Die britische Landwirtschaft steht vor einem radikalen Umbruch. Jahrzehntelang war das Subventionssystem geprägt von einer einfachen Regel: Wer viel Land besitzt, bekommt viel Geld. Doch dieses Modell hat Schwächen – es belohnt Großgrundbesitzer, ohne Rücksicht darauf, wie nachhaltig oder schädlich sie wirtschaften. Jetzt wagt die britische Regierung einen beispiellosen Schritt: Subventionen sollen künftig an ökologische und gesellschaftliche Leistungen gekoppelt werden. Ein Systemwechsel, der weltweit Aufmerksamkeit erregt.
Das alte System: Landbesitz als Garant für Subventionen
Lange Zeit war die Vergabe von Agrarsubventionen in Großbritannien, wie in weiten Teilen Europas, von einem Grundprinzip geprägt: Je mehr Land, desto mehr Unterstützung. Dieses Modell hat enorme Ungleichheiten gefördert. Großgrundbesitzer, darunter auch Adelige und große Landwirtschaftskonzerne, profitierten überproportional. Kleine Betriebe, die oft nachhaltiger wirtschaften, erhielten dagegen wenig.
Die Konsequenzen dieses Systems sind gravierend. Intensiv genutzte landwirtschaftliche Flächen haben Böden ausgelaugt, die Artenvielfalt dezimiert und Wasserressourcen verschmutzt. Die Umweltbelastung durch Massentierhaltung und Monokulturen wurde zu einem wachsenden Problem, während kleinere, oft ökologisch wirtschaftende Höfe mit finanziellen Engpässen zu kämpfen hatten.
Eine Studie des britischen Landwirtschaftsministeriums zeigte, dass rund 85 % der Subventionen an die 10 % der größten Landbesitzer flossen. Gleichzeitig klagten Landwirte über steigende Betriebskosten, verschärft durch den Brexit, der den Zugang zu Arbeitskräften und Märkten erschwerte.
Der Wandel: Subventionen für öffentliche Güter
Vor diesem Hintergrund beschloss die britische Regierung, das System grundlegend zu reformieren. Im Zentrum der Pläne steht das „Environmental Land Management Scheme“ (ELMS), ein Programm, das Subventionen nicht mehr pauschal an Landbesitz koppelt, sondern an konkrete Leistungen für Umwelt und Gesellschaft.
Kern des neuen Modells ist das Prinzip: „Öffentliches Geld für öffentliche Güter.“ Landwirte sollen finanziell belohnt werden, wenn sie Maßnahmen ergreifen, die Böden regenerieren, Artenvielfalt fördern, Wasser schützen oder das Klima schonen. Auch gesellschaftliche Dienstleistungen wie der Zugang zu Naturflächen oder Bildungsangebote für Kinder sollen honoriert werden.
George Eustice, ehemaliger britischer Umweltminister und einer der Hauptarchitekten des Plans, bezeichnete ELMS als „die wichtigste Agrarreform der letzten 70 Jahre“. Der Übergang wird schrittweise erfolgen. Über einen Zeitraum von sieben Jahren sollen die bisherigen Direktzahlungen auslaufen und durch das neue System ersetzt werden.
Die Gründer des Wandels: Wer treibt die Reform voran?
Die treibende Kraft hinter den Reformen ist das britische Umwelt-, Ernährungs- und Landwirtschaftsministerium (Defra). Unterstützt wird das Vorhaben von einer breiten Koalition aus Umweltverbänden, Wissenschaftlern und progressiven Landwirtschaftsorganisationen. Auch die National Farmers‘ Union (NFU), der größte Interessenverband der britischen Landwirtschaft, begrüßt die Reform grundsätzlich, obwohl sie auch auf Herausforderungen hinweist.
Interessant ist, dass die Ideen für das ELMS-Programm stark von der Wissenschaft geprägt sind. Forschende der Universität Oxford und des Centre for Ecology & Hydrology lieferten wichtige Grundlagenstudien, die die Vorteile einer regenerativen Landwirtschaft und einer nachhaltigen Bewirtschaftung von Böden und Landschaften belegen.
