In Deutschland landen jährlich etwa elf Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll – eine Zahl, die angesichts von Ernährungsarmut und wachsendem Umweltbewusstsein alarmierend ist (Thünen-Institut, 2022). Gleichzeitig kämpfen Millionen Menschen im Land mit steigenden Lebenshaltungskosten und eingeschränktem Zugang zu gesunden Lebensmitteln. Foodsharing e.V., eine gemeinnützige Initiative, hat es sich zur Aufgabe gemacht, genau hier anzusetzen: Die Plattform rettet überschüssige Lebensmittel und verteilt sie kostenlos an Interessierte. Ein Konzept, das nicht nur Ressourcen schützt, sondern auch soziale Bindungen stärkt und die Gesellschaft für nachhaltigen Konsum sensibilisiert.
Lebensmittelverschwendung: Ein gesellschaftliches Dilemma
Jeder Deutsche wirft im Schnitt rund 75 Kilogramm Lebensmittel pro Jahr weg, oft aufgrund abgelaufener Mindesthaltbarkeitsdaten oder übermäßiger Einkäufe (BMEL, 2022). Doch die Auswirkungen sind nicht nur lokal spürbar. Die Produktion dieser Lebensmittel belastet die Umwelt erheblich: Für den Anbau, die Verarbeitung und den Transport werden Wasser, Energie und Landressourcen genutzt, die bei der Vernichtung verschwendet werden. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO, 2021) entstehen weltweit rund acht bis zehn Prozent der Treibhausgase allein durch weggeworfene Lebensmittel.
Diese Verschwendung steht in scharfem Kontrast zu den Bedürfnissen vieler Menschen, die unter Ernährungsarmut leiden. Besonders betroffen sind Haushalte mit geringem Einkommen, alleinerziehende Elternteile und ältere Menschen. Das Problem ist nicht nur ethisch, sondern auch ökologisch und ökonomisch gravierend.
Die Entstehung und Vision von Foodsharing e.V.
Die Idee zu Foodsharing e.V. entstand im Jahr 2012 nach der Veröffentlichung des Dokumentarfilms Taste the Waste, der die massive Lebensmittelverschwendung in westlichen Ländern aufzeigte. Valentin Thurn, Regisseur und Umweltschützer, wollte mehr als Bewusstsein schaffen – er wollte handeln. Gemeinsam mit anderen Aktivist
gründete er die Plattform foodsharing.de, die zunächst als Online-Portal für das Teilen überschüssiger Lebensmittel diente (Foodsharing e.V., 2023).
Heute ist Foodsharing e.V. eine gemeinnützige Organisation mit Sitz in Köln und deutschlandweit aktiven Communities. Der Verein hat mehr als 100.000 registrierte Mitglieder, darunter über 20.000 aktive Foodsaver, die regelmäßig überschüssige Lebensmittel abholen und verteilen (Foodsharing, 2023). Die Rechtsform des Vereins ermöglicht es, Spenden anzunehmen und die Verwaltung der Plattform effizient zu organisieren.
Wie funktioniert Foodsharing e.V.?
Der Kern der Organisation besteht aus zwei Hauptsäulen: der digitalen Plattform und der aktiven Community. Auf der Website können Privatpersonen sogenannte „Essenskörbe“ erstellen, in denen sie übrig gebliebene Lebensmittel anbieten. Andere Nutzer
können diese Körbe einsehen und die Lebensmittel kostenlos abholen. Der Fokus liegt dabei nicht nur auf Bedürftigkeit, sondern auf der Vermeidung von Verschwendung – jeder, der Lebensmittel retten möchte, kann sich beteiligen.
Für größere Mengen oder regelmäßige Kooperationen arbeitet der Verein mit Betrieben zusammen, die überschüssige Lebensmittel zur Verfügung stellen. Die Foodsaver, speziell geschulte Mitglieder, holen diese Lebensmittel ab und verteilen sie über sogenannte „Fair-Teiler“, öffentliche Verteilstellen, oder direkt an Haushalte. Allein im Jahr 2022 wurden mehr als 8.000 Tonnen Lebensmittel gerettet.
Die Organisation setzt auf ein starkes Netzwerk und strikte Prozesse, um die Lebensmittelsicherheit zu gewährleisten. Neue Mitglieder absolvieren einen Test zu Hygiene- und Rechtsfragen, bevor sie als Foodsaver tätig werden dürfen.
