Das Missing Maps Projekt: Die Welt kartieren, um Leben zu retten:

Das unsichtbare Problem: Wenn Karten fehlen

Karten sind essenziell für unser modernes Leben. Wir nutzen sie, um die nächste Bushaltestelle zu finden, Urlaubsrouten zu planen oder um nach dem kürzesten Weg zum Krankenhaus zu suchen. Doch für viele Menschen in den gefährdetsten Regionen der Welt fehlt diese scheinbar einfache Ressource. Sie leben in Gebieten, die nicht auf Karten verzeichnet sind. Das Missing Maps Projekt macht auf dieses Problem aufmerksam und bietet eine innovative Lösung, um diese unsichtbaren Regionen sichtbar zu machen.

Die Folgen dieses Kartierungsdefizits sind gravierend. In Krisensituationen wie Naturkatastrophen, Epidemien oder Konflikten fehlen den Helfenden grundlegende Informationen. Rettungskräfte wissen nicht, wo Straßen verlaufen, wie viele Menschen in einem Dorf leben oder wo die nächste Klinik liegt. Besonders stark trifft dies ländliche oder dicht besiedelte einkommensschwache Gebiete, in denen staatliche Infrastruktur ohnehin schwach ist. Für diese Regionen bedeuten fehlende Karten, dass sie unsichtbar bleiben – sowohl für Helfer als auch für langfristige Entwicklungsmaßnahmen. Die Katastrophe beginnt also oft schon vor dem eigentlichen Ereignis.

Ein Beispiel ist der Zyklon Idai, der 2019 große Teile Mosambiks zerstörte. In vielen Gebieten hatte niemand dokumentiert, welche Gemeinden besonders gefährdet waren, wo Straßen passierbar oder unpassierbar waren und welche Gebäude genutzt werden konnten. Erst durch nachträgliche Kartierungsarbeiten, wie sie das Missing Maps Projekt organisiert, wurden die notwendigen Informationen zugänglich gemacht – zu spät für viele Betroffene.

Eine visionäre Lösung: Das Missing Maps Projekt

Das 2014 ins Leben gerufene Missing Maps Projekt setzt genau an diesem Punkt an. Gegründet von der Amerikanischen und Britischen Rotkreuzgesellschaft, Ärzte ohne Grenzen (Médecins Sans Frontières, MSF) und dem Humanitarian OpenStreetMap Team (HOT), verfolgt das Projekt eine klare Mission: Gefährdete Regionen der Welt präventiv zu kartieren, um Leben zu retten.

Die Idee entstand aus der Einsicht, dass präzise Karten eine der effektivsten Möglichkeiten sind, um auf Krisen besser vorbereitet zu sein. Fehlende Karten behindern nicht nur die akute Nothilfe, sondern auch die langfristige Planung von Infrastrukturprojekten, Gesundheitsmaßnahmen und Katastrophenvorsorge.

Das Missing Maps Projekt basiert auf einer kollaborativen Methodik mit drei klar definierten Schritten:

  1. Digitale Kartierung durch Freiwillige: Freiwillige aus aller Welt – sogenannte „Armchair Mappers“ – nutzen Satellitenbilder, um Basisdaten wie Straßen, Gebäude, Flüsse und andere geografische Merkmale in die OpenStreetMap-Datenbank einzutragen. OpenStreetMap ist eine freie, offene Plattform, die von einer globalen Community gepflegt wird.

  2. Datenvalidierung vor Ort: Lokale Teams und Community-Mitglieder verfeinern die Karten durch direkte Beobachtung und Datensammlung. Sie identifizieren spezifische Gebäudetypen (z. B. Schulen, Märkte, Krankenhäuser), markieren unpassierbare Straßen oder Flussübergänge und bringen lokale Namen und Details ein. Dieser Schritt umfasst oft Schulungen, bei denen die Gemeinden den Umgang mit digitalen Tools lernen.

  3. Nutzung der Daten durch Hilfsorganisationen: Die erstellten Karten dienen als Grundlage für Einsätze von Hilfsorganisationen. Sie helfen bei der Planung von Evakuierungen, der Verteilung von Hilfsgütern oder bei langfristigen Entwicklungsprojekten, wie dem Bau von Gesundheitsstationen oder der Verbesserung der Wasserversorgung.

