Die Brache und das Problem: Vom grünen Idyll zur trostlosen Fläche
Mitten im baden-württembergischen Sinsheim, einer Region geprägt von landwirtschaftlicher Tradition und sanften Hügeln, liegt eine Gärtnerei, die einst ein blühendes Paradies war. Über Jahrzehnte versorgte sie die Region mit frischen Kräutern, Blumen und Gemüse. Doch wie so oft in der modernen Landwirtschaft, führte der Druck durch steigende Kosten, sinkende Margen und die Konkurrenz durch Massenproduktion in den Supermärkten dazu, dass der Betrieb vor etwa zwanzig Jahren aufgegeben werden musste. Seitdem war das Grundstück eine Brache.
Verfallene Gewächshäuser, von Unkraut überwucherte Beete und ein heruntergekommenes Wohnhaus erzählen die Geschichte von Aufgabe und Stillstand. Solche brachliegenden Flächen sind ein Symptom für ein größeres Problem: die zunehmende Entfremdung zwischen Menschen und Natur. Wo einst Pflanzen blühten und Arbeit einen Lebensunterhalt sicherte, herrscht heute Leere – eine Entwicklung, die in vielen ländlichen Regionen Deutschlands zu beobachten ist.
Die Brache in Sinsheim ist dabei mehr als nur eine ungenutzte Fläche. Sie steht symbolisch für den Verlust regionaler Selbstversorgung, den Niedergang kleiner Familienbetriebe und eine immer stärker industrialisierte Landwirtschaft. Doch hier sollte es anders kommen. Drei Männer haben sich vorgenommen, diese Brache wiederzubeleben – und ein echtes Paradies zu schaffen.
Die Vision: Aus der Brache wird eine grüne Oase
Die Männer hinter diesem Projekt könnten unterschiedlicher kaum sein, doch sie teilen eine Leidenschaft für das Gärtnern und den Wunsch, etwas Nachhaltiges zu schaffen. Simon, Jonas und Lukas – alle in ihren frühen Dreißigern – haben sich bei einem Gemeinschaftsgartenprojekt kennengelernt. Sie verband die Frustration über den Zustand der modernen Landwirtschaft und der Wunsch, etwas zu verändern.
Die Idee war einfach, aber ambitioniert: Die alte Gärtnerei sollte wieder zu einem lebendigen Ort werden, an dem Gemüse, Kräuter und Blumen nachhaltig angebaut werden. Gleichzeitig sollte sie ein Ort der Begegnung sein, an dem Menschen lernen können, wie Lebensmittel angebaut werden und wie wichtig eine intakte Natur für das eigene Leben ist.
Doch der Weg dorthin war steinig. Keiner der drei hatte große finanzielle Mittel, und die einzige Möglichkeit, das Grundstück zu übernehmen, war ein Pachtvertrag mit dem Eigentümer. Ein Darlehen von Freunden und Familie half, die ersten Materialien zu kaufen, doch die Männer mussten ihre Komfortzone weit hinter sich lassen. Um die Kosten zu senken, zogen sie in das heruntergekommene Wohnhaus auf dem Grundstück – ohne Strom und mit nur rudimentären sanitären Anlagen. Die meiste Zeit arbeiteten sie von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, um die Gärtnerei wiederaufzubauen.
„Wir hatten keine Ahnung, wie hart das werden würde“, sagt Simon. „Aber wir wussten, wofür wir es machen. Es geht nicht nur um uns, sondern darum, etwas zu schaffen, das bleibt.“
Der Weg zur Umsetzung: Mit wenig Geld, aber viel Hingabe
Das Projekt wurde 2020 als gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung (gGmbH) gegründet, um Spenden und Fördergelder akquirieren zu können. Die Rechtsform erlaubte es den drei Gründern, ihre Mission – nachhaltige Landwirtschaft und Umweltbildung – klar nach außen zu kommunizieren. Unterstützt wurden sie dabei von lokalen Initiativen und Förderprogrammen, darunter Zuschüsse für nachhaltige Projekte von der Europäischen Union.