Erfolgreiche Projekte: Beispiele aus der Praxis
Der Verein hat in den letzten Jahren zahlreiche Kooperationen und Projekte erfolgreich umgesetzt. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist die Zusammenarbeit mit der Stadt Kiel, die 2021 als erste deutsche Stadt zur offiziellen „Foodsharing-Stadt“ ernannt wurde. Hier arbeiten lokale Foodsaver eng mit Supermärkten, Bäckereien und anderen Betrieben zusammen, um regelmäßig große Mengen überschüssiger Lebensmittel zu retten. Diese Kooperation ist Teil des städtischen „Zero Waste“-Programms, das sich auf Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung fokussiert (Kiel-Magazin, 2023).
Auch die Partnerschaft mit der REWE Group ist bemerkenswert. Seit 2014 arbeiten REWE und PENNY-Märkte mit Foodsharing zusammen, um unverkaufte, aber genießbare Lebensmittel an Foodsaver weiterzugeben. Diese Kooperation wird kontinuierlich ausgebaut, zuletzt mit der Unterzeichnung des „Pakts gegen Lebensmittelverschwendung“, durch den REWE bis 2030 seine Überschüsse um 50 Prozent reduzieren möchte (REWE Group, 2023).
Wirkung über Zahlen hinaus: Bildung und Gemeinschaft
Neben der direkten Rettung von Lebensmitteln engagiert sich Foodsharing e.V. auch im Bereich der Bildungsarbeit. Workshops, Vorträge und Online-Seminare sollen Bewusstsein für den Wert von Lebensmitteln schaffen und praktische Tipps für nachhaltigen Konsum vermitteln. Besonders junge Menschen und Schulen stehen im Fokus, um bereits früh ein Verständnis für verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen zu fördern (Foodsharing Akademie, 2023).
Ein weiteres Highlight sind die Foodsharing-Aktionen auf Festivals und Veranstaltungen, bei denen überschüssiges Essen gesammelt und verteilt wird. Diese Initiativen tragen nicht nur zur Abfallvermeidung bei, sondern fördern auch den sozialen Austausch zwischen den Teilnehmer
.
Herausforderungen und Zukunftspläne
Trotz der Erfolge sieht sich der Verein mit Herausforderungen konfrontiert. Insbesondere rechtliche Fragen zu Hygiene- und Haftungsstandards erfordern kontinuierliche Anpassungen. Zudem basiert die Organisation auf ehrenamtlichem Engagement und Spenden, was langfristige finanzielle Planung erschwert.
Dennoch bleibt das Ziel ambitioniert: Foodsharing e.V. will die Lebensmittelverschwendung in Deutschland bis 2030 halbieren und eine Kultur etablieren, in der Lebensmittel wertgeschätzt und sinnvoll genutzt werden.
Fazit: Eine Bewegung mit großer Wirkung
Foodsharing e.V. ist mehr als eine Plattform zur Rettung von Lebensmitteln – es ist ein Modell für nachhaltigen Wandel. Die Kombination aus digitaler Infrastruktur, engagierter Community und erfolgreichen Kooperationen zeigt, wie zivilgesellschaftliches Engagement komplexe Probleme lösen kann. Jeder gerettete Apfel, jede gerettete Mahlzeit ist ein Schritt in Richtung einer gerechteren und nachhaltigeren Gesellschaft.
Quellenangaben
- BMEL (2022). Lebensmittelverschwendung in Deutschland. [Online] Verfügbar unter: https://www.bmel.de/DE/themen/ernaehrung/lebensmittelverschwendung.html [Zugriff: 16. November 2024].
- Foodsharing (2023). Über uns. [Online] Verfügbar unter: https://www.foodsharing.de/ueber-uns [Zugriff: 16. November 2024].
- Kiel-Magazin (2023). Kiel als Foodsharing-Stadt ausgezeichnet. [Online] Verfügbar unter: https://www.kiel-magazin.de/artikel/kiel-als-foodsharing-stadt-ausgezeichnet [Zugriff: 16. November 2024].
- REWE Group (2023). Gemeinsam gegen Lebensmittelverschwendung. [Online] Verfügbar unter: https://www.rewe-group.com/de/presse-und-medien/newsroom/pressemitteilungen/gegen-food-waste-rewe-group-verstaerkt-ihr-langjaehriges-erfolgreiches-engagement-mit-beitritt-zum-pakt-gegen-lebensmittelverschwendung [Zugriff: 16. November 2024].
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