Innovation auf Schienen: Wie Solarzellen zwischen Gleisen die Schweizer Energiewende antreiben

Die Schweiz, weltweit bekannt für ihre gut vernetzten Bahnsysteme und das Engagement für Nachhaltigkeit, steht vor einer neuen Herausforderung: die energiehungrige Infrastruktur des öffentlichen Verkehrs umweltfreundlicher zu gestalten. Ein ambitioniertes Pilotprojekt könnte hier Abhilfe schaffen. Die Installation von Solarzellen zwischen Bahngleisen, ein weltweit einzigartiger Ansatz, bietet das Potenzial, bis zu 30 % des Strombedarfs des öffentlichen Verkehrs in der Schweiz zu decken. Was steckt hinter dieser Idee, wer treibt sie voran, und was sind die Herausforderungen? Ein genauer Blick auf das Projekt Sun-Ways und die Zukunft der Energieversorgung im öffentlichen Verkehr.

Der steigende Energiebedarf des öffentlichen Verkehrs

Die Schweiz gilt als Pionierin des öffentlichen Verkehrs, und die Zahlen sprechen für sich: 20 % der gesamten Verkehrsmittelwahl im Land entfallen auf Züge, Straßenbahnen und Busse – ein Rekordwert in Europa. Doch diese beeindruckende Bilanz ist nicht ohne Herausforderungen: Der Betrieb der Verkehrsinfrastruktur ist extrem energieintensiv. Jährlich verbraucht der öffentliche Verkehr in der Schweiz etwa 3 Terawattstunden (TWh) Strom, was knapp 5 % des gesamten nationalen Stromverbrauchs ausmacht. Mit der zunehmenden Elektrifizierung des Verkehrs steigen die Anforderungen weiter. Der Übergang zu CO₂-neutralen Lösungen erfordert eine zusätzliche Strommenge von rund 0,5 TWh jährlich. Gleichzeitig steht die Schweiz vor dem Problem der Flächenknappheit: Neue Anlagen zur Energieerzeugung zu bauen, wird durch die begrenzten geografischen Gegebenheiten erschwert. Dies machte unkonventionelle Ansätze wie die Nutzung bestehender Infrastrukturen notwendig – eine Herausforderung, der sich das Unternehmen Sun-Ways verschrieben hat.

Eine Vision wird Realität: Das Konzept von Sun-Ways

Die Idee, Solarzellen auf Bahngleisen zu installieren, entstand 2019 im Kopf des Ingenieurs Baptiste Danichert. Inspiriert von den Niederlanden, die bereits 2015 erste Solaranlagen auf Fahrradwegen installierten, und den erfolgreichen Projekten zur Nutzung von Bahndächern für Solarenergie, stellte sich Danichert die Frage: Warum nicht auch die ungenutzten Flächen zwischen den Schienen verwenden? Zusammen mit einem Team aus Ingenieuren und Fachleuten gründete er 2023 das Start-up Sun-Ways in Ecublens, einer Technologiemetropole nahe Lausanne. Das Unternehmen spezialisierte sich von Anfang an auf modulare und abnehmbare Photovoltaiksysteme, die speziell auf die Anforderungen von Bahninfrastrukturen zugeschnitten sind.

Die Technologie von Sun-Ways nutzt einen speziellen Mechanismus, der es ermöglicht, Solarmodule wie einen Teppich zwischen die Schienen zu rollen. Entwickelt wurde diese Technik in Zusammenarbeit mit der Scheuchzer AG, einem renommierten Schweizer Unternehmen für Bahninstandhaltung. Die Module bestehen aus langlebigen Materialien, die hohen Druckbelastungen und extremen Witterungsbedingungen standhalten können. Ein speziell modifizierter Zug verlegt die Module auf bis zu 1.000 Quadratmetern Schienen pro Tag. Dies ermöglicht eine schnelle Installation, ohne den Bahnbetrieb zu unterbrechen. Die Solarpanels können außerdem bei Wartungsarbeiten leicht entfernt und später wieder angebracht werden – ein entscheidender Vorteil gegenüber herkömmlichen festen Installationen.

