ebenfalls, die Maßnahmen an die spezifischen Bedingungen der jeweiligen Regionen anzupassen.
Ein Blick in die Zukunft
Die Ziele der Großen Grünen Wand bis 2030 sind ehrgeizig, aber erreichbar. Geplant ist, 100 Millionen Hektar Land wiederherzustellen, zehn Millionen Arbeitsplätze zu schaffen und 25 Millionen Menschen vor Armut und Hunger zu bewahren. Gelingt dies, könnte das Projekt nicht nur die Lebensbedingungen in der Sahelzone nachhaltig verbessern, sondern auch als Modell für andere Regionen dienen, die von Desertifikation betroffen sind.
International gewinnt die Große Grüne Wand zunehmend Aufmerksamkeit. Organisationen wie die Weltbank und die Afrikanische Entwicklungsbank haben Milliardeninvestitionen zugesagt, um das Projekt voranzutreiben. Es wird auch als Vorbild für ähnliche Initiativen in Asien und Lateinamerika betrachtet.
Die Fortschritte der Großen Grünen Wand zeigen, dass selbst in den schwierigsten Bedingungen positive Veränderungen möglich sind. Sie ist ein Symbol dafür, wie Mensch und Natur zusammenarbeiten können, um die Wüste zurückzudrängen und eine nachhaltige Zukunft zu schaffen.
Quellenangaben
Afrikanische Union, „The Great Green Wall Initiative“, verfügbar unter: https://au.int/en/ggw
UNCCD, „The Great Green Wall Initiative – Facts and Figures“, verfügbar unter: https://www.unccd.int/actions/great-green-wall-initiative
FAO, „Great Green Wall Progress Report“, verfügbar unter: https://www.fao.org/3/ca7721en/ca7721en.pdf
The Guardian, „The man who stopped the desert“, verfügbar unter: https://www.theguardian.com/environment/2010/aug/11/man-stopped-desert-yacouba-sawadogo