In einer Zeit, in der Gewinnmaximierung oft das höchste Ziel vieler Unternehmen ist, zeigt ein Beispiel aus Großbritannien, dass es auch anders geht. Riverford Organic Farmers, ein 1987 gegründetes Unternehmen, hat eine radikale Entscheidung getroffen: Es gehört jetzt seinen Mitarbeitern. Der Gründer, Guy Singh-Watson, machte Riverford zu einem Vorzeigeprojekt für nachhaltige Landwirtschaft und soziale Verantwortung. Doch warum entschied er sich für diesen ungewöhnlichen Schritt? Und wie gelingt es Riverford, wirtschaftlichen Erfolg mit sozialem Engagement zu verbinden?
Das Problem: Ein Wirtschaftssystem auf Kosten von Mensch und Umwelt
Der konventionelle Agrarsektor steht weltweit unter enormem Druck. Landwirte sind gezwungen, immer mehr zu produzieren, oft unter Bedingungen, die weder fair noch nachhaltig sind. In vielen Fällen führt der Einsatz von Chemikalien zu Umweltzerstörung, während Arbeiter am unteren Ende der Lieferkette oft unterbezahlt bleiben. Große Supermärkte dominieren den Markt, diktieren Preise und lassen wenig Spielraum für ethische oder ökologische Überlegungen.
Guy Singh-Watson erkannte dieses Problem bereits in den 1980er Jahren, als er Riverford gründete. Er wollte eine Alternative schaffen – ein Unternehmen, das ökologisch, sozial und wirtschaftlich nachhaltig ist. Doch Singh-Watson sah mit der Zeit ein weiteres Problem: Viele Unternehmen, die klein und nachhaltig beginnen, werden durch Wachstum und Investorenansprüche zu genau dem, was sie ursprünglich bekämpfen wollten.
Die Lösung: Mitarbeiterbeteiligung als Unternehmensmodell
2018 beschloss Guy Singh-Watson, die Eigentümerstruktur von Riverford grundlegend zu ändern. Das Unternehmen wurde in ein Mitarbeiterbeteiligungsmodell überführt und ist nun zu 74 % im Besitz der Belegschaft. Singh-Watson selbst behielt 26 %, um eine Übergangsphase zu begleiten. Seine Motivation war klar: „Ich wollte sicherstellen, dass Riverford nie verkauft wird und dass es seine Werte behält – auch wenn ich nicht mehr da bin.“
Die Details der Struktur:
- Rechtsform: Riverford wurde zu einem Employee-Owned Trust (EOT) umgewandelt, einer in Großbritannien verbreiteten Rechtsform für Mitarbeiterbeteiligung.
- Größe und Alter: Riverford hat über 1.000 Mitarbeiter und beliefert wöchentlich rund 50.000 Haushalte mit Bio-Lebensmitteln. Das Unternehmen hat seinen Hauptsitz in Devon, operiert aber landesweit.
- Entstehung des Modells: Singh-Watson arbeitete mit Rechtsexperten und Beratern zusammen, um den Übergang zu planen. Das Modell basiert auf einem demokratischen Ansatz, bei dem Mitarbeiter über wichtige Entscheidungen abstimmen können.
Erfolgsgeschichten: Wie Riverford Werte in die Praxis umsetzt
Die Mitarbeiterbeteiligung bei Riverford ist kein theoretisches Konstrukt – sie hat reale Auswirkungen auf die Arbeitskultur und den wirtschaftlichen Erfolg. Drei Beispiele zeigen, wie das Unternehmen seine Werte umsetzt:
- Faire Löhne und bessere Arbeitsbedingungen: Riverford zahlt seinen Mitarbeitern nicht nur den Mindestlohn, sondern orientiert sich am Living Wage Standard, der die tatsächlichen Lebenshaltungskosten berücksichtigt. Zudem werden Entscheidungen zu Arbeitszeiten und Produktionsmethoden oft gemeinsam getroffen, was zu einer hohen Mitarbeiterzufriedenheit führt.
- Nachhaltige Landwirtschaft in der Praxis: Ein Beispiel ist die Entscheidung, Plastikverpackungen für die gelieferten Bio-Gemüseboxen zu minimieren. Mitarbeiter, die selbst in der Produktion arbeiten, brachten die Idee ein, und gemeinsam wurde eine Lösung gefunden, die Verpackungsabfälle um 25 % reduzierte – ein Projekt, das sowohl ökologische als auch wirtschaftliche Vorteile brachte.
- Gemeinschaftsprojekte mit Kunden: In Zusammenarbeit mit Kunden entwickelte Riverford einen Fonds, aus dem Bauern in Entwicklungsregionen finanziell unterstützt werden. Diese Initiative ermöglicht es den Landwirten, nachhaltigere Anbaumethoden einzuführen, ohne kurzfristige finanzielle Einbußen hinnehmen zu müssen.
- Resilienz während der Pandemie: Während der COVID-19-Pandemie stellte Riverford schnell auf kontaktlose Lieferungen um und schuf neue Arbeitsplätze, um der gestiegenen Nachfrage gerecht zu werden. Die Flexibilität und Innovationskraft, die durch die Mitarbeiterbeteiligung gefördert wird, war ein entscheidender Faktor für den Erfolg in dieser Krise.
Faktenbasierte Anekdoten: Die Kraft der Mitarbeiteridee
Ein Mitarbeiter von Riverford, ein ehemaliger Gemüsepacker, schlug vor, überschüssige Produkte in lokalen Gemeinschaftsküchen zu spenden, anstatt sie zu kompostieren. Dieses Konzept führte zur Gründung eines Programms, das mittlerweile tonnenweise Lebensmittel an Bedürftige liefert. Das Beispiel zeigt, wie Empowerment auf Mitarbeiterebene nicht nur das Unternehmen, sondern auch die Gemeinschaft stärken kann.
Ein Modell für die Zukunft?
Riverford beweist, dass wirtschaftlicher Erfolg und ethische Werte Hand in Hand gehen können. Das Unternehmen ist profitabel, wächst stetig und wird von seinen Mitarbeitern und Kunden gleichermaßen geschätzt. Guy Singh-Watson brachte es auf den Punkt, als er sagte: „Es gibt keinen Widerspruch zwischen kommerziellem Erfolg und sozialer Verantwortung – wenn man bereit ist, radikal zu denken.“
Andere Unternehmen könnten viel von diesem Modell lernen. Besonders in Branchen, die von niedrigen Margen und hohen sozialen Kosten geprägt sind, bietet die Mitarbeiterbeteiligung eine langfristig tragfähige Alternative. Riverford zeigt: Ein besserer Weg ist möglich – für die Mitarbeiter, für die Umwelt und für die Gesellschaft.
Quellenangaben
John Lewis Partnership 2019. Employee Ownership Model Explained. Verfügbar unter: https://www.johnlewispartnership.co.uk
Farmer, J. 2020. How Riverford Became Employee-Owned. The Guardian. Verfügbar unter: https://www.theguardian.com/sustainable-business
Riverford Organic Farmers 2023. Our Story. Verfügbar unter: https://www.riverford.co.uk/about-us
Employee Ownership Association 2022. Benefits of Employee-Owned Trusts. Verfügbar unter: https://employeeownership.co.uk