Die erste Testphase: Ein Pilotprojekt nimmt Fahrt auf

Nach intensiven Tests und einer engen Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Verkehr (BAV) erhielt Sun-Ways im Oktober 2024 die Genehmigung für die erste Installation einer abnehmbaren Photovoltaik-Anlage auf Bahngleisen. Als Teststrecke wurde ein 100 Meter langer Abschnitt der Bahnlinie 221 im Kanton Neuenburg ausgewählt, betrieben von der regionalen Bahngesellschaft TransN. Die Installation ist für das Frühjahr 2025 geplant.

Die Pilotanlage wird eine Leistung von 18 Kilowatt (kWp) liefern – genug, um den Strombedarf von rund fünf Haushalten pro Jahr zu decken. Obwohl dies auf den ersten Blick klein erscheint, geht es bei diesem Projekt vor allem darum, die technische und wirtschaftliche Machbarkeit nachzuweisen. Sollte das Konzept erfolgreich sein, könnte es auf das gesamte Schweizer Schienennetz mit einer Länge von rund 7.000 Kilometern ausgeweitet werden. Schätzungen zufolge könnten so jährlich bis zu 1 Terawattstunde Strom produziert werden – das entspricht 30 % des Energiebedarfs des öffentlichen Verkehrs.

Potenziale und Herausforderungen

Die Vorteile des Projekts liegen auf der Hand. Die Nutzung der ohnehin vorhandenen Schienenflächen vermeidet zusätzlichen Landverbrauch, was gerade in einem dicht besiedelten Land wie der Schweiz von entscheidender Bedeutung ist. Gleichzeitig trägt die lokale Energieproduktion dazu bei, die Abhängigkeit von Importstrom zu reduzieren. Doch wie bei jedem innovativen Projekt gibt es auch Herausforderungen.

Die Module müssen so konstruiert sein, dass sie den Anforderungen eines stark frequentierten Schienennetzes standhalten, ohne den Zugverkehr zu beeinträchtigen. Bisherige Tests haben gezeigt, dass die Module robust genug sind, um Vibrationen und Temperaturschwankungen zu widerstehen. Dennoch bleibt abzuwarten, wie sich das System langfristig im Dauerbetrieb bewährt. Ein weiterer Knackpunkt ist die Einspeisung des erzeugten Stroms in das bestehende Netz. Hierzu sind intelligente Steuerungssysteme erforderlich, die die Energieflüsse in Echtzeit überwachen und anpassen können. Die hohen Anfangsinvestitionen für die Entwicklung und Installation der Technologie stellen ebenfalls eine Hürde dar. Sun-Ways hofft jedoch, durch Skaleneffekte und staatliche Förderprogramme die Kosten langfristig zu senken.

Inspiration und realisierte Erfolge

Das Konzept von Sun-Ways ist nicht das erste Projekt, das Solarenergie im Verkehrsbereich nutzbar macht. Die niederländische Bahn hat es bereits geschafft, 100 % ihres Strombedarfs aus Wind- und Solarenergie zu decken. Auch in Belgien werden Bahntunnel mit Solarmodulen ausgestattet, die den Betrieb von Zügen und Bahnhöfen mit Strom versorgen. Ein ähnliches Beispiel liefert das Projekt Solar Roadways in den USA, das Straßenbeläge aus Photovoltaik-Panels entwickelt hat. Obwohl diese Ansätze technisch komplex sind, zeigen sie, dass die Integration erneuerbarer Energien in die Verkehrsinfrastruktur möglich ist.

Fazit: Ein nachhaltiger Weg in die Zukunft

Die Solarzellen zwischen den Gleisen sind mehr als nur ein technisches Experiment – sie sind ein Symbol für den Innovationsgeist der Schweiz. Mit ihrem einzigartigen Ansatz zeigt Sun-Ways, dass selbst kleinste Flächen zur Lösung globaler Energieprobleme beitragen können. Sollte sich das Pilotprojekt bewähren, könnte es den Weg für eine neue Ära der nachhaltigen Mobilität ebnen – nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit.

Quellen

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