Ein sicherer Hafen in der Nacht
Samstagabend, Call Lane in Leeds: Die Straßen sind gefüllt mit Menschen, die das Wochenende genießen. Doch während die meisten ausgelassen feiern, bleibt eine dunkle Realität allgegenwärtig – für viele Frauen ist ein nächtlicher Ausflug auch mit Angst verbunden. Anzügliche Kommentare, aufdringliche Verhaltensweisen oder schlichtweg die Sorge, allein auf der Straße zu sein, sind keine Ausnahme. Genau hier setzt der Women’s Night Safe Space an – ein umgebauter Bus, der Frauen Schutz, Unterstützung und ein offenes Ohr bietet.
Dieser Bus ist mehr als nur ein Zufluchtsort. Er ist ein Symbol dafür, wie Gemeinschaftsprojekte das Leben in Städten sicherer machen können. Doch das Überleben des Projekts steht auf der Kippe: Fehlende Mittel drohen, dieses essenzielle Angebot zum Stillstand zu bringen.
Das Problem: Gewalt und Unsicherheit für Frauen im öffentlichen Raum
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Laut einer Umfrage von UN Women UK aus dem Jahr 2021 fühlen sich 71 % der Frauen in Großbritannien nachts im öffentlichen Raum unsicher. Besonders betroffen sind junge Frauen und Mädchen, die auf nächtlichen Ausflügen häufig Erfahrungen von Belästigung oder Gewalt machen. Die Dunkelziffer ist hoch, denn viele Betroffene melden solche Vorfälle nicht – aus Scham oder aus der Überzeugung, dass ohnehin keine Konsequenzen folgen würden (UN Women UK, 2021).
Doch das Problem endet nicht bei offensichtlicher Gewalt. Oft reichen kleine Dinge, um Frauen das Gefühl zu geben, in Gefahr zu sein: ein fremder Mann, der in der Dunkelheit folgt, ein leerer Akku, der die Möglichkeit nimmt, Hilfe zu rufen. Genau solche Szenarien kennt Shreena, die Leiterin des Women’s Night Safe Space, aus erster Hand. „Wir hören immer wieder von Frauen, die sich einfach nur irgendwo sicher fühlen möchten – selbst wenn es nur für ein paar Minuten ist.“
Die Lösung: Ein Bus, der Sicherheit schafft
2018 wurde der Women’s Night Safe Space ins Leben gerufen – eine Kooperation von Leeds Women’s Aid, der Women & Girls Alliance Leeds und Women Friendly Leeds. Das Konzept war einfach, aber wirkungsvoll: ein Bus, der jeden Samstagabend auf Call Lane stationiert ist, ausgestattet mit Wasserflaschen, Ladestationen, Wärmedecken und vor allem einem Team von geschulten Helferinnen. Diese bieten nicht nur praktische Unterstützung, sondern auch emotionale Hilfe für Frauen, die in der Nacht Unterstützung brauchen.
„Es ging darum, auf die Erfahrungen und Wünsche von Frauen einzugehen“, erklärt eine Sprecherin von Women Friendly Leeds. Der Bus fungiert als versteckte Augen und Ohren – ein Ort, an dem Frauen nicht verurteilt werden und sich sicher fühlen können. In den vergangenen fünf Jahren hat das Team mehr als 1.000 Frauen geholfen. Die Anfragen reichen von einfachen Bitten wie dem Aufladen eines Handys bis hin zu ernsten Situationen, bei denen Frauen vor gewalttätigen Partnern oder aggressiven Fremden Schutz suchen.
Eine besonders eindrucksvolle Geschichte ereignete sich im letzten Jahr: Eine junge Frau suchte den Bus auf, nachdem sie von einem Mann verfolgt worden war. „Sie war in Panik“, erzählt Shreena. „Wir konnten sie beruhigen, ihr ein warmes Getränk anbieten und dafür sorgen, dass sie sicher nach Hause kommt.“ Solche Momente zeigen, wie wichtig der Bus für Frauen ist – nicht nur in akuten Krisen, sondern auch als präventives Angebot.
Wer steckt hinter dem Projekt?
