Die Unsichtbarkeit und Diskriminierung queerer Migrant*innen
Die Realität vieler LSBTIQ*-Menschen (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*, Inter* und Queers) mit Migrationshintergrund in Deutschland ist häufig von Mehrfachdiskriminierung geprägt. Sie stehen vor Herausforderungen, die sowohl mit ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität als auch mit ihrem migrantischen Hintergrund zusammenhängen. Ein Beispiel: Wer als queere Person in einer konservativ geprägten Gemeinschaft aufwächst, stößt oft auf Ablehnung oder gar Ausschluss. Hinzu kommt der strukturelle Rassismus in der Mehrheitsgesellschaft, der den Zugang zu Ressourcen wie Arbeitsplätzen, Wohnraum oder Gesundheitsversorgung erschwert.
Viele queere Migrant*innen und Geflüchtete befinden sich dadurch in einer besonders verletzlichen Lage. Während einige Schutz in Deutschland suchen, erleben sie auch hier Isolation, weil sie weder vollständig in migrantischen Communities noch in den oft weiß dominierten queeren Szenen Deutschlands akzeptiert werden. Ein Raum, der diese Mehrfachzugehörigkeiten respektiert und fördert, war lange Zeit schlicht nicht vorhanden. Genau hier setzt der Kölner Verein SOFRA an.
SOFRA: Eine Vision wird zur Bewegung
Der Verein SOFRA – Queer Migrants e.V. wurde 2016 in Köln gegründet und hat seitdem eine beeindruckende Entwicklung genommen. Der Name „Sofra“, der im Arabischen „Esstisch“ bedeutet, symbolisiert einen Ort des Zusammenkommens, Austauschs und der Gemeinschaft. Die Gründerinnen hatten von Beginn an das Ziel, einen sicheren Raum für LSBTIQ-Geflüchtete und Migrant*innen zu schaffen, die aufgrund ihrer Mehrfachzugehörigkeiten oft marginalisiert werden.
Die Initiative wurde von einer Gruppe Aktivistinnen ins Leben gerufen, die selbst teils von den beschriebenen Herausforderungen betroffen waren. Unter ihnen sind queere Menschen mit Fluchterfahrung sowie migrantische LSBTIQ-Personen, die den Bedarf für eine Organisation wie SOFRA aus eigener Erfahrung kannten. Heute ist der Verein eine offiziell eingetragene gemeinnützige Organisation mit Sitz in Köln und gilt als die erste LSBTIQ*-spezifische migrantische Selbstorganisation in Nordrhein-Westfalen.
Empowerment durch Gemeinschaft
SOFRA bietet einen sogenannten „Empowerment Space“ an, der als sicherer Rückzugsort für Betroffene dient. Hier können Mitglieder ohne Angst vor Diskriminierung sie selbst sein, Erfahrungen teilen und sich gegenseitig stärken. Dieser Raum ist nicht nur symbolisch, sondern auch physisch bedeutend: Ob Gruppentreffen, Freizeitaktivitäten oder individuelle Beratungen – SOFRA stellt sicher, dass niemand allein ist.
Besonders die Vielfalt der Angebote zeichnet den Verein aus. Es gibt regelmäßige Treffen, bei denen queere Migrant*innen zusammen kochen, tanzen oder einfach nur plaudern. Gleichzeitig bietet SOFRA auch Workshops und Beratungen an, etwa zu Themen wie Coming-out, rechtlichen Fragen oder Traumabewältigung. Die Aktivitäten sind darauf ausgelegt, sowohl individuelle Probleme zu adressieren als auch kollektive Stärke zu fördern.
Ein besonders eindrückliches Beispiel für den Erfolg von SOFRA ist die Geschichte von Yasmin (Name geändert), einer trans Frau aus Syrien. Sie floh vor Krieg und Verfolgung nach Deutschland, musste jedoch feststellen, dass sie auch hier oft auf Ablehnung stieß. Bei SOFRA fand sie nicht nur Freunde, sondern auch die nötige Unterstützung, um eine Therapie zu beginnen und ihre rechtliche Anerkennung als Frau durchzusetzen. Yasmin ist heute selbst Teil des Teams und unterstützt andere Geflüchtete auf ihrem Weg.
Netzwerke, Sichtbarkeit und politisches Engagement
Neben den unmittelbaren Unterstützungsangeboten arbeitet SOFRA aktiv daran, die Sichtbarkeit von LSBTIQ*-Migranten und Geflüchteten in der Öffentlichkeit zu erhöhen. Der Verein kooperiert mit anderen Organisationen und nimmt regelmäßig an Veranstaltungen wie dem Cologne Pride teil. Diese Aktivitäten dienen nicht nur der Vernetzung, sondern auch der Aufklärung.
Ein weiteres Highlight ist die Zusammenarbeit mit lokalen und internationalen Organisationen. SOFRA hat beispielsweise Workshops mit queeren Aktivist*innen aus anderen Ländern organisiert und teilt Best Practices, um globale Solidarität zu fördern.
Die politische Arbeit ist ein weiterer Schwerpunkt. SOFRA setzt sich für die Verbesserung der rechtlichen und sozialen Rahmenbedingungen für LSBTIQ*-Geflüchtete ein. Ein Erfolg war etwa die Mitwirkung an einer Petition zur besseren Unterstützung von queeren Geflüchteten in Unterkünften.
Herausforderungen und Zukunftsperspektiven
Trotz der Erfolge bleibt die Arbeit von SOFRA eine Herausforderung. Die Finanzierung des Vereins ist zum großen Teil projektbasiert, was langfristige Planung erschwert. Außerdem sehen sich die Aktivist*innen immer wieder mit Vorurteilen konfrontiert – sowohl von außen als auch aus den eigenen Communities. Doch diese Hindernisse spornen den Verein nur an, weiterzumachen.
„Unsere Vision ist eine Gesellschaft, in der niemand aufgrund von Herkunft oder Identität diskriminiert wird“, sagt eine der Mitbegründerinnen von SOFRA. Dafür wollen sie in den kommenden Jahren noch mehr Menschen erreichen, zusätzliche Projekte ins Leben rufen und ihre Strukturen professionalisieren.
Ein Modell für die Zukunft
SOFRA zeigt eindrücklich, wie wichtig Selbstorganisation und Empowerment für marginalisierte Gruppen sind. Der Verein ist ein Beispiel dafür, dass eine kleine Gruppe engagierter Menschen Großes bewirken kann, wenn sie eine klare Vision und den Mut zur Umsetzung hat.
Indem SOFRA queere Migrant*innen zusammenbringt und stärkt, leistet der Verein nicht nur direkte Hilfe, sondern trägt auch zu einer inklusiveren Gesellschaft bei. Ihre Arbeit inspiriert – und macht Hoffnung, dass Vielfalt eines Tages nicht nur akzeptiert, sondern gefeiert wird.
Quellenangaben
- SOFRA e.V. Offizielle Webseite. (https://sofra.cologne)
- LSVD: Diskriminierungserfahrungen von LSBTIQ*-Geflüchteten. (https://www.lsvd.de)
- Queer.de: „Queer Refugees Welcome“-Projekt in Deutschland. (https://www.queer.de)
- Amnesty International: Herausforderungen für queere Geflüchtete in Europa. (https://www.amnesty.org)
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