Die Herausforderung: Wegwerfgesellschaft und Verlust handwerklicher Traditionen
In einer Zeit, in der Massenproduktion und Konsumgüter die Märkte dominieren, geraten traditionelle Handwerksberufe zunehmend in den Hintergrund. Produkte werden oft als Wegwerfartikel betrachtet, und die Wertschätzung für handgefertigte, langlebige Gegenstände schwindet. Besonders betroffen ist das Augenoptikerhandwerk, wo Brillen häufig als modische Accessoires mit kurzer Lebensdauer angesehen werden. Dies führt nicht nur zu einer erhöhten Abfallproduktion, sondern auch zum Verlust handwerklicher Fähigkeiten und Traditionen.
Die Lösung: Die Brillenmodelei – Ein Ort für nachhaltige Brillenmode
Mitten im Leipziger Stadtteil Plagwitz hat Jana Hoffmann-Kirchner einen Ort geschaffen, der diesen Trends entgegenwirkt: die Brillenmodelei. Seit 2020 betreibt die Augenoptikermeisterin ihr Geschäft, in dem sie alten Brillen neues Leben einhaucht. Ihr Konzept basiert auf der Überzeugung, dass Qualität und Individualität über Massenware stehen. Kunden können ihre Lieblingsbrillen, sei es ein Erbstück oder ein Flohmarktfund, zur Aufarbeitung bringen. Mit viel Liebe zum Detail werden diese Brillen restauriert, umgestaltet oder repariert, sodass sie wieder in neuem Glanz erstrahlen. Dabei legt Hoffmann-Kirchner großen Wert auf die Verwendung nachhaltiger und ressourcenschonender Materialien.
Die Entstehung der Brillenmodelei: Von der Idee zur Umsetzung
Die Idee zur Brillenmodelei entstand während Hoffmann-Kirchners Meisterausbildung. Mit dem Wunsch, traditionelle Handwerkskunst mit modernen Ansprüchen an Nachhaltigkeit zu verbinden, legte sie den Grundstein für ihr eigenes Unternehmen. Unterstützt von ihrem Ehemann Malte Kirchner, der ebenfalls im Geschäft tätig ist, eröffnete sie die Brillenmodelei in der Gießerstraße 3 in Leipzig. Das Geschäft zeichnet sich durch eine gemütliche Atmosphäre aus, in der sich Kunden wohlfühlen und individuell beraten werden. Neben der Aufarbeitung von Brillen bietet die Brillenmodelei auch Gesundheitschecks und Screenings für Erwachsene und Kinder an, bei denen mit neuester Messtechnik die Augen vermessen und überprüft werden.
Erfolgreiche Projekte und Auszeichnungen
Die innovative Geschäftsidee und das Engagement für Nachhaltigkeit blieben nicht unbemerkt. 2024 wurde Jana Hoffmann-Kirchner mit dem Sächsischen Gründerinnenpreis in der Kategorie Nachhaltigkeit ausgezeichnet. Die Jury lobte insbesondere ihren Ansatz, vermeintlich ausgediente Brillen nicht als Wegwerfprodukte zu betrachten, sondern sie komplett zu recyceln und zu reparieren. Dadurch rückt das ursprüngliche Handwerk der Augenoptikerin wieder stärker in den Fokus.
Ein weiteres bemerkenswertes Projekt der Brillenmodelei ist „Brille sucht Nase“.
Ein weiteres bemerkenswertes Projekt der Brillenmodelei ist „Brille sucht Nase“, das Jana Hoffmann-Kirchner ins Leben gerufen hat. Dieses soziale Engagement spiegelt nicht nur ihre Werte von Nachhaltigkeit wider, sondern auch ihre tiefe Überzeugung, dass jeder Mensch Zugang zu grundlegenden Bedürfnissen wie gutem Sehen haben sollte.
Das Projekt begann 2021, als Hoffmann-Kirchner und ihr Team bemerkten, dass viele Brillen, die ihnen zur Reparatur oder Entsorgung überlassen wurden, noch gut erhalten waren. Statt diese Brillen wegzuwerfen, entwickelten sie die Idee, sie Menschen zur Verfügung zu stellen, die sich keine eigene leisten können. Damit entstand „Brille sucht Nase“, ein Angebot speziell für obdach- und wohnungslose Menschen, die oft keinen Zugang zu bezahlbaren augenoptischen Dienstleistungen haben.