Erste Erfolge: Pilotprojekte zeigen Wirkung
Die britische Regierung hat bereits mehrere Pilotprojekte gestartet, um die Wirksamkeit der neuen Ansätze zu testen. Ein beeindruckendes Beispiel ist der „Knepp Estate“ in West Sussex, ein ehemaliger konventioneller Betrieb, der auf regenerative Landwirtschaft umgestellt wurde. Statt Monokulturen gibt es dort heute weite Wiesen, Wälder und Feuchtgebiete. Arten wie der Purpurreiher und die Nachtigall haben dort neue Lebensräume gefunden. Knepp ist zu einem Vorbild für andere Landwirte geworden, die den Übergang zu einer nachhaltigen Bewirtschaftung wagen wollen.
Ein weiteres Pilotprojekt fand in Cumbria statt. Dort wurde getestet, wie Landwirte durch gezielte Heckenpflanzungen und die Wiederherstellung von Feuchtgebieten das Hochwasserrisiko senken und gleichzeitig die Biodiversität steigern können. Die Ergebnisse waren vielversprechend: Anwohner berichteten von deutlich weniger Überschwemmungen, und die Population von Amphibien und Vögeln nahm zu.
Auch wirtschaftlich zeigen sich erste positive Effekte. Ein Betrieb in Yorkshire, der auf Agroforstwirtschaft umgestellt hat – eine Kombination aus Landwirtschaft und Forstwirtschaft –, konnte seine Erträge diversifizieren und seine Abhängigkeit von Subventionen reduzieren. Dies stärkt die Resilienz der Betriebe gegenüber wirtschaftlichen und klimatischen Unsicherheiten.
Herausforderungen und der Weg nach vorne
Trotz der vielversprechenden Ansätze gibt es Herausforderungen. Einige Landwirte äußern sich skeptisch über den bürokratischen Aufwand und die unklare Definition, was genau als „öffentliches Gut“ gilt. Zudem benötigen viele Betriebe Investitionen, um ihre Produktionsweise umzustellen – eine finanzielle Belastung, die nicht jeder stemmen kann.
Doch die britische Regierung zeigt sich entschlossen. Sie arbeitet eng mit Landwirten zusammen, um das ELMS-Programm praxistauglich zu gestalten. Bildungsangebote und finanzielle Anreize sollen den Übergang erleichtern. Experten sehen in dem Programm eine Chance, die Landwirtschaft nachhaltiger und resilienter zu machen, ohne dabei die wirtschaftliche Basis der Landwirte zu gefährden.
Ein Modell für die Welt?
Großbritannien könnte mit dem neuen Subventionsmodell eine Vorreiterrolle übernehmen. Die Kopplung von Subventionen an ökologische und gesellschaftliche Leistungen könnte weltweit Nachahmer finden. Länder wie Neuseeland und Kanada beobachten die Entwicklungen genau, und auch innerhalb der Europäischen Union gibt es Interesse an ähnlichen Ansätzen.
Die Reform ist ein mutiger Schritt, der zeigt, dass es möglich ist, eine gerechtere und nachhaltigere Landwirtschaft zu gestalten. Sie beweist, dass wirtschaftlicher Erfolg und Umweltschutz keine Gegensätze sein müssen, sondern Hand in Hand gehen können.
Quellen
BBC (2023). UK farming reforms explained: What is the Environmental Land Management Scheme? Verfügbar unter: https://www.bbc.com/news/uk-62039324
DEFRA (2022). Agricultural Transition Plan 2021 to 2024. Verfügbar unter: https://www.gov.uk/government/publications/agricultural-transition-plan-2021-to-2024
National Farmers’ Union (2023). Reactions to ELMS reforms. Verfügbar unter: https://www.nfuonline.com
Oxford University (2021). Biodiversity and farming: Research findings. Verfügbar unter: https://www.ox.ac.uk/research/biodiversity-and-farming
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