Die Vorstellung, dass der Wald mehr ist als nur eine Ansammlung von Bäumen, ist nicht neu. Doch in einer zunehmend urbanisierten und technisierten Welt gewinnt diese Idee eine radikale Dringlichkeit. Kinder, die in Städten aufwachsen, verlieren immer mehr den Bezug zur Natur. Chronische Krankheiten wie Asthma, Adipositas oder mentale Belastungen wie Angststörungen und Depressionen sind auf dem Vormarsch. Besonders betroffen sind Kinder aus sozial benachteiligten Familien, für die sowohl präventive Maßnahmen als auch therapeutische Angebote oft unerreichbar bleiben. Hier setzt das Projekt „Wald macht gesund“ an – eine Initiative, die den Wald als heilenden Raum entdeckt und systematisch zugänglich macht.
Ein wachsendes Problem: Kinder und der Verlust zur Natur
Kinder verbringen immer weniger Zeit im Freien. Eine Studie des Robert Koch-Instituts (RKI) zeigt, dass nur noch ein Bruchteil der Kinder täglich im Wald oder in naturnahen Gebieten spielt (RKI, 2022). Die Folgen sind dramatisch: Übergewicht und Bewegungsmangel nehmen zu, und der Verlust natürlicher Spielräume führt zu einem Anstieg psychischer Erkrankungen. Gleichzeitig wächst die soziale Ungleichheit, die sich auch in der Gesundheitsversorgung zeigt. Während wohlhabendere Familien ihre Kinder in spezielle Camps oder Naturheilzentren schicken können, fehlt diesen Zugang Kindern aus sozial schwächeren Verhältnissen oft komplett.
Zudem leidet die Umwelt selbst. Wälder werden immer mehr als Wirtschaftsräume betrachtet, weniger als Erholungsorte. Das führt zu einer doppelten Herausforderung: Kinder verlieren nicht nur den Kontakt zur Natur, sondern auch eine natürliche Umgebung, die gesundheitsfördernd wirkt, wird bedroht.
„Wald macht gesund“: Die Vision einer nachhaltigen Therapie
Das Projekt „Wald macht gesund“ entstand aus einer simplen, aber kraftvollen Beobachtung: Der Aufenthalt im Wald hat eine nachweislich positive Wirkung auf die körperliche und psychische Gesundheit. Die Gründer, ein interdisziplinäres Team aus Medizinern, Forstwirten und Pädagogen, wollten dieses Potenzial systematisch nutzen. 2018 gegründet, hat das Projekt seinen Sitz in der Nähe des Teutoburger Waldes und ist mittlerweile auf drei Standorte angewachsen. Es handelt sich um eine gemeinnützige GmbH, die von öffentlichen Mitteln sowie privaten Spenden finanziert wird.
Die Programme des Projekts umfassen Waldbaden, sensorische Übungen, tiergestützte Therapien und naturpädagogische Workshops. Besonders bemerkenswert ist die Integration von „Waldhunden“ und Alpakas, die nicht nur bei der Therapie von Angst- und Traumapatienten helfen, sondern auch Kindern mit chronischen Krankheiten wie Autismus oder ADHS unterstützend zur Seite stehen. Für die Kinder wird der Wald zu einem geschützten Raum, in dem sie lernen, ihre Umgebung und sich selbst besser wahrzunehmen.
Erfolgsgeschichten aus dem Wald
Das Projekt hat bereits eine beeindruckende Erfolgsbilanz vorzuweisen. Ein Beispiel ist Jonas, ein zehnjähriger Junge, der seit seiner frühen Kindheit an einer schweren Angststörung leidet. Nach mehreren erfolglosen Therapieversuchen wurde er in das Programm von „Wald macht gesund“ aufgenommen. Dort lernte er durch regelmäßige Spaziergänge mit einem ausgebildeten Therapiehund, seine Angst zu regulieren. Die sensorischen Übungen – wie Barfußpfade oder Achtsamkeitsübungen unter Bäumen – halfen ihm, seine innere Ruhe wiederzufinden. Heute kann Jonas wieder ohne Angst die Schule besuchen.
Ein weiteres Beispiel ist das Pilotprojekt „Wald als Klassenzimmer“, bei dem eine Schulklasse aus einem sozialen Brennpunkt über ein Jahr hinweg wöchentliche Unterrichtseinheiten im Wald absolvierte. Die Ergebnisse waren erstaunlich: Die Konzentrationsfähigkeit der Schüler stieg messbar, Konflikte innerhalb der Klasse nahmen ab, und selbst die Lehrer berichteten von einer positiveren Lernatmosphäre.
Ökologie, Wirtschaft und Soziales: Eine ganzheitliche Vision
Die Initiatoren betonen, dass „Wald macht gesund“ mehr ist als ein Gesundheitsprojekt. Es geht auch um den Schutz und die nachhaltige Bewirtschaftung der Wälder. Durch die Zusammenarbeit mit Forstwirten und Umweltorganisationen stellt das Projekt sicher, dass die genutzten Waldgebiete nicht nur erhalten bleiben, sondern sich ökologisch erholen können.
Gleichzeitig schafft das Projekt Arbeitsplätze in ländlichen Regionen. Fachkräfte aus der Medizin, Pädagogik und Forstwirtschaft arbeiten Hand in Hand, um den Kindern eine ganzheitliche Betreuung zu bieten. Besonders hervorzuheben ist das faire Finanzierungsmodell: Während Familien mit höherem Einkommen die Programme regulär finanzieren, werden Kinder aus sozial schwachen Haushalten kostenlos oder zu stark vergünstigten Tarifen aufgenommen.
Quellen
- Robert Koch-Institut (2022): Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland – KiGGS-Studie. Verfügbar unter: https://www.rki.de
- Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) (2021): Bericht zur Lage der Wälder in Deutschland. Verfügbar unter: https://www.bmu.de
- Stiftung Natur und Gesundheit (2020): Die heilende Kraft des Waldes – Studien und Erkenntnisse. Verfügbar unter: https://www.stiftung-natur.de
- Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) (2019): Kinder und Natur: Eine vernachlässigte Beziehung. Verfügbar unter: https://www.dgkj.de