Die wachsende Anonymität in unserer Gesellschaft
Die Welt wird urbaner, digitaler und immer schneller. Während Städte wachsen und Millionen Menschen auf engem Raum zusammenleben, schwindet oft das Gemeinschaftsgefühl. Anonymität wird zur neuen Normalität, besonders in Großstädten wie Berlin, Hamburg oder München. Trotz der Nähe der Wohnungen bleiben viele Nachbarn Fremde. Diese Entwicklung hat tiefgreifende soziale Folgen: Einsamkeit nimmt zu, Nachbarn unterstützen sich weniger, und der soziale Zusammenhalt erodiert.
Die gesellschaftlichen Folgen sind gravierend. Senioren, die Unterstützung bei alltäglichen Aufgaben benötigen, bleiben oft unversorgt. Familien suchen verzweifelt nach bezahlbarer Kinderbetreuung. Gleichzeitig gibt es Menschen, die helfen möchten, aber nicht wissen, wo ihr Engagement gebraucht wird. Die Kluft zwischen Hilfsbereitschaft und Hilfsbedürftigkeit wächst.
Digitale Lösungen als Antwort auf ein analoges Problem
Um diese Lücke zu schließen, sind in den letzten Jahren digitale Plattformen entstanden, die Nachbarschaftshilfe in den Fokus rücken. Eine der erfolgreichsten Lösungen in Deutschland ist nebenan.de, ein soziales Netzwerk speziell für Nachbarn. Gegründet wurde es 2015 von einem sechsköpfigen Team: Christian Vollmann, Till Behnke, Matthes Scheinhardt, Ina Remmers, Michael Vollmann und Sven Tantau. Die Plattform verfolgt das Ziel, Nachbarn miteinander zu vernetzen, sei es für kleine Gefälligkeiten, den Austausch von Empfehlungen oder das Organisieren gemeinschaftlicher Aktivitäten.
Die Betreiberfirma Good Hood GmbH, mit Sitz in Berlin, konnte bereits früh große Erfolge verzeichnen. 2020 wurde nebenan.de Teil der Hubert Burda Media Gruppe und erhielt dadurch zusätzliche finanzielle und infrastrukturelle Unterstützung. Mittlerweile nutzen über 2 Millionen Menschen in Deutschland, Frankreich und Spanien die Plattform, um Nachbarschaften lebendiger und hilfsbereiter zu machen (Burda.com, 2020).
Doch nebenan.de ist nicht die einzige Plattform, die das Miteinander stärken will. Nachbarschaft.net ist eine weitere App, die es Menschen ermöglicht, Kontakte in ihrer direkten Umgebung zu knüpfen. Nutzer können Interessensgruppen bilden, Veranstaltungen planen oder einfach Empfehlungen teilen. Die App verfolgt einen niedrigschwelligen Ansatz, um möglichst viele Menschen zu erreichen. Sie ist kostenlos und sowohl für ältere als auch für jüngere Nutzer leicht verständlich gestaltet.
Besondere Aufmerksamkeit erlangte während der Corona-Pandemie die Plattform wirhelfen.eu, die speziell in Krisenzeiten schnelle und unkomplizierte Hilfe ermöglichte. Hier konnten Menschen, die etwa beim Einkaufen oder in der Kinderbetreuung Unterstützung benötigten, direkt mit Freiwilligen aus der Nähe in Kontakt treten. Innerhalb kurzer Zeit registrierten sich fast 8000 Helfer und Helferinnen, um ihre Mitmenschen zu unterstützen.
Erfolgreiche Projekte aus der Praxis
Die Stärke dieser Plattformen zeigt sich in konkreten Projekten und persönlichen Geschichten. So startete nebenan.de in Zusammenarbeit mit der AOK Rheinland/Hamburg das Projekt „Gesunde Nachbarschaften“. Dieses Vorhaben hat das Ziel, Senioren in ihrem Umfeld zu unterstützen, damit sie möglichst lange eigenständig und gesund leben können. Durch die Vermittlung von Nachbarschaftshilfe, etwa bei Einkäufen oder Arztbesuchen, wird nicht nur der Alltag erleichtert, sondern auch die Isolation reduziert (AOK Rheinland/Hamburg, n.d.).
