Eine Branche am Scheideweg
Die Bauindustrie ist weltweit einer der größten Treiber von Umweltschäden. Sie verursacht etwa 40 % der globalen CO₂-Emissionen und ist Hauptverursacher von Ressourcenverbrauch sowie Abfallproduktion. Der Druck, umweltfreundlichere Alternativen zu finden, ist so groß wie nie zuvor. Doch nachhaltige Baustoffe, beispielsweise Dämmplatten aus Schafwolle, Hanf oder Schilfgras, können sich nur schwer gegen ihre günstigen, aber weniger ökologischen Kunststoff-Pendants durchsetzen. Ein Startup aus München zeigt jedoch, dass Innovation und Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen können – mit Hopfen.
Vom Bier zum Bauen: Die Idee von HopfON
Es begann mit einer einfachen Frage: Warum wird so viel Hopfenabfall ungenutzt entsorgt? Marlene Stechl und Thomas Rojas Sonderegger, damals Studierende der Architektur und des Bauingenieurwesens an der Technischen Universität München (TUM), waren sich des großen Nachhaltigkeitsproblems der Bauindustrie bewusst. Während eines Seminars zur Materialökologie wurde das Duo auf die Möglichkeit aufmerksam, pflanzliche Abfälle für Bauzwecke zu nutzen. Die Idee war geboren: Hopfenreste, ein Nebenprodukt der Bierproduktion, als Rohstoff für nachhaltige Baumaterialien zu verwenden.
Die beiden fanden schnell Mitstreiter. Mauricio Fleischer Acuña, Betriebswirt und Experte für nachhaltige Unternehmensführung, sowie Matthias Steiger, Biochemiker und Materialforscher, komplettierten das Team. Gemeinsam gründeten sie im Jahr 2021 das Startup HopfON, mit dem Ziel, die weltweit vorhandenen Hopfenabfälle in regional produzierbare und vollständig recycelbare Baustoffe zu verwandeln.
Hopfen als Baustoff: Ein unterschätzter Rohstoff
Hopfen ist vor allem als Zutat für Bier bekannt. In der Hallertau, dem größten Hopfenanbaugebiet der Welt, werden jährlich tausende Tonnen Hopfen geerntet. Aber nur etwa 20 % der Pflanze – die sogenannten Dolden – finden ihren Weg in die Braukessel. Der Rest, bestehend aus Stängeln, Blättern und Schäben, gilt als Abfall und wird meist kompostiert oder verbrannt. Dabei bietet dieses Material Eigenschaften, die es für die Bauindustrie hochinteressant machen.
Hopfen als Baustoff ist leicht, stabil und verfügt über eine faserige Struktur, die ihn ideal für Dämmmaterialien, Schalldämmplatten und Baupaneele macht. Dank seiner natürlichen Resistenz gegen Schimmel und Ungeziefer könnte Hopfen zudem problematische chemische Zusatzstoffe in vielen Baustoffen ersetzen. Nicht zuletzt ist Hopfen in Bayern in großen Mengen verfügbar, was die CO₂-Emissionen durch lange Transportwege erheblich reduziert.
Von der Idee zum Produkt: Der Weg von HopfON
Das Startup begann zunächst mit kleinen Experimenten. In einer Werkstatt in München wurden Hopfenfasern mit unterschiedlichen Bindemitteln kombiniert, um die besten Materialeigenschaften zu erzielen. Schnell stellte sich heraus, dass die Reststoffe nicht nur als Füllstoff, sondern auch als tragender Bestandteil von Bauplatten verwendet werden konnten. Dies ebnete den Weg für die Entwicklung von Prototypen für Akustikpaneele und Dämmplatten.
Die Herausforderung lag jedoch nicht nur in der Materialentwicklung. Die Logistik war ein weiterer wichtiger Punkt. Hopfen wird nur einmal im Jahr geerntet, was eine sorgfältige Planung der Rohstofflagerung erforderte. Hinzu kam, dass die Hopfenreste oft stark mit Drähten oder Fremdstoffen durchsetzt sind, die während der Verarbeitung entfernt werden müssen. Gemeinsam mit Landwirten und lokalen Maschinenbauern entwickelte HopfON einen Prozess, der die Hopfenreste effizient reinigt und für die Weiterverarbeitung vorbereitet.