Die Gründer und ihre Vision

Die Gründung des Missing Maps Projekts vereint die Expertise mehrerer angesehener Organisationen. Ärzte ohne Grenzen bringt ihre jahrzehntelange Erfahrung in humanitären Krisen ein, während das Rote Kreuz weltweit auf die Katastrophenvorsorge spezialisiert ist. Ergänzt wird das Team durch das Humanitarian OpenStreetMap Team, eine NGO, die sich auf die Bereitstellung offener geografischer Daten konzentriert. Gemeinsam erkannten sie das Potenzial, Technologie mit Community-Arbeit zu verbinden.

Die Organisation ist als gemeinnütziges Netzwerk aufgestellt und finanziert sich durch Spenden und Partnerschaften. Neben den Gründungsorganisationen sind mittlerweile viele weitere NGOs, Universitäten und Unternehmen beteiligt. Besonders bemerkenswert ist, wie breit die Unterstützung ausfällt: Vom Schulkind, das im Geografieunterricht Karten erstellt, bis hin zu multinationalen Konzernen, die ganze Teams zur Mitarbeit mobilisieren.

Realisierte Projekte: Wie Karten Leben verändern

Das Missing Maps Projekt hat bereits bemerkenswerte Ergebnisse erzielt. Ein beeindruckendes Beispiel ist Bangladesch, eines der am stärksten von Überschwemmungen betroffenen Länder der Welt. Hier kartierten Freiwillige und lokale Gemeinschaften Dörfer entlang des Brahmaputra-Flusses. Die so gewonnenen Daten halfen nicht nur bei Evakuierungen während der Monsunzeit, sondern ermöglichten auch präventive Maßnahmen wie den Bau von Dämmen und sicheren Unterkünften.

In Ruanda, einem Land, das sich nach einem verheerenden Bürgerkrieg im Wiederaufbau befindet, unterstützte das Missing Maps Projekt die Planung von Gesundheitszentren. Lokale Teams kartierten abgelegene Gebiete, in denen es kaum Zugang zu medizinischer Versorgung gab. Diese Karten ermöglichten es, mobile Kliniken strategisch zu positionieren und so die Gesundheitsversorgung für Tausende von Menschen zu verbessern.

Auch in Haiti, das nach dem Erdbeben 2010 international im Fokus stand, war das Missing Maps Projekt aktiv. Die Kartierung von zerstörten Stadtteilen in Port-au-Prince half bei der Koordinierung des Wiederaufbaus. Ein Beispiel: Die genaue Verortung von Wasserquellen und Sanitäranlagen reduzierte das Risiko von Cholera-Ausbrüchen.

Ein globales Netzwerk für lokale Lösungen

Die Stärke des Missing Maps Projekts liegt in seiner globalen Reichweite und der Einbindung lokaler Expertise. Menschen auf der ganzen Welt können sich einbringen – sei es durch digitale Kartierungsarbeit von zu Hause aus oder durch aktive Mitarbeit vor Ort. Unternehmen nutzen das Projekt für Corporate-Social-Responsibility-Initiativen, Universitäten integrieren es in ihre Studiengänge, und Einzelpersonen finden eine Möglichkeit, mit minimalem Aufwand einen maximalen Beitrag zu leisten.

Diese globale Vernetzung ist auch der Grund für den Erfolg: Bis heute wurden Karten für Gebiete erstellt, in denen insgesamt über 20 Millionen Menschen leben. Und das Missing Maps Projekt wächst weiter. Jedes neue Gebiet, das kartiert wird, macht die Welt ein Stück sicherer und gerechter.

Blick in die Zukunft: Jede Gemeinde auf der Karte

Die Vision des Missing Maps Projekts ist ehrgeizig: Eine Welt, in der jede Gemeinde – egal wie klein oder abgelegen – auf der Karte sichtbar ist. Dabei spielt Technologie eine entscheidende Rolle. Künstliche Intelligenz und automatisierte Kartierungsprozesse könnten in Zukunft helfen, die Basisarbeit zu beschleunigen. Gleichzeitig bleibt der menschliche Faktor unverzichtbar, um lokale Details zu validieren und Gemeinschaften aktiv einzubinden.

Das Missing Maps Projekt zeigt eindrucksvoll, wie technologische Innovation, globale Zusammenarbeit und lokales Engagement kombiniert werden können, um konkrete, lebensrettende Ergebnisse zu erzielen.

Quellen

  1. Missing Maps: https://www.missingmaps.org

  2. OpenStreetMap: https://www.openstreetmap.org

  3. American Red Cross: https://www.redcross.org

  4. Médecins Sans Frontières: https://www.msf.org

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