In den ersten Monaten konzentrierten sich die drei Männer darauf, die alte Infrastruktur zu sichern. Verfallene Gewächshäuser wurden abgetragen und mit gespendeten Materialien wiederaufgebaut. Auch das Wohnhaus wurde notdürftig renoviert, um es zumindest im Winter bewohnbar zu machen. Parallel begannen sie, die Böden auf der Brache wieder fruchtbar zu machen – ein mühsamer Prozess, der den Einsatz von Kompost, Gründüngung und viel Handarbeit erforderte.
Besonders stolz sind die Gründer auf ihre Entscheidung, komplett ohne chemische Dünger und Pestizide zu arbeiten. „Wir wollen zeigen, dass es auch anders geht“, erklärt Jonas. „Die Natur gibt uns alles, was wir brauchen – wir müssen nur lernen, mit ihr zu arbeiten, statt gegen sie.“
Erfolgreiche Projekte und erste Erfolge
Trotz der anfänglichen Schwierigkeiten konnten die drei Gründer bald erste Erfolge feiern. Bereits im zweiten Jahr ihrer Arbeit war es ihnen gelungen, auf einem Drittel der Fläche Gemüse und Kräuter anzubauen. Die Produkte wurden auf lokalen Märkten verkauft, und die Resonanz war überwältigend. „Die Menschen hier haben lange auf etwas wie das gewartet“, sagt Lukas. „Frisches, regionales Gemüse direkt vom Erzeuger – das ist etwas, das viele vermissen.“
Ein weiteres Highlight war die Zusammenarbeit mit einer Grundschule in der Nähe. Im Rahmen eines Umweltbildungsprogramms kamen Schüler regelmäßig auf die Gärtnerei, um mehr über den Anbau von Lebensmitteln zu lernen. „Für die Kinder ist es oft das erste Mal, dass sie sehen, wie eine Karotte wächst“, berichtet Simon. „Das sind Momente, die einem zeigen, warum man das alles macht.“
Auch finanziell zeigt das Projekt erste Lichtblicke. Ein regionaler Förderpreis für nachhaltige Landwirtschaft brachte wichtige Mittel für die weitere Arbeit, und ein Crowdfunding-Projekt im Jahr 2023 übertraf alle Erwartungen: Mehr als 20.000 Euro wurden gesammelt, um die Gärtnerei mit Solarenergie auszustatten.
Ein Beispiel für nachhaltige Transformation
Die Geschichte der drei Männer und ihrer Gärtnerei in Sinsheim ist ein Beispiel dafür, wie viel Engagement und Vision bewegen können – auch ohne große finanzielle Mittel. Es zeigt, dass nachhaltige Landwirtschaft nicht nur möglich, sondern auch wirtschaftlich tragfähig ist, wenn sie durch die Gemeinschaft getragen wird.
Die Gärtnerei ist heute nicht nur ein wirtschaftlich funktionierender Betrieb, sondern auch ein Ort der Begegnung und Bildung. Workshops über Permakultur und nachhaltigen Anbau ziehen Menschen aus der ganzen Region an, und die Zusammenarbeit mit lokalen Restaurants hat das Bewusstsein für regionale Lebensmittel gestärkt.
„Wir sind noch lange nicht am Ziel“, sagt Lukas. „Aber wenn ich morgens auf das Grundstück gehe und sehe, wie alles wächst und gedeiht, dann weiß ich, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“
Quellen
- Europäische Kommission. (2023). Förderung von nachhaltiger Landwirtschaft. Online verfügbar unter: https://ec.europa.eu/environment/agriculture
- Netzwerk Nachhaltiger Landbau Deutschland. (2023). Beispiele für erfolgreiche Projekte. Online verfügbar unter: https://www.nachhaltiger-landbau.de/projekte
- Crowdfunding-Plattform Betterplace. (2023). Solarenergie für die Gärtnerei Sinsheim. Online verfügbar unter: https://www.betterplace.org/p/sinsheim-solar
- Süddeutsche Zeitung. (2022). „Nachhaltigkeit auf kleinen Flächen: Geht das?“ Online verfügbar unter: https://www.sueddeutsche.de/nachhaltigkeit-garten
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