Ein erfolgreiches Startup mit Rückenwind
HopfON konnte mit seiner Idee Hopfen als Baustoff zu nutzen bereits renommierte Förderprogramme und Auszeichnungen gewinnen. 2022 erhielt das Team den mit 15.000 Euro dotierten TUM IDEAward, der besonders innovative und nachhaltige Gründungsideen prämiert. Ein Jahr später folgte der TUM Booster Grant, eine finanzielle Unterstützung über 45.000 Euro, die es dem Team ermöglichte, Prototypen herzustellen und die ersten Produktionsprozesse zu skalieren.
Neben diesen Auszeichnungen hat das Startup auch auf Messen und in der Baubranche für Aufmerksamkeit gesorgt. Erste Pilotprojekte wurden bereits umgesetzt: So stattete HopfON eine Schule in München mit schalldämmenden Akustikpaneelen aus Hopfen aus. Die Paneele erwiesen sich nicht nur als funktional, sondern auch als ästhetisch ansprechend – die natürliche Textur des Hopfens fügte sich perfekt in das nachhaltige Design der Schule ein.
Ein weiteres erfolgreiches Projekt war die Zusammenarbeit mit einem Münchner Architekturbüro, das Hopfenplatten für die Innenausstattung eines Co-Working-Spaces nutzte. Hier zeigte sich, dass die Hopfenmaterialien nicht nur umweltfreundlich, sondern auch wirtschaftlich konkurrenzfähig sein können.
Nachhaltigkeit in jeder Faser
Was HopfON von vielen anderen nachhaltigen Baustoffherstellern unterscheidet, ist der Fokus auf Kreislaufwirtschaft. Alle Produkte des Startups sind so konzipiert, dass sie am Ende ihrer Lebensdauer recycelt oder kompostiert werden können. Die verwendeten Bindemittel sind biologisch abbaubar, und auf synthetische Zusätze wird gänzlich verzichtet. Das macht die Baustoffe nicht nur umweltfreundlich, sondern reduziert auch die Entsorgungskosten für Bauherren.
Ein weiterer Vorteil liegt in der Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft. Indem HopfON die Reststoffe von Hopfenbauern abnimmt, schafft das Unternehmen zusätzliche Einnahmequellen für die Landwirte und fördert die Wertschöpfung in der Region.
Die Zukunft von HopfON
Das Team von HopfON hat große Pläne. Für 2024 ist der Markteintritt mit Akustikpaneelen geplant, gefolgt von weiteren Produkten wie Fassadendämmungen und tragenden Bauplatten. Langfristig möchte das Startup international expandieren, vor allem in Länder mit großen Hopfenanbaugebieten wie die USA und Tschechien.
Darüber hinaus arbeitet HopfON an Partnerschaften mit großen Bauunternehmen und Architekten, um die Materialien in möglichst viele Bauprojekte zu integrieren. Ziel ist es, eine ernsthafte Alternative zu herkömmlichen Baustoffen zu bieten und den Markt für nachhaltiges Bauen weiter voranzutreiben.
Hopfen als Baustoff: Ein Beispiel für Innovation und Nachhaltigkeit
HopfON zeigt, dass lokale Ressourcen, innovative Ideen und unternehmerisches Engagement eine Kombination sind, die globale Herausforderungen lösen kann. Indem sie Abfall in wertvolle Materialien verwandeln, trägt das Münchner Startup nicht nur zur Reduzierung von Umweltbelastungen bei, sondern schafft auch neue Perspektiven für die Landwirtschaft und Bauindustrie.
Quellen
- Technische Universität München. „Hopfen als kreislauffähiges Baumaterial.“ Verfügbar unter: https://www.tum.de/aktuelles/alle-meldungen/pressemitteilungen/details/hopfen-als-kreislauffaehiges-baumaterial
- Munich Startup. „HopfON: Hopfen als Baustoff. Von Hopfenresten zu Baumaterialien.“ Verfügbar unter: https://www.munich-startup.de/startups/hopfon/
- biooekonomie.de. „Hopfen als Baustoff – eine nachhaltige Alternative.“ Verfügbar unter: https://biooekonomie.de/nachrichten/kreislauffaehige-baustoffe-aus-hopfen
- BayIka. „Nachhaltige Baustoffe: Hopfen als Baustoff.“ Verfügbar unter: https://www.bayika.de/de/aktuelles/meldungen/2024-01-15_Hopfen-als-kreislauffaehiges-Baumaterial.php
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