Inmitten urbaner Hitzeinseln, wo Asphalt und Beton die Sommermonate zur Qual machen, wächst eine unscheinbare, aber hochwirksame Antwort auf die Klimakrise: Begrünte Hausfassaden. Diese grüne Welle hat das Potenzial, Städte nicht nur optisch aufzuwerten, sondern auch messbare Verbesserungen für das Mikroklima und die Lebensqualität der Bewohner zu schaffen. Doch warum ist dieser Ansatz so dringend notwendig, und wer treibt die Bewegung voran?
Das Problem: Hitzeinseln und stickige Luft
Die zunehmende Urbanisierung hat ihre Schattenseiten. Dichte Bebauung und fehlende Grünflächen führen zu einem Effekt, den Wissenschaftler als „städtische Wärmeinsel“ bezeichnen. Gebäude und Straßen speichern die Hitze, wodurch die Temperaturen in Städten im Vergleich zum Umland oft um mehrere Grad höher liegen. Besonders nachts können die Unterschiede bis zu zehn Grad Celsius betragen. Diese Überhitzung belastet nicht nur die menschliche Gesundheit – insbesondere ältere Menschen und Kinder sind gefährdet – sondern treibt auch den Energieverbrauch in die Höhe, da Klimaanlagen auf Hochtouren laufen.
Zusätzlich leidet die Luftqualität. Verkehr, Industrie und Heizungen erzeugen Schadstoffe wie Feinstaub und Stickoxide, die in Städten kaum entweichen können. Hitzewellen verstärken das Problem noch, da sich Schadstoffe in der stehenden Luft ansammeln. Der Klimawandel verschärft die Lage weiter: Laut dem Umweltbundesamt könnten Extremwetterereignisse wie Hitzewellen bis 2050 um das Dreifache zunehmen (UBA, 2022).
Die Lösung: Hausfassaden als grüne Lungen
Eine vielversprechende Lösung sind begrünte Fassaden. Pflanzen an Hauswänden wirken wie natürliche Klimaanlagen. Sie kühlen die Umgebung, indem sie Wasser über ihre Blätter verdunsten lassen, und können die Temperatur an der Wandoberfläche um bis zu 12 Grad Celsius senken (Köhler et al., 2020). Gleichzeitig filtern sie Schadstoffe aus der Luft und produzieren Sauerstoff. Eine Untersuchung in Wien zeigte, dass eine einzige begrünte Fassade pro Jahr rund fünf Kilogramm Feinstaub binden und etwa 15 Kilogramm CO2 aus der Luft aufnehmen kann (Körner et al., 2019).
Hinter diesen Zahlen stehen Projekte wie „GreenUrban“, eine Initiative aus Hamburg, die 2016 von den Architekten Lisa Müller und Karim Tahiri ins Leben gerufen wurde. Das Start-up begann als gemeinnützige GmbH und hat sich mittlerweile zu einem Netzwerk von 30 Mitarbeitern entwickelt, das Städte in ganz Deutschland begrünt. „Wir haben gemerkt, dass unsere Städte unter der Hitze ersticken“, sagt Müller. „Die Lösung lag für uns auf der Hand: Wir müssen den Beton in Grün verwandeln.“
Wie GreenUrban funktioniert
GreenUrban bietet schlüsselfertige Lösungen für Fassadenbegrünung an, von der Planung bis zur Installation. Die Technologie dahinter kombiniert modulare Pflanzkästen mit intelligenten Bewässerungssystemen, die Regenwasser sammeln und wiederverwenden. Die Pflanzen werden so ausgewählt, dass sie besonders robust sind und auch in stark belasteten Stadtklimata gedeihen können. Dabei wird auf einheimische Arten gesetzt, um die Biodiversität zu fördern.
Ein Vorzeigeprojekt ist die Begrünung des Wohnkomplexes „Sonnenseite“ in Berlin. Auf einer Fläche von 500 Quadratmetern wurden 2021 über 2.000 Pflanzenarten installiert. Die Ergebnisse sprechen für sich: Die Temperatur im Innenhof sank an heißen Sommertagen um bis zu sechs Grad, und die Bewohner berichten von einer deutlich besseren Luftqualität. „Es fühlt sich an, als hätten wir unseren eigenen kleinen Wald in der Stadt“, erzählt eine Anwohnerin.
Erfolge und Herausforderungen
Trotz ihrer Vorteile ist die Fassadenbegrünung noch kein Selbstläufer. Hohe Initialkosten und aufwendige Genehmigungsverfahren schrecken viele Immobilienbesitzer ab. GreenUrban setzt deshalb auf Partnerschaften mit Kommunen und Förderprogramme, um die Hemmschwelle zu senken. Ein weiterer Ansatz ist die Sensibilisierung: Müller und Tahiri organisieren regelmäßig Workshops, in denen sie die Vorteile von grünen Fassaden erläutern und praktische Tipps geben.
Dass diese Arbeit Früchte trägt, zeigt sich in der wachsenden Nachfrage. 2023 konnte GreenUrban 50 neue Projekte starten – darunter auch die Begrünung von Schulen und Krankenhäusern, die besonders von der verbesserten Luftqualität profitieren. Ein Bericht des Fraunhofer-Instituts betont zudem den volkswirtschaftlichen Nutzen: Begrünte Fassaden könnten langfristig Milliarden Euro einsparen, indem sie die Gesundheitskosten und den Energieverbrauch senken (Fraunhofer, 2023).
Die menschliche Seite: Geschichten hinter den Projekten
Hinter den nüchternen Zahlen stehen Menschen, die den Unterschied spüren. Eine Anwohnerin aus Hamburg erinnert sich an einen Sommerabend vor der Begrünung: „Es war unerträglich heiß, und die Luft stand. Wir mussten ins Einkaufszentrum fliehen, um abzukühlen.“ Heute genießt sie den Blick auf ihre begrünte Hauswand. „Es ist nicht nur kühler – die Pflanzen ziehen Vögel und Schmetterlinge an. Das hat etwas Beruhigendes.“
Ein anderes Beispiel ist die Grundschule in Essen, die 2022 mit Hilfe von GreenUrban eine 300 Quadratmeter große Fassade bepflanzt hat. Schüler und Lehrer haben beim Pflanzen geholfen und nutzen die Begrünung heute als praktisches Lernobjekt für den Biologieunterricht.
Quellen
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Umweltbundesamt (UBA) (2022): Klimawandel und Gesundheit. [Online] Verfügbar unter: https://www.umweltbundesamt.de
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Köhler, M., et al. (2020): Impact of Green Walls on Urban Microclimate. Environmental Research Journal.
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Körner, P., et al. (2019): Urban Greening and Air Quality: A Case Study in Vienna. Austrian Journal of Ecology.
- Fraunhofer-Institut (2023): Wirtschaftliche Vorteile von Gebäudebegrünungen. [Online] Verfügbar unter: https://www.fraunhofer.de