Der Prozess beginnt mit der Sammlung gespendeter Brillen, die sowohl von Kunden der Brillenmodelei als auch von anderen Unterstützern bereitgestellt werden. Jede Brille wird sorgfältig geprüft, gereinigt und gegebenenfalls repariert. Anschließend vermisst Hoffmann-Kirchner zusammen mit ihrem Team in der Werkstatt die Gläser, um sicherzustellen, dass diese Brillen den individuellen Sehanforderungen entsprechen.
Ein wesentlicher Bestandteil des Projekts ist die direkte Unterstützung vor Ort. Zweimal im Monat besuchen Hoffmann-Kirchner und ihre Mitarbeiter Notunterkünfte, Suppenküchen und soziale Einrichtungen in Leipzig und der Umgebung. Dabei wird nicht nur die passende Brille für jeden ausgewählt, sondern auch ein kostenloser Sehtest durchgeführt. Das Team bringt dabei nicht nur ihre Fachkenntnis ein, sondern nimmt sich auch Zeit, auf die individuellen Bedürfnisse der Menschen einzugehen. Viele Betroffene berichten, dass sie zum ersten Mal nach Jahren wieder klar sehen können – ein Moment, der oft von großer emotionaler Bedeutung ist.
Ein besonders bewegendes Beispiel ist die Geschichte eines 54-jährigen Mannes, der seit Jahren auf der Straße lebt und keine Möglichkeit hatte, sich eine neue Brille zu leisten, nachdem seine alte zerbrochen war. Nach einem Besuch von „Brille sucht Nase“ erhielt er eine passende Brille, die nicht nur seine Sehkraft wiederherstellte, sondern ihm auch half, selbstbewusster aufzutreten und neue Möglichkeiten zu erschließen. „Ich kann endlich wieder Zeitung lesen und sehe die Gesichter der Menschen klar. Es fühlt sich an, als hätte ich ein Stück Würde zurückgewonnen“, erzählte er dem Team.
Das Projekt hat nicht nur einen unmittelbaren praktischen Nutzen, sondern setzt auch ein wichtiges Zeichen für soziale Verantwortung in der Branche. Jana Hoffmann-Kirchner und ihr Team zeigen, dass nachhaltiges Handeln und soziales Engagement keine Gegensätze sein müssen, sondern sich gegenseitig ergänzen können. Die Resonanz aus der Community ist überwältigend, und viele Menschen spenden mittlerweile bewusst ihre alten Brillen, weil sie wissen, dass diese ein zweites Leben erhalten und gleichzeitig Menschen in Not unterstützen.
„Brille sucht Nase“ ist mehr als nur ein Projekt zur Unterstützung Bedürftiger – es ist ein Ausdruck dessen, wie gesellschaftliches Engagement im Kleinen beginnen und große Auswirkungen haben kann. Jana Hoffmann-Kirchner hat damit eine Brücke geschlagen zwischen ihrer beruflichen Expertise und ihrer Überzeugung, dass jeder Mensch ein Anrecht auf gutes Sehen und Lebensqualität hat. Dieses Engagement macht die Brillenmodelei nicht nur zu einem Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit, sondern auch zu einem Ort, der echte soziale Veränderungen bewirkt.
Herausforderungen und Ausblick
Trotz der Erfolge steht die Brillenmodelei vor Herausforderungen. Die Sensibilisierung der Verbraucher für die Bedeutung nachhaltiger Produkte und die Überzeugung, dass Qualität und Individualität über Massenware stehen, erfordern kontinuierliche Anstrengungen. Doch die positive Resonanz der Kunden und die Anerkennung durch Auszeichnungen zeigen, dass der eingeschlagene Weg der richtige ist. Mit ihrem Engagement und ihrer Leidenschaft für das Handwerk setzt Jana Hoffmann-Kirchner ein Zeichen für Nachhaltigkeit und Individualität in der Augenoptik.
Quellenangaben
- Gründerinnenpreis Sachsen. (2024). Jana Hoffmann-Kirchner Preisträgerinnen 2024. Abgerufen von https://www.gruenderinnenpreis.sachsen.de/preistraegerinnen-2024-4490.html
- Die Brillenmodelei. (o.D.). Startseite. Abgerufen von https://www.diebrillenmodelei.de/
- MDR Sachsen. (2024). Nachhaltige Brillen: Optikermeisterin Jana Hoffmann-Kirchner mit Gründerinnenpreis ausgezeichnet. Abgerufen von https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/leipzig/leipzig-leipzig-land/brille-recyceln-jana-hoffmann-kirchner-100.html
- Medienservice Sachsen. (2024). Forensik, Lebensmittelherstellung und Gesundheitshandwerk – Sächsischer Gründerinnenpreis 2024 vergeben. Abgerufen von https://www.medienservice.sachsen.de/medien/news/1079904
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