In Thüringen, einer Region, die traditionell für Getreideanbau, Raps und Kartoffeln bekannt ist, blüht eine neue Idee auf – im wahrsten Sinne des Wortes. Lavendel, eine Pflanze, die man sonst eher mit der Provence oder dem Mittelmeerraum verbindet, wird auf Thüringer Böden kultiviert. Dahinter steckt mehr als nur der Versuch, die Agrarlandschaft optisch aufzuwerten. Ein ambitioniertes Projekt untersucht, ob Lavendel als alternative Nutzpflanze nicht nur wirtschaftlich, sondern auch ökologisch einen Beitrag leisten kann. Die bisherigen Ergebnisse sind vielversprechend: Lavendel bietet eine Chance, bedrohte Insektenarten zu schützen, und könnte gleichzeitig die Anpassungsfähigkeit der Landwirtschaft an den Klimawandel verbessern.
Die Herausforderungen: Rückgang der Artenvielfalt und Klimawandel
Die Landwirtschaft steht weltweit vor großen Herausforderungen. Intensive Bewirtschaftung und der Einsatz von Pestiziden haben dazu geführt, dass die Population vieler Insektenarten dramatisch zurückgeht. In Deutschland sind etwa 50 % der Wildbienenarten und 40 % der Schmetterlingsarten bedroht oder bereits verschwunden (Bundesamt für Naturschutz, 2023). Der Verlust von Bestäubern hat nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Folgen, da viele Nutzpflanzen von Insekten bestäubt werden.
Zusätzlich erfordert der Klimawandel ein Umdenken in der landwirtschaftlichen Praxis. Traditionelle Kulturen wie Raps, Getreide oder Zuckerrüben reagieren empfindlich auf extreme Wetterbedingungen wie Trockenheit oder Starkregen, die immer häufiger auftreten. Landwirte stehen vor der Aufgabe, ihre Produktion zukunftssicher zu gestalten, ohne dabei die ohnehin fragile Ökologie weiter zu belasten.
In Thüringen, wo die landwirtschaftliche Nutzfläche einen Großteil der Landschaft prägt, werden diese Probleme besonders spürbar. Mit sinkenden Erträgen und einem wachsenden Druck, nachhaltige Alternativen zu finden, entstand die Idee, Lavendel als Modellpflanze zu testen.
Die Lösung: Lavendel als nachhaltige Kultur
Das Thüringer Lavendelprojekt wurde 2020 ins Leben gerufen und ist ein Gemeinschaftsprojekt der Fachhochschule Erfurt, regionaler Landwirte und Naturschutzorganisationen. Auf einer Gesamtfläche von 6.000 Quadratmetern – verteilt über die Landkreise Altenburger Land, Gotha, Sömmerda und Erfurt – werden verschiedene Lavendelsorten angebaut, um ihre Eignung für die thüringischen Böden und klimatischen Bedingungen zu untersuchen.
Die Wahl fiel auf Lavendel, weil die Pflanze in vielerlei Hinsicht ideal für eine nachhaltige Landwirtschaft geeignet ist. Sie benötigt wenig Wasser, kommt mit nährstoffarmen Böden aus und ist äußerst resistent gegen Schädlinge. Gleichzeitig bietet sie eine wertvolle Nahrungsquelle für Insekten und hat damit das Potenzial, bedrohte Bestäuberpopulationen zu fördern.
„Lavendel ist eine Pflanze, die im Zuge des Klimawandels immer relevanter wird. Er verträgt Trockenheit besser als viele traditionelle Feldfrüchte und bringt einen zusätzlichen ökologischen Nutzen mit sich“, erklärt Meike Luderer-Pflimpfl, die Projektleiterin an der Fachhochschule Erfurt.
Erste Ergebnisse: Blühende Vielfalt und robuste Pflanzen
Das Projekt geht weit über die reine Untersuchung der Pflanzeneigenschaften hinaus. Ein umfassendes Insektenmonitoring begleitet den Lavendelanbau, um zu dokumentieren, welche Auswirkungen die Felder auf die lokale Biodiversität haben. Die Ergebnisse sind beeindruckend: Insgesamt wurden 34 Tagfalterarten und 98 Wildbienenarten nachgewiesen, darunter 31 Arten, die auf der Roten Liste stehen und als vom Aussterben bedroht gelten (MDR, 2024).
„Wir waren überrascht, wie viele seltene Insektenarten von den Lavendelfeldern profitieren“, sagt Luderer-Pflimpfl. „Die Pflanze bietet nicht nur Nahrung, sondern auch einen geschützten Lebensraum. Für uns ist das ein Zeichen, dass Lavendel einen wichtigen Beitrag zum Artenschutz leisten kann.“
Auch die Ernteerträge sind ermutigend. Im Sommer 2024 wurden zwischen 110 und 215 Kilogramm Lavendel pro Hektar geerntet. Angesichts des relativ nassen Wetters, das für Lavendel weniger optimal ist, bewerten die Experten die Ergebnisse als vielversprechend. Mit zunehmendem Alter der Pflanzen – Lavendel erreicht erst nach drei bis vier Jahren seine volle Produktivität – erwarten die Projektleiter noch höhere Erträge.
