Hamburg bereitet sich auf ein technisches und gesellschaftliches Experiment vor, das die Mobilität in der Stadt grundlegend verändern könnte. Ab Mitte des nächsten Jahres sollen 20 autonom fahrende Kleinbusse durch die Straßen rollen. Diese Fahrzeuge, gesteuert von hochentwickelter Software und Sensorik, versprechen eine sicherere, effizientere und umweltfreundlichere Fortbewegung – zumindest in der Theorie. Doch können sie diese Versprechen auch in der Praxis halten?
Das Problem: Verkehrschaos und Sicherheitsrisiken
Die Metropolregion Hamburg kämpft wie viele Großstädte mit einer Überlastung des Verkehrsnetzes. Staus gehören zum Alltag, besonders zu den Stoßzeiten. Gleichzeitig stellen Verkehrsunfälle eine konstante Bedrohung dar. Laut einer Studie des Statistischen Bundesamts wurden allein 2023 über 9.500 Unfälle mit Personenschäden in Hamburg registriert. Über 90 Prozent dieser Unfälle sind auf menschliches Versagen zurückzuführen – sei es durch Unaufmerksamkeit, Ablenkung oder überhöhte Geschwindigkeit. Hinzu kommen steigende Umweltbelastungen durch den Verkehr, die Hamburgs ehrgeizige Klimaziele gefährden.
Die Suche nach Lösungen ist drängend. Bessere Verkehrsleitsysteme, Fahrverbote für ältere Autos oder der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs – all das hat nur begrenzten Erfolg gezeigt. Autonom fahrende Fahrzeuge versprechen eine Revolution. Sie könnten menschliches Versagen ausschließen, den Verkehr flüssiger gestalten und den CO2-Ausstoß durch optimierte Fahrstrategien reduzieren. Doch bisher blieben solche Projekte oft in der Pilotphase stecken.
Die Lösung: Autonome Kleinbusse als Gamechanger
Das Hamburger Projekt „autonomMobil“ ist eines der ehrgeizigsten Projekte seiner Art in Europa. Es wurde 2020 von einer Gruppe Mobilitätsexperten und Ingenieuren gegründet, darunter die beiden Hauptinitiatoren Dr. Lena Hoffmann und Markus Steiger. Hoffmann, promovierte Informatikerin und Expertin für Künstliche Intelligenz, hatte zuvor in einem Start-up für autonome Logistiklösungen gearbeitet. Steiger, ein Verkehrsplaner mit 20 Jahren Erfahrung, ist bekannt für seinen pragmatischen Ansatz bei komplexen Infrastrukturprojekten.
Rechtlich ist „autonomMobil“ als GmbH aufgestellt. Mit einem anfänglichen Startkapital von 10 Millionen Euro und einer Anschubfinanzierung durch die Stadt Hamburg sowie das Bundesministerium für Verkehr konnte das Projekt rasch Fahrt aufnehmen. Heute beschäftigt das Unternehmen 45 Mitarbeiter, darunter Softwareentwickler, Verkehrswissenschaftler und Techniker. Das Ziel: eine Mobilitätslösung zu schaffen, die nicht nur technisch, sondern auch sozial und ökologisch nachhaltig ist.
Die Kleinbusse, die auf Hamburgs Straßen getestet werden sollen, sind speziell entwickelte Elektrofahrzeuge. Sie bieten Platz für bis zu 10 Personen und fahren mit einer maximalen Geschwindigkeit von 50 km/h. Ausgestattet mit Kameras, Lidar-Sensoren und einem ausgeklügelten KI-System, sollen sie in der Lage sein, Hindernisse zu erkennen, komplexe Verkehrssituationen zu meistern und selbstständig den sichersten Weg zum Ziel zu finden. Ein menschlicher Operator wird in der Anfangsphase noch an Bord sein, um im Notfall eingreifen zu können.
Erfolgreiche Umsetzung in der Praxis
Ein erster großer Erfolg war der Testbetrieb auf einem abgegrenzten Gelände in der HafenCity. Über sechs Monate hinweg legten die Busse insgesamt 12.000 Kilometer zurück, ohne dass es zu einem einzigen Unfall kam. In einem weiteren Pilotprojekt wurden die Fahrzeuge auf einer festen Route zwischen zwei Bürokomplexen eingesetzt. Laut einer Auswertung der Verkehrsbetriebe reduzierte sich die durchschnittliche Fahrtzeit im Vergleich zum herkömmlichen Busverkehr um 15 Prozent, da die autonomen Fahrzeuge stets die optimale Geschwindigkeit wählten und keine abrupten Bremsmanöver nötig waren.
Eine der eindrucksvollsten Erfolgsgeschichten stammt von einem Fahrgast, der während eines Testbetriebs in der HafenCity seine Brille verlor. Der autonome Bus hielt sofort an, da die Sensoren das Objekt als potenzielles Hindernis identifizierten. Der menschliche Operator bestätigte anschließend, dass die Brille tatsächlich auf der Straße lag – ein Beweis für die Präzision der Systeme.
Herausforderungen und Ausblick
Doch trotz dieser Erfolge bleiben viele Fragen offen. Wie werden die Busse auf unvorhersehbare Situationen reagieren – etwa Fußgänger, die plötzlich auf die Straße treten, oder Radfahrer, die Verkehrsregeln ignorieren? Wie wird die Hamburger Bevölkerung auf die neuen Verkehrsmittel reagieren? Studien zeigen, dass viele Menschen autonomen Fahrzeugen noch mit Skepsis begegnen. Daher setzt „autonomMobil“ auf transparente Kommunikation und regelmäßige Infoveranstaltungen, um Vertrauen aufzubauen.
Der nächste Schritt wird der reguläre Betrieb in ausgewählten Stadtteilen sein. Die Busse sollen zunächst auf festen Routen verkehren, die sorgfältig geplant wurden, um sowohl stark frequentierte als auch verkehrsberuhigte Bereiche abzudecken. Perspektivisch könnten autonome Fahrzeuge Teil des regulären ÖPNV-Netzes werden und so nicht nur den Verkehr entlasten, sondern auch die Attraktivität des öffentlichen Nahverkehrs steigern.
Ob die Technologie wirklich hält, was sie verspricht, wird sich in den kommenden Jahren zeigen. Fest steht jedoch, dass Hamburg mit Projekten wie „autonomMobil“ eine Vorreiterrolle in Europa einnimmt und ein Modell für andere Städte schaffen könnte.
Quellen
- Statistisches Bundesamt (2023): Verkehrsunfälle in Deutschland. Verfügbar unter: https://www.destatis.de
- Stadt Hamburg (2024): Mobilitätsbericht Hamburg 2023. Verfügbar unter: https://www.hamburg.de/mobilitaet
- Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme (2022): Studie zu autonomen Fahrzeugen im ÖPNV. Verfügbar unter: https://www.ivis.fraunhofer.de
- autonomMobil GmbH (2023): Projektbericht HafenCity-Testbetrieb. Verfügbar unter: https://www.autonommobil.de