Mikroalgen statt Fisch? Wie das Fraunhofer-Institut eine Lösung für die Überfischung entwickelt

Die Weltmeere stehen unter Druck. Überfischung, Umweltverschmutzung und der Klimawandel setzen den maritimen Ökosystemen massiv zu. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) sind über ein Drittel der weltweiten Fischbestände überfischt. Zugleich wächst die Nachfrage nach Fisch und Meeresfrüchten durch den steigenden globalen Konsum. Fisch ist nicht nur eine wichtige Proteinquelle, sondern liefert essenzielle Omega-3-Fettsäuren, die für eine gesunde Ernährung unerlässlich sind. Doch wie kann diese Nachfrage nachhaltig gedeckt werden?

Eine vielversprechende Antwort kommt aus der Biotechnologie: Mikroalgen. Das Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB) in Stuttgart entwickelt innovative Technologien, um Mikroalgen als Alternative zu Fisch zu etablieren. In diesem Artikel beleuchten wir, wie die Forschung am IGB genau aussieht, warum Mikroalgen so vielversprechend sind und welche Fortschritte bereits erzielt wurden.

Warum Mikroalgen?

Mikroalgen sind mikroskopisch kleine Wasserorganismen, die zu den ältesten Lebewesen auf der Erde gehören. Sie spielen eine entscheidende Rolle im marinen Ökosystem, da sie am Anfang der Nahrungskette stehen. Viele Fische, insbesondere die fettreichen Arten wie Lachs oder Makrele, beziehen ihre wertvollen Omega-3-Fettsäuren aus Algen. Die Idee der Forscher: Warum den Umweg über den Fisch gehen? Die essenziellen Nährstoffe könnten direkt vom Menschen konsumiert werden.

Neben Omega-3-Fettsäuren enthalten Mikroalgen auch hohe Mengen an Proteinen, Vitaminen und Mineralstoffen. Zudem wachsen sie schnell, benötigen keine landwirtschaftlichen Flächen und können in geschlossenen Systemen wie Photobioreaktoren kultiviert werden. Diese Faktoren machen sie zu einer umweltfreundlichen und ressourcenschonenden Nahrungsquelle.

Mikroalgen statt Fisch? Das Fraunhofer-Institut IGB: Forschung am Puls der Zeit

Das Fraunhofer-Institut IGB ist Teil der Fraunhofer-Gesellschaft, Europas führender Organisation für angewandte Forschung. Das IGB konzentriert sich auf Biotechnologie, Umwelttechnik und Materialwissenschaften. Seit Jahren gehört die Algenbiotechnologie zu den zentralen Forschungsbereichen des Instituts.

Am Standort Stuttgart arbeitet ein interdisziplinäres Team aus Biologen, Chemikern und Ingenieuren daran, die Potenziale von Mikroalgen nutzbar zu machen. Dabei geht es nicht nur um die Kultivierung der Algen, sondern auch um die Entwicklung von Technologien, die eine effiziente und nachhaltige Produktion ermöglichen.

Ein besonderer Fokus liegt auf der Mikroalge Phaeodactylum tricornutum. Diese Art ist besonders reich an EPA (Eicosapentaensäure), einer langkettigen Omega-3-Fettsäure, die sonst vor allem in fettem Seefisch vorkommt.

Innovative Technologien: Photobioreaktoren

Ein zentrales Element der Forschung sind die am Fraunhofer IGB entwickelten Photobioreaktoren. Diese geschlossenen Systeme bieten optimale Bedingungen für das Wachstum von Mikroalgen. Sie bestehen aus transparenten Röhren oder Platten, in denen die Algenkulturen kontinuierlich mit Licht, Kohlendioxid und Nährstoffen versorgt werden.

Die Vorteile dieser Technologie liegen auf der Hand:

  • Kontrollierte Bedingungen: Die geschlossenen Systeme schützen die Algen vor Verunreinigungen und ermöglichen eine präzise Steuerung von Wachstumsfaktoren.
  • Hohe Produktivität: Durch die effiziente Nutzung von Licht und CO₂ wachsen die Algen schneller als in offenen Systemen.
  • Nachhaltigkeit: Die Reaktoren können auch in urbanen Umgebungen eingesetzt werden, wodurch sie keine landwirtschaftlichen Flächen beanspruchen.

Die Flachplatten-Airlift-Reaktoren, die am Fraunhofer IGB entwickelt wurden, gelten als besonders innovativ. Sie kombinieren eine hohe Lichtausbeute mit einer schonenden Durchmischung der Kulturen. Dies führt nicht nur zu einer höheren Produktivität, sondern auch zu einer besseren Qualität der Algenbiomasse.

Geschmackliche Herausforderungen und Lösungen

Ein Problem bei der Nutzung von Mikroalgen statt Fisch als Lebensmittel ist ihr intensiver Geruch und Geschmack. Viele Algen enthalten Verbindungen wie Trimethylamin, die für einen fischigen Geruch verantwortlich sind. Am Fraunhofer IGB arbeitet man an Methoden, um diese unerwünschten Aromen zu reduzieren.

Eine vielversprechende Lösung ist die Fermentation der Algen mit Speisepilzen. Dieser Prozess baut unerwünschte Geschmacksstoffe ab, ohne die wertvollen Inhaltsstoffe der Algen zu beeinträchtigen. Zudem werden die Algen in verschiedenen Rezepturen getestet, um geschmacklich ansprechende Produkte zu entwickeln. In einer Verkostungsstudie konnten beispielsweise Tortelloni mit Mikroalgenfüllung überzeugen.

Vom Labor zum Markt: Die nächsten Schritte

Das Ziel des Fraunhofer IGB ist es, marktreife Produkte zu entwickeln, die sowohl geschmacklich überzeugen als auch einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten. Neben Tortelloni experimentieren die Forscher mit weiteren Anwendungen, darunter Algenburger und vegane Fischstäbchen. Diese Produkte sollen nicht nur die Umwelt entlasten, sondern auch gesundheitsbewusste Verbraucher ansprechen.

Um die Technologie weiter voranzutreiben, kooperiert das Fraunhofer IGB mit Unternehmen und anderen Forschungseinrichtungen. Eine enge Zusammenarbeit besteht beispielsweise mit der Universität Hohenheim, die weitere Expertise im Bereich der Lebensmitteltechnologie einbringt.

Erfolgreiche Projekte und Visionen

Die bisherigen Erfolge des Fraunhofer IGB zeigen, dass Mikroalgen eine realistische Alternative zu Fisch sein können. Langfristig könnten Algenprodukte nicht nur auf dem Lebensmittelmarkt, sondern auch in der Tierfutter- und Pharmaindustrie eine wichtige Rolle spielen.

Ein konkretes Beispiel für die praktische Umsetzung ist das EU-Projekt „ProFuture“, an dem das Fraunhofer IGB beteiligt ist. Ziel dieses Projekts ist es, die Akzeptanz von Mikroalgen als Lebensmittel zu steigern und innovative Produktionsmethoden zu entwickeln.

Fazit

Die Forschung des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik zeigt, dass Mikroalgen eine vielversprechende Lösung für die Herausforderungen der Überfischung bieten. Mit innovativen Technologien und interdisziplinärer Zusammenarbeit schaffen die Wissenschaftler die Grundlage für nachhaltige und gesunde Alternativen zu Fischprodukten. In den kommenden Jahren könnte sich diese Forschung nicht nur auf unsere Ernährung, sondern auch auf den Schutz der marinen Ökosysteme nachhaltig auswirken.

Quellenangaben

 

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