Die Menschen hinter dem Projekt
Das Thüringer Lavendelprojekt ist ein Gemeinschaftswerk, das von unterschiedlichen Akteuren getragen wird. Die treibende Kraft ist die Fachhochschule Erfurt, die mit ihrem Fachbereich Gartenbau und Landschaftsarchitektur nicht nur die wissenschaftliche Expertise liefert, sondern auch eng mit Landwirten zusammenarbeitet. Einer dieser Landwirte ist Peter Staudt aus dem Altenburger Land. Er war einer der ersten, der sich bereit erklärte, auf seinen Flächen Lavendel zu testen.
„Ich war skeptisch, ob Lavendel wirklich bei uns wächst. Aber die Pflanze hat mich überrascht“, erzählt Staudt. „Sie kommt gut mit unseren Böden zurecht, und die Blüten ziehen unglaublich viele Bienen und Schmetterlinge an. Das ist nicht nur gut für die Natur, sondern auch für die umliegenden Obst- und Gemüsekulturen.“
Neben Landwirten sind auch Imker in das Projekt involviert. Der lokale Imkerverband berichtet von einer erhöhten Honigproduktion in der Nähe der Lavendelfelder. „Die Bienen lieben Lavendel. Der Nektar ist reichhaltig, und der Honig bekommt eine ganz besondere Note“, sagt Imkerin Anna Berger, die ihre Stöcke gezielt an den Lavendelfeldern aufgestellt hat.
Herausforderungen und Chancen
Natürlich ist nicht alles perfekt. Der Lavendelanbau in Thüringen steht noch am Anfang, und es gibt Herausforderungen, die gelöst werden müssen. Eine davon ist die Anpassung der Erntetechniken. Da Lavendel in Deutschland bisher kaum großflächig angebaut wird, fehlen spezialisierte Maschinen und Verarbeitungsanlagen. Viele Arbeiten, wie das Schneiden der Blüten, müssen manuell erfolgen, was den Arbeitsaufwand erhöht.
Auch der Absatzmarkt für Lavendelprodukte ist noch im Aufbau. Zwar gibt es Interesse an Lavendelöl, getrockneten Blüten und Honig, aber die Konkurrenz aus südlicheren Ländern wie Frankreich oder Spanien ist groß. Die Projektleiter sind jedoch zuversichtlich, dass sich mit regionalen Vermarktungsstrategien und einem Fokus auf Nachhaltigkeit langfristig ein stabiler Markt entwickeln lässt.
Reale Erfolgsgeschichten
Ein Beispiel für den Erfolg des Projekts ist der Landwirt Martin Berger aus Sömmerda. Berger, der zuvor ausschließlich Getreide anbaute, hatte Schwierigkeiten, seine Erträge stabil zu halten. Nach dem Einstieg in das Lavendelprojekt konnte er nicht nur seine Flächen diversifizieren, sondern auch neue Einkommensquellen erschließen. Der Verkauf von Lavendelöl an lokale Kosmetikhersteller hat sich als lukrativ erwiesen, und die Lavendelfelder ziehen inzwischen auch Touristen an, die Führungen und Workshops besuchen.
Ein weiterer Erfolg zeigt sich im Bereich des Naturschutzes. In einer benachbarten Streuobstwiese, die früher kaum Erträge brachte, konnte dank der gestiegenen Bestäuberaktivität ein deutlich höherer Fruchtertrag verzeichnet werden. „Es ist faszinierend zu sehen, wie sich die Ökosysteme gegenseitig positiv beeinflussen“, sagt Berger.
Fazit: Ein Modell mit Strahlkraft
Das Thüringer Lavendelprojekt ist ein Leuchtturm für nachhaltige Landwirtschaft. Es zeigt, dass es möglich ist, ökologische und ökonomische Ziele zu verbinden. Der Anbau von Lavendel bietet nicht nur eine Alternative für Landwirte, die sich den Herausforderungen des Klimawandels stellen müssen, sondern leistet auch einen bedeutenden Beitrag zum Erhalt der Biodiversität.
Die Projektleiter hoffen, dass die Erfahrungen aus Thüringen als Modell für andere Regionen in Deutschland und darüber hinaus dienen können. „Wir stehen noch am Anfang, aber die Ergebnisse zeigen, dass Lavendel eine echte Zukunftsperspektive bietet“, fasst Luderer-Pflimpfl zusammen.
Quellenangaben
- Bundesamt für Naturschutz (2023): Rote Liste der Bienen Deutschlands. Verfügbar unter: https://www.bfn.de/insektenmonitoring
- MDR Thüringen (2024): Lavendel in Thüringen – Ein neuer Weg für die Landwirtschaft. Verfügbar unter: https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/mitte-thueringen/erfurt/lavendel-ernte-start-106~amp.html
- Stiftung Naturschutz Thüringen (2024): VIA Natura 2000 – Schutz der Insekten in Agrarlandschaften. Verfügbar unter: https://www.via-natura-2000.de/
- Deutscher Imkerbund (2024): Lavendel als Bienenweide. Verfügbar unter: https://www.deutscherimkerbund.de/lavendel
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