Die Gründerinnen des Projekts sind keine Neulinge, wenn es um die Unterstützung von Frauen geht. Leeds Women’s Aid, eine seit über 50 Jahren aktive Organisation, hat sich auf den Schutz vor häuslicher Gewalt spezialisiert. Die Women & Girls Alliance Leeds bringt lokale Organisationen zusammen, um gezielt auf die Bedürfnisse von Frauen und Mädchen einzugehen. Women Friendly Leeds schließlich ist eine Initiative, die die gesamte Stadt dazu bringen möchte, frauenfreundlicher zu werden – von sicheren Straßen bis hin zu gerechteren Arbeitsbedingungen.
Organisiert ist das Projekt als gemeinnützige Initiative, die auf Spenden und Fördermittel angewiesen ist. Die Helferinnen arbeiten ehrenamtlich oder für eine geringe Aufwandsentschädigung. „Wir tun das, weil wir wissen, wie dringend es gebraucht wird“, sagt Shreena. Dennoch sei die Arbeit oft herausfordernd – nicht nur wegen der emotionalen Belastung, sondern auch, weil die Finanzierung des Projekts immer wieder unsicher ist.
Gefahr der Schließung: Wenn Geld fehlt, leidet die Sicherheit
Trotz des großen Erfolgs steht das Projekt derzeit vor einer ungewissen Zukunft. Die Finanzierung des Busses basiert auf Spenden und einmaligen Zuschüssen, die mittlerweile auszulaufen drohen. Allein im vergangenen Jahr konnte das Team über die Big Give Campaign Gelder sammeln, die für den Betrieb unabdingbar waren. Doch diese Mittel reichen nicht aus, um den Betrieb langfristig zu sichern.
„Wenn der Bus schließen muss, bedeutet das für viele Frauen einen großen Verlust an Sicherheit“, warnt Shreena. Auch die Organisationen hinter dem Projekt sehen die Lage kritisch: Ohne zusätzliche Mittel könne das Angebot nicht weiter bestehen.
Hoffnungsschimmer: Wie die Gemeinschaft hilft
Die Big Give Campaign ist ein Lichtblick in der angespannten finanziellen Situation. Zwischen dem 10. und 17. Oktober 2024 werden alle Spenden, die für den Women’s Night Safe Space eingehen, verdoppelt – dank großzügiger Unterstützerinnen und Unterstützer aus der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft. Mit dieser Aktion hofft das Team, genügend Mittel zu sammeln, um den Bus weiterhin betreiben zu können.
Darüber hinaus gibt es Pläne, das Projekt auszubauen. So sollen Partnerschaften mit lokalen Bars und Clubs gestärkt werden, um präventiv auf mögliche Gefahren hinzuweisen. Auch Workshops, die Männern und Frauen zeigen, wie sie in schwierigen Situationen eingreifen können, sind in Planung.
Eine weitere inspirierende Geschichte zeigt, wie wichtig die Unterstützung der Gemeinschaft ist: Eine Frau, die vor Jahren selbst Hilfe beim Bus suchte, ist heute Teil des Teams. „Sie wollte etwas zurückgeben“, sagt Shreena. „Das zeigt, wie nachhaltig unsere Arbeit sein kann.“
Ein Appell an die Gesellschaft
Das Projekt Women’s Night Safe Space steht exemplarisch für das, was möglich ist, wenn Menschen zusammenarbeiten, um Städte sicherer zu machen. Doch es zeigt auch die Fragilität solcher Initiativen, die oft von knappen Ressourcen abhängig sind. Die Frage, wie wir den öffentlichen Raum für Frauen sicherer gestalten können, bleibt dringlich – nicht nur in Leeds, sondern weltweit.
Quellenangaben:
- UN Women UK. (2021). „The shadow pandemic: Violence against women during COVID-19.“ Verfügbar unter: https://www.unwomenuk.org
- Women Friendly Leeds. (2024). „Creating a city that works for women.“ Verfügbar unter: https://www.womenfriendlyleeds.org.uk
- Leeds Women’s Aid. (2024). „Our impact and initiatives.“ Verfügbar unter: https://www.leedswomensaid.org.uk
- The Big Give Campaign. (2024). „Women’s Night Safe Space fundraiser.“ Verfügbar unter: https://www.thebiggive.org.uk
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