Eine weitere Initiative auf nebenan.de ist der „Nachbarschaftstag“, der regelmäßig in vielen Städten stattfindet. An diesem Tag treffen sich Menschen aus der gleichen Umgebung, um gemeinsam Müll zu sammeln, öffentliche Plätze zu verschönern oder einfach zusammen zu feiern. Solche Veranstaltungen stärken nicht nur die Gemeinschaft, sondern schaffen auch langfristige Verbindungen zwischen den Menschen.
Ein beeindruckendes Beispiel aus der Praxis stammt aus einem Viertel in Hamburg: Während der Pandemie organisierte eine junge Mutter über nebenan.de eine Nachbarschaftsaktion, um Schutzmasken für Pflegeeinrichtungen zu nähen. Über 50 Nachbarn beteiligten sich, und innerhalb von zwei Wochen wurden über 3000 Masken gefertigt und verteilt. Diese Geschichte zeigt, wie groß das Potenzial digitaler Plattformen ist, wenn sie von engagierten Menschen genutzt werden.
Auch Nachbarschaft.net kann mit Erfolgen punkten. In einem Münchner Stadtteil wurde über die Plattform ein Projekt ins Leben gerufen, bei dem ältere Menschen in die Betreuung von Kita-Kindern eingebunden wurden. Die Senioren halfen bei Vorlesestunden oder begleiteten Ausflüge. Dadurch entstand nicht nur eine stärkere Bindung zwischen den Generationen, sondern auch ein engeres Netzwerk im Stadtteil.
Herausforderungen und Grenzen
So vielversprechend diese Ansätze sind, sie bringen auch Herausforderungen mit sich. Datenschutz ist ein zentraler Punkt: Nutzer müssen sich darauf verlassen können, dass ihre Daten sicher sind und nicht missbraucht werden. Plattformen wie nebenan.de setzen daher auf strenge Verifizierungsverfahren, bei denen Nutzer beispielsweise ihre Adresse nachweisen müssen. Dies schafft Vertrauen, kann jedoch auch für ältere oder weniger technikaffine Menschen eine Hürde darstellen.
Ein weiteres Problem ist die digitale Spaltung. Nicht alle Menschen haben Zugang zu Smartphones oder Internet, was gerade ältere Menschen von der Nutzung solcher Plattformen ausschließt. Hier sind hybride Ansätze gefragt, die digitale und analoge Methoden kombinieren. So könnten Gemeinden oder lokale Organisationen als Vermittler fungieren, um auch diejenigen einzubeziehen, die digital nicht vernetzt sind.
Ein Blick in die Zukunft
Die wachsende Beliebtheit von Plattformen wie nebenan.de oder Nachbarschaft.net zeigt, dass der Wunsch nach Gemeinschaft ungebrochen ist. Die Digitalisierung kann diesen Wunsch unterstützen, indem sie den Erstkontakt erleichtert und die Organisation von Hilfe effizienter macht. Dennoch bleibt der persönliche Austausch entscheidend. Die Zukunft der Nachbarschaftshilfe liegt in einer sinnvollen Verbindung zwischen digitalen Lösungen und realen Begegnungen.
Digitale Nachbarschaftsnetzwerke sind mehr als nur technische Spielereien. Sie sind Werkzeuge, um Gemeinschaft und Solidarität in einer zunehmend fragmentierten Welt wiederaufzubauen. Sie erinnern uns daran, dass wir mehr miteinander verbunden sind, als wir denken – und dass eine helfende Hand oft nur einen Klick entfernt ist.
Quellen
- Burda.com. (2020). Nebenan.de wird Teil der Burda-Familie. [online] Verfügbar unter: https://www.burda.com/de/marken/nebenande/ [Zugriff am 16. Nov. 2024].
- Nachbarschaft.net. (n.d.). Nachbarschaft.net – Als App, im Web, für Nachbarn! [online] Verfügbar unter: https://nachbarschaft.net/ [Zugriff am 16. Nov. 2024].
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