Mobilität für alle: Wie Carsharing-Projekte Einkommensschwachen neue Chancen eröffnen

Mobilität – eine soziale Frage

Ein eigenes Auto ist für viele Menschen in Deutschland der Schlüssel zu beruflichem Erfolg, gesellschaftlicher Teilhabe und persönlicher Freiheit. Doch nicht alle können sich dieses „Ticket zur Mobilität“ leisten. Besonders einkommensschwache Haushalte stehen vor einem Dilemma: Die Kosten für ein eigenes Fahrzeug – Anschaffung, Versicherung, Steuer und Kraftstoff – übersteigen oft die finanziellen Möglichkeiten. Gleichzeitig ist die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr in vielen ländlichen oder strukturschwachen Regionen unzureichend.

Die Konsequenz ist eine Mobilitätslücke, die soziale und wirtschaftliche Benachteiligung verstärkt. Menschen können Arbeitsstellen nicht antreten, Weiterbildungsmöglichkeiten bleiben unerreichbar, und die Teilnahme am sozialen Leben wird erschwert. Dieser Teufelskreis aus Armut und fehlender Mobilität ist eine Herausforderung, der sich innovative Projekte und Organisationen zunehmend widmen.

Das Pilotprojekt: Carsharing für Einkommensschwache

Ein wegweisender Ansatz, um die Mobilitätslücke zu schließen, ist das Pilotprojekt für vergünstigtes Carsharing, das von der gemeinnützigen Organisation Mobile Inclusive gGmbH in Baden-Württemberg ins Leben gerufen wurde. Das Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, einkommensschwachen Menschen den Zugang zu Carsharing-Diensten zu ermöglichen – und das zu Preisen, die speziell an ihre finanziellen Möglichkeiten angepasst sind.

Die Initiative wird durch Partnerschaften mit Kommunen, sozialen Einrichtungen und Unternehmen unterstützt. Automobilhersteller wie Audi stellen Elektrofahrzeuge bereit, während Fördergelder von Stiftungen und dem Verkehrsministerium die Umsetzung sichern. Das Projekt begann 2023 mit einer kleinen Flotte von zehn Fahrzeugen in ländlichen Gemeinden und wächst seitdem stetig (Audi-Mediacenter, 2023).

Die Gründer und ihre Vision

Die Gründer von Mobile Inclusive sind ein Team aus Sozialwissenschaftlern, Verkehrsexperten und Ökologen, die von der Überzeugung angetrieben werden, dass Mobilität ein Grundrecht sein sollte. Ihre gemeinnützige GmbH, die als Sozialunternehmen strukturiert ist, beschäftigt derzeit 15 Mitarbeiter und hat ihren Sitz in Stuttgart. Neben der operativen Umsetzung des Projekts betreibt die Organisation Forschung zu den sozialen und ökologischen Effekten von Carsharing.

„Wir wollen Mobilität dort möglich machen, wo sie am dringendsten gebraucht wird – und dabei nachhaltig handeln“, erklärt Mitbegründerin Dr. Lara Köhler.

Wie funktioniert das Modell?

Das Carsharing-Modell von Mobile Inclusive unterscheidet sich grundlegend von kommerziellen Anbietern. Teilnehmer des Programms werden über soziale Träger und kommunale Einrichtungen ausgewählt. Dazu zählen Menschen, die Transferleistungen beziehen, Geringverdiener oder Familien mit mehreren Kindern. Die Kosten für die Nutzung eines Fahrzeugs sind um bis zu 70 Prozent günstiger als bei regulären Carsharing-Anbietern. Ein Beispiel: Für eine Stunde Fahrzeit zahlen Teilnehmer des Projekts durchschnittlich nur 2 Euro (Audi-Mediacenter, 2023).

Die Fahrzeuge stehen an zentralen Standorten wie Gemeindezentren, Bahnhöfen oder sozialen Einrichtungen bereit. Die Buchung erfolgt unkompliziert per App oder telefonisch. Für Menschen ohne Smartphone wurde ein System mit Chipkarten eingeführt, die eine kontaktlose Nutzung ermöglichen.

Nachhaltigkeit als Kernprinzip

Alle Fahrzeuge des Projekts sind Elektroautos, die mit Ökostrom betrieben werden. Dies reduziert nicht nur die Betriebskosten, sondern trägt auch zur Verringerung der CO₂-Emissionen bei. Der nachhaltige Ansatz spiegelt sich auch in der Infrastruktur wider: Mobile Inclusive hat in Kooperation mit Energieversorgern Ladepunkte in ländlichen Regionen errichtet (Audi-Mediacenter, 2023).

Gemeinnützige Vorreiter: Weitere Anbieter

Neben Mobile Inclusive engagieren sich auch andere Organisationen, um Carsharing für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen zugänglich zu machen. Ein Blick auf ähnliche Projekte zeigt die Vielfalt der Ansätze:

Cambio Carsharing

Die Genossenschaft Cambio bietet in mehreren deutschen Städten sozialverträgliche Carsharing-Tarife an. In Kooperation mit Wohlfahrtsverbänden können Sozialticket-Inhaber reduzierte Nutzungskosten in Anspruch nehmen. Cambio verfolgt ebenfalls eine ökologische Strategie, indem sie ihre Flotte schrittweise auf Elektroautos umstellt (Cambio, 2023).

Stadtmobil Rhein-Neckar

Das gemeinnützige Unternehmen Stadtmobil Rhein-Neckar betreibt eine der größten Carsharing-Flotten in Deutschland und bietet einkommensabhängige Tarife an. Besonders in Heidelberg und Mannheim wurde das Modell gezielt auf einkommensschwache Nutzer ausgerichtet. Dank Kooperationen mit dem Jobcenter können sogar kostenlose Testphasen ermöglicht werden (Stadtmobil, 2023).

Quartiersauto Köln

Das Projekt Quartiersauto Köln verfolgt einen nachbarschaftlichen Ansatz. In sozial schwächeren Vierteln wurden Fahrzeuge stationiert, die von Anwohnern gemeinschaftlich genutzt werden können. Unterstützt von der Stadt Köln und sozialen Trägern, ist das Projekt ein Beispiel für erfolgreichen kommunalen Zusammenhalt (Quartiersauto Köln, 2023).

Erfolgsbeispiele aus der Praxis

Von der Arbeitslosigkeit zur Festanstellung

Ein beeindruckendes Beispiel für die Wirkung von vergünstigtem Carsharing ist die Geschichte von Thomas M., einem 45-jährigen Alleinerziehenden aus Heilbronn. Dank der flexiblen Nutzung eines Elektroautos konnte er Vorstellungsgespräche in verschiedenen Städten wahrnehmen und schließlich eine Festanstellung in der Logistikbranche antreten. „Ohne das Carsharing-Angebot hätte ich mir die Reisekosten nicht leisten können“, berichtet Thomas (Mobile Inclusive, 2023).

Mobilität für ältere Menschen

Auch Senioren profitieren von den Projekten. In einer Gemeinde bei Tübingen nutzt eine Gruppe älterer Menschen gemeinsam ein Fahrzeug, um Arzttermine wahrzunehmen oder Einkäufe zu erledigen. „Für uns ist das eine riesige Erleichterung“, sagt Ursula H., eine 78-jährige Rentnerin. Die Organisation hat für diese Zielgruppe spezielle Schulungen angeboten, um die Nutzung der App und der Fahrzeuge zu erleichtern (Mobile Inclusive, 2023).

Herausforderungen und Zukunftsperspektiven

Trotz des Erfolgs stehen die Projekte vor Herausforderungen. Der Aufbau und die Wartung der Infrastruktur sind kostenintensiv, und die Förderung durch öffentliche Gelder ist oft zeitlich begrenzt. Zudem muss die Akzeptanz in der Zielgruppe weiter gesteigert werden, insbesondere bei Menschen, die bislang wenig Berührungspunkte mit Carsharing hatten.

Dennoch zeigen die bisherigen Erfahrungen, dass gemeinnütziges Carsharing eine große Wirkung entfalten kann – sowohl für die Nutzer als auch für die Umwelt. Die Vision der Gründer ist es, das Modell deutschlandweit zu etablieren und langfristig in den sozialen und ökologischen Wandel des Mobilitätssektors zu integrieren.

Quellenangaben

Audi-Mediacenter (2023) Audi unterstützt E-Carsharing-Projekt im ländlichen Raum. Verfügbar unter: https://www.audi-mediacenter.com/de/pressemitteilungen/audi-unterstuetzt-e-carsharing-projekt-im-laendlichen-raum-15458/download (Zugriff: 16. November 2024).

Cambio (2023) Cambio Carsharing – Mobilität für alle. Verfügbar unter: https://www.cambio-carsharing.de/ (Zugriff: 16. November 2024).

Stadtmobil Rhein-Neckar (2023) Carsharing-Angebote für sozial Schwächere. Verfügbar unter: https://www.stadtmobil.de/ (Zugriff: 16. November 2024).

Quartiersauto Köln (2023) Quartiersauto in der Nachbarschaft. Verfügbar unter: https://quartiersauto.koeln/ (Zugriff: 16. November 2024).

 

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