Digitale Sprechstunden: Wie Telemedizin den Hausärztemangel in Deutschland bekämpft

Ein drängendes Problem: Der Mangel an Hausärzten

Der Hausärztemangel in Deutschland ist kein neues Phänomen, aber in den letzten Jahren hat sich die Lage dramatisch zugespitzt. Insbesondere in ländlichen Regionen stehen viele Menschen vor einem gravierenden Problem: Es gibt schlichtweg nicht genug Hausärzte. Die Robert Bosch Stiftung schätzt, dass bis zum Jahr 2035 bundesweit etwa 11.000 Hausarztstellen unbesetzt bleiben könnten. Das betrifft fast 40 Prozent der Landkreise, die somit als unterversorgt gelten (Robert Bosch Stiftung, 2021).

Die Auswirkungen sind besonders für chronisch Kranke und ältere Menschen spürbar. Wer etwa auf regelmäßige Kontrolluntersuchungen oder eine kontinuierliche Medikamentenversorgung angewiesen ist, wird durch weite Wege zur nächsten Praxis oder lange Wartezeiten stark belastet. Viele Patienten müssen Fahrten von bis zu 30 Kilometern und mehr auf sich nehmen, was für diejenigen ohne eigenes Auto oder mit eingeschränkter Mobilität nahezu unmöglich ist.

Die Ursachen für diese Entwicklung sind vielfältig. Einerseits entscheiden sich immer weniger junge Mediziner für eine Karriere in der Allgemeinmedizin. Die Gründe reichen von der hohen Arbeitsbelastung über vergleichsweise niedrige Verdienstmöglichkeiten bis hin zur mangelnden Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die insbesondere in ländlichen Gebieten eine Herausforderung darstellt. Andererseits zieht es viele Ärzte in die Städte, wo sie nicht nur bessere berufliche Perspektiven sehen, sondern auch ein breiteres kulturelles Angebot und eine höhere Lebensqualität vorfinden. Hinzu kommt, dass viele Hausärzte in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen werden, ohne dass ausreichend Nachwuchs in Sicht ist (ZDF, 2023).

Die Folgen dieses Mangels sind tiefgreifend. Neben einer schlechteren medizinischen Versorgung wächst die Belastung für die verbleibenden Ärzte, die oft mehr Patienten betreuen müssen, als es unter normalen Umständen möglich wäre. Gleichzeitig wird der Zugang zur Gesundheitsversorgung für viele Menschen zu einer Frage der sozialen Gerechtigkeit: Wer es sich leisten kann, sucht spezialisierte Privatärzte auf oder nutzt Angebote in den Städten – wer nicht, bleibt zurück.

Digitale Sprechstunden: Ein Hoffnungsschimmer für unterversorgte Regionen

Digitale Sprechstunden – die Telemedizin, also die Nutzung digitaler Technologien zur medizinischen Versorgung, bietet eine vielversprechende Lösung für dieses Problem. Dabei können Patienten über Videotelefonie, spezielle Apps oder andere digitale Plattformen mit Ärzten in Kontakt treten und sich beraten lassen, ohne physisch in einer Praxis anwesend sein zu müssen. Diese Entwicklung ist nicht nur eine Antwort auf den Hausärztemangel, sondern auch ein bedeutender Schritt in Richtung einer modernen, patientenzentrierten Gesundheitsversorgung.

Digitale Sprechstunden wurden in Deutschland durch die Lockerung des Fernbehandlungsverbots im Jahr 2018 möglich. Vorher durften Ärzte Patienten ausschließlich dann behandeln, wenn diese zuvor persönlich in der Praxis erschienen waren. Mit der Gesetzesänderung können nun auch für Erstbehandlungen Digitale Sprechstunden erfolgen, was die Grundlage für die rasante Entwicklung telemedizinischer Angebote schuf (Verbraucherzentrale, 2023).

 

Pionierarbeit: Wie Digitale Sprechstunden entstanden.

Zu den ersten Anbietern, die das Potenzial der Digitale Sprechstunden in Deutschland erkannten, zählt die Plattform TeleClinic. Gegründet wurde sie 2015 von Katharina Jünger, die eine Marktlücke sah: Viele Menschen hatten Schwierigkeiten, kurzfristig medizinische Beratung zu erhalten, insbesondere außerhalb der üblichen Praxiszeiten. TeleClinic bietet heute eine umfassende Lösung, die es Patienten ermöglicht, rund um die Uhr mit Ärzten verschiedener Fachrichtungen zu sprechen. Der Zugang erfolgt über eine App oder einen Webbrowser, und Patienten können bei Bedarf digitale Rezepte oder Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erhalten.

Das Unternehmen, das als GmbH mit Sitz in München operiert, hat seit seiner Gründung ein beeindruckendes Wachstum erlebt. Während der COVID-19-Pandemie, als viele Menschen den direkten Kontakt zu Arztpraxen aus Angst vor Ansteckung vermieden, stiegen die Nutzerzahlen sprunghaft an. Heute gilt TeleClinic als einer der führenden Anbieter im Bereich der Telemedizin in Deutschland (IKK classic, o.D.).

Ein weiteres erfolgreiches Beispiel für Digitale Sprechstunden ist das Projekt „DocDirect“, ein Modellvorhaben des Landes Baden-Württemberg. Es richtet sich vor allem an Patienten in ländlichen Regionen, die aufgrund des Hausärztemangels Schwierigkeiten haben, zeitnah eine medizinische Beratung zu erhalten. DocDirect ermöglicht es Patienten seit 2018, per Telefon oder Video mit einem Arzt zu sprechen, der dann je nach Bedarf eine Diagnose stellt, eine Behandlung empfiehlt oder eine Überweisung ausstellt. Dieses Angebot wird vor allem von älteren Menschen gut angenommen, die von der unkomplizierten Handhabung und der Zeitersparnis profitieren (Krankenkasseninfo.de, 2018).

Erfolgreiche Umsetzungen und Anekdoten aus der Praxis

Die Einführung digitaler Sprechstunden hat in vielen Regionen Deutschlands bereits konkrete Verbesserungen bewirkt. Ein Beispiel ist ein Pilotprojekt in Mecklenburg-Vorpommern, das Telemedizin zur Versorgung chronisch Kranker einsetzt. Patienten mit Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen können hier ihre Werte wie Blutdruck oder Blutzucker über spezielle Geräte zu Hause messen und diese Daten direkt an ihren Arzt übermitteln. Eine ältere Patientin aus einem abgelegenen Dorf berichtete, dass sie durch die Telemedizin zum ersten Mal seit Jahren regelmäßig ärztlich betreut wird, ohne stundenlange Fahrten auf sich nehmen zu müssen.

Auch in Bayern zeigte ein ähnliches Projekt beeindruckende Erfolge. Eine ländliche Arztpraxis integrierte digitale Sprechstunden in ihren Alltag, wodurch die Zahl der Patienten, die täglich betreut werden konnten, um fast 30 Prozent stieg. Der Praxisinhaber erklärte, dass viele Anliegen – etwa die Besprechung von Laborwerten oder die Verlängerung von Rezepten – problemlos digital geklärt werden können, ohne dass Patienten vor Ort erscheinen müssen. Diese Entlastung ermöglicht es der Praxis, sich intensiver um akute Fälle und Patienten mit komplexeren Erkrankungen zu kümmern.

Digitale Sprechstunden: Herausforderungen und Potenziale

Obwohl die Vorteile der Telemedizin offensichtlich sind, gibt es auch Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt. Eine der größten Hürden ist der Datenschutz. Die Übertragung sensibler Gesundheitsdaten erfordert höchste Sicherheitsstandards, um Missbrauch oder Datenlecks zu verhindern. Anbieter wie TeleClinic investieren daher massiv in Verschlüsselungstechnologien und andere Sicherheitsmaßnahmen, um das Vertrauen der Patienten zu gewinnen.

Ein weiterer Aspekt ist die Akzeptanz unter Ärzten und Patienten. Viele Ärzte stehen der Telemedizin skeptisch gegenüber, da sie befürchten, dass die Qualität der Versorgung darunter leiden könnte. Andererseits müssen auch Patienten erst überzeugt werden, dass eine digitale Sprechstunde eine echte Alternative zur persönlichen Untersuchung darstellt. Hier spielen Aufklärung und positive Erfahrungsberichte eine entscheidende Rolle.

Trotz dieser Herausforderungen hat die Telemedizin das Potenzial, die Gesundheitsversorgung in Deutschland grundlegend zu verändern. Sie ermöglicht es, Versorgungsengpässe zu überbrücken, Kosten zu senken und Patienten einen komfortableren Zugang zu medizinischer Betreuung zu bieten. Insbesondere in Kombination mit anderen Maßnahmen wie der Förderung von medizinischen Versorgungszentren oder der stärkeren Vernetzung von Ärzten und Kliniken könnte die Telemedizin einen bedeutenden Beitrag leisten, um dem Hausärztemangel langfristig entgegenzuwirken.

Fazit: Ein Schritt in die Zukunft

Digitale Sprechstunden sind eine der vielversprechendsten Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen der letzten Jahre. Sie zeigt, wie technologische Innovationen dazu beitragen können, strukturelle Probleme wie den Hausärztemangel zu bewältigen. Während es noch Herausforderungen zu lösen gilt, sind die bisherigen Erfolge ein klares Zeichen dafür, dass die Telemedizin gekommen ist, um zu bleiben. Für Patienten in ländlichen Regionen, die oft am stärksten von den Engpässen betroffen sind, bedeutet dies einen echten Hoffnungsschimmer.

Quellenangaben

Robert Bosch Stiftung. (2021). 2035 fehlen in Deutschland rund 11.000 Hausärzte – Experten empfehlen den Aufbau von Gesundheitszentren. Abgerufen von https://www.bosch-stiftung.de/de/presse/2021/05/2035-fehlen-deutschland-rund-11000-hausaerzte-experten-empfehlen-den-aufbau-von

ZDF. (2023). Digitale Sprechstunden: So funktioniert die Videosprechstunde beim Arzt. Abgerufen von https://www.zdf.de/nachrichten/ratgeber/gesundheit/telemedizin-videosprechstunde-arzt-100.html

Verbraucherzentrale. (2023). Telemedizin – was die Fernsprechstunde für Patient:innen möglich macht. Abgerufen von https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/gesundheit-pflege/aerzte-und-kliniken/telemedizin-was-die-fernsprechstunde-fuer-patientinnen-moeglich-macht-41154

IKK classic. (o.D.). Digitale Sprechstunden in Deutschland: unsere Zukunft? Abgerufen von https://www.ikk-classic.de/gesund-machen/digitales-leben/telemedizin-in-deutschland

Krankenkasseninfo.de. (2018). Telemedizin: Wie sinnvoll ist die digitale Sprechstunde? Abgerufen von https://www.krankenkasseninfo.de/ratgeber/magazin/00411/telemedizin-wie-sinnvoll-ist-die-digitale-sprechstunde.